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# taz.de -- Nachbar ohne Wahl
> Nicht alle Hamburger*innen dürfen am Sonntag die Bürgerschaft wählen.
> Şuayip Karakuş würde gern, will dafür aber nicht den türkischen Pass
> abgeben
Bild: Engagiert sich für die Gemeinschaft, darf aber nicht wählen: Şuayip Ka…
Von Lukas Ziegler
Vor der Türkischen Gemeinde haben im Wahlkampf viele Politiker*innen
gesprochen. Auch Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) war da, um die
wichtige Wähler*innengruppe nicht zu vernachlässigen. Der Hamburger Şuayip
Karakuş saß dann dort und wusste nicht, ob er lieber bleiben oder gehen
soll. „Man denkt sich: Warum höre ich überhaupt zu, wenn ich eh nicht
wählen darf?“, sagt der 55-Jährige, der sich im Vorstand der Gemeinde
engagiert. Denn obwohl Karakuş vor mehr als 30 Jahren nach Deutschland kam
und Hamburg schon lange sein Zuhause ist, darf der Unternehmer bei der
Bürgerschaftswahl am kommenden Sonntag nicht mitentscheiden. So will es das
Wahlrecht. Ihm fehlt der deutsche Pass.
Karakuş in seinem Büro zu treffen, fühlt sich ein wenig so an wie eine
Audienz beim türkischen Konsul. Den Raum dominiert ein großer, dunkler
Schreibtisch. Die Nationalflagge der Türkei, ein Bild von
Türkei-Gründervater Kemal Atatürk und das Wappen des Fußballvereins
Fenerbahçe Istanbul hängen an der Wand. All das sind für Karakuş noch heute
wichtige Bezugspunkte, aber Hamburg ist sein Lebensmittelpunkt. Hier sind
seine beiden Kinder geboren und aufgewachsen. Hier hat er vor zehn Jahren
seine eigene Firma für Wasserfiltersysteme gegründet. Und hier fühlt er
sich wohl. „Ich liebe diese Stadt“, sagt er und strahlt aus, dass er seinen
Platz gefunden hat, wie er da im frisch gebügelten Hemd, Sakko und Krawatte
an seinem Schreibtisch sitzt. Mittlerweile habe er auch viele deutsche
Geschäftspartner und er verstehe sich gut mit den Nachbar*innen.
Dass er in der Stadt, in der er sich so viel aufgebaut hat, nicht mitwählen
darf, macht den Geschäftsmann wütend. „Ich bin treuer Bürger dieses Landes,
halte mich an Regeln und Gesetze, arbeite hart und zahle meine Steuern.“ Es
sei nicht fair, dass er trotzdem nicht mitentscheiden dürfe. „Wer fünf
Jahre oder länger hier lebt, sollte wählen dürfen“, fordert Karakuş.
Das Wahlgesetz sieht das nicht vor: An der Bürgerschaftswahl darf nur
teilnehmen, wer mindestens 16 Jahre alt ist, länger als drei Monate in
Hamburg wohnt und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Bei
Bezirksratswahlen dürfen zumindest EU-Bürger*innen mitentscheiden. Conni
Gunßer vom Flüchtlingsrat in Hamburg hält es für sinnvoll, diese Regelung
zu überdenken: „Alle, die hier leben, sollten auch wählen dürfen“, sagt
sie. „Alle müssen die Lebensverhältnisse mitbestimmen können.“
Bisher müsste Karakuş seine türkische Staatsbürgerschaft abgeben, um die
deutsche zu bekommen und mitwählen zu dürfen. Das möchte er nicht. „Die
Türkei ist ein wichtiger Teil meines Lebens, dort bin ich aufgewachsen.“
Irgendwann wolle er mit seiner Frau zurückgehen. Bis heute nehme er dort an
Wahlen teil.
Auch in Deutschland ist er engagiert. Er kümmert sich in der Türkischen
Gemeinde um die Vernetzung von türkischen Geschäftsleuten in Hamburg. Es
gehe ihm auch darum, Menschen zusammenzubringen, die sich nicht vollständig
in die Gesellschaft integriert fühlten. In der Gemeinschaft werde versucht
das aufzufangen, Erfahrungen und Probleme auszutauschen und auch mit der
Politik in Kontakt zu treten.
Dass sie nicht wählen dürften, sorge auch bei anderen Hamburger*innen ohne
deutschen Pass für Frust. Karakuş wünscht sich, dass die Politiker*innen
noch präsenter sind in der türkischen Community. „Sie könnten auch
Wahlwerbung im türkischem Fernsehen schalten“, meint er, um Interesse zu
wecken. Voraussetzung dafür sei aber, sie dürften auch mitwählen.
17 Feb 2020
## AUTOREN
Lukas Ziegler
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