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# taz.de -- WillkommeninReihezwei
> Werden Migrantinnen und Migranten nicht zum Vorzeige-Beispiel ihrer
> Partei, landen sie hinten auf den Wahllisten und niemals auf der
> Senatsbank. So wird es auch bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg laufen.
> Aber warum ist das immer noch so? 43–45
Text Marco Carini und Sabrina Winter Foto Miguel Ferraz
Kazim Abaci und David Erkalp sitzen bereits seit Jahren als Abgeordnete in
der Hamburgischen Bürgerschaft, der eine für die SPD, der andere für die
CDU. Beide haben einen türkischen Background, so wie fast alle der derzeit
zwölf Bürgerschaftsabgeordneten mit Migrationshintergrund. Beide gelten in
ihrer jeweiligen Partei als Vorzeigemigranten, was immer mehr nach Quote
denn nach Qualifikation klingt. Und bei allem, was Abaci und Erkalp
politisch trennt, in einem sind sie sich einig: Hamburgs Politik und
Hamburgs Parlament braucht mehr MigrantInnen.
35,5 Prozent der HamburgerInnen haben einen Migrationshintergrund. Bei den
Minderjährigen ist es sogar mehr als jedeR Zweite. In der Hamburgischen
Bürgerschaft hingegen hat nur knapp jedeR zehnte Abgeordnete ausländische
Wurzeln.
Die meisten Parteien leisten sich ein bis zwei VorzeigemigrantInnen, die
auf der Wahlliste abgesichert sind. So weisen die Parteien nach, wie
weltoffen sie sind, dass man es in dem Laden nicht nur als Bio-DeutscheR zu
was bringen kann. Die SPD hat Kazim Abaci und Milda Bekeris, die CDU David
Erkalp, die Grünen Filiz Demirel, die Linke baut auf Cansu Özdemir, eine
der jüngsten Fraktionschefinnen. Nur die AfD kann keinen Migranten und
keine Migrantin vorweisen, soll sich dem Vernehmen nach aber auch nicht
wirklich darum bemüht haben.
Wen die Partei nicht auswählt, um für ihr Multikulti-Image zu werben, hat
schlechte Karten. „Es werden viel mehr KandidatInnen mit
Migrationsbiografien auf den Wahllisten aufgestellt – die meisten aber
landen auf den hinteren, fast chancenlosen Plätzen“, sagt Abaci. Wer hinten
landet, müsse „alles tun“, um über Personenstimmen auf der Liste nach
weiter vorn und ins Parlament zu kommen.
Als mahnendes Beispiel nennt Abaci die ehemalige Grüne Nebahat Güclü. Die
stand bei der Bürgerschaftswahl 2015 auf dem fast aussichtslosen Platz 25
der grünen Landesliste und sie warb im Wahlkampf auch bei einer türkischen
Vereinigung um Stimmen, die den rechtsextremen Grauen Wölfen nahesteht.
Tatsächlich gelang es Güclü, ein Mandat zu holen. Doch die Grünen wollten
sie nach ihrem umstrittenen Wahlkampfauftritt nicht mehr in ihren Reihen
haben.
Warum MigrantInnen in der Politik so selten aufsteigen? „Die Strukturen der
Parteien sind oft verkrustet“, sagt eine türkischstämmige
Bürgerschaftsabgeordnete. Im Klartext heißt das: Meist sind es deutsche,
ältere Männer, die in den Orts- und Kreisverbänden die Strippen ziehen,
selbst die Machtpositionen besetzen oder zumindest steuern, wer in welcher
Funktion landet. In fast allen Parteien hat sich inzwischen zwar die
Erkenntnis durchgesetzt, dass es wichtig ist, auch Frauen nach vorn zu
bringen, manche haben sich Quoten auferlegt, um das zu gewährleisten. Für
MigrantInnen gibt es aber keine Quoten.
Sollte es eine geben? Jeder dritte Listenplatz auf Migrationsticket? „Ich
weiß nicht, ob das der richtige Weg ist“, sagt Erkalp. „Doch wer das
Parlament ernsthaft zum Spiegelbild der Gesellschaft machen will, muss
darüber zumindest ernsthaft diskutieren.“
Abacis und Erkalps Weg in die Bürgerschaft verlief grundverschieden. Der in
der Türkei geborene Abaci, früher Mitglied der Grünen und dann zur SPD
gewechselt, wurde vor zehn Jahren von der Parteispitze gefragt, ob er für
die Bürgerschaft kandidieren wollte. Er passte ins KandidatInnen-Portfolio
der SPD. Natürlich wurde er migrationspolitischer Sprecher und ist heute
einer der profiliertesten Köpfe der SPD-Fraktion. Im Februar tritt er auf
Platz Nr. 13 der SPD-Landesliste an, der als „ziemlich sicher“ für den
Einzug in die Bürgerschaft gilt.
Erkalp gehört der christlich-orthodoxen Minderheit der Aramäer an. Er
organisierte 2007 einen Masseneintritt von 88 Personen in den
CDU-Ortsverband Hamburg-Billstedt, unter ihnen Mitglieder der aramäischen
Gemeinde. Sie wählten Erkalp zum Billstedter CDU-Chef und sicherten ihm bei
der Wahl 2008 ein Bürgerschaftsmandat. In der CDU, aber auch in den Medien,
war damals von Unterwanderung und Putsch die Rede.
Ein Modell, das Schule machte. 2014 versuchte der bei seiner Partei in
Ungnade gefallene ehemalige SPD-Sprecher Bülent Ciftlik (SPD) durch den
gemeinsamen Eintritt von rund 80 Bekannten in die Altonaer SPD – die
meisten wie Ciftlik mit deutsch-türkischem Migrationshintergrund – ein
Wahlkreismandat für die Bürgerschaftswahl zu erhaschen. Der Versuch
scheiterte, weil die Altonaer SPD einen Aufnahmestopp verhängte. Und auch
vor der Nominierung des Deutsch-Pakistaners Gulfam Malik (SPD) im Wahlkreis
Fuhlsbüttel-Langenhorn gab es viele Neueintritte in den dortigen
SPD-Ortsverband.
Inzwischen, sagt eine Hamburger Abgeordnete mit Migrationshintergrund,
„klingeln in allen Parteien die Alarmglocken, wenn irgendwo mehr als drei
MigrantInnen innerhalb kurzer Zeit in einen Ortsverband eintreten“. Was für
viele Parteimitglieder als „feindliche Übernahme“ daherkommt, ist für Dav…
Erkalp „ein ganz normaler demokratischer Prozess“. Mobilisierten deutsche
PolitikerInnen ihren halben Kegelklub zum Parteieintritt, krähe kein Hahn
danach, mobilisiere jemand mit migrantischen Wurzeln seine Community, gebe
es einen Aufschrei.
Es sei völlig legitim, wenn jemand in eine Partei eintrete, um eine
Kandidatin oder einen Kandidaten zu unterstützen. Ein anderer Abgeordneter
mit Migrationshintergrund formuliert es noch drastischer: „Anders haben die
meisten von uns überhaupt keine Chance, politische Ämter zu besetzen.“
Eine zu enge Verbindung zur eigenen Community hat aber ihren Preis. „Oft
gibt es eine rein religiöse oder ethnische Mobilisierung, dann geht es
weniger um Inhalte, sondern mehr um die Frage, wer ist Türke, wer Afghane,
wer Alevit, wer Sunnit?“, sagt Abaci. Sein Anspruch sei es aber, „Politik
für die ganze Stadt und nicht nur eine Community zu machen“.
Nach der Wahl am 23. Februar wird es in Hamburg vermutlich nicht mehr
Bürgerschaftsabgeordnete mit Migrationshintergrund geben als bisher – also
rund ein Dutzend (siehe Kasten). Und mehr als AbgeordneteR geht sowieso
nicht. Zwar hat beispielsweise die SPD sechs ParlamentarierInnen mit
Migrationshintergrund in ihren Reihen, doch, sagt Erkalp, „hat es auch in
der rot-grünen Hamburger Koalition noch kein Migrant zum Staatssekretär
oder gar zum Minister gebracht“.
15 Feb 2020
## AUTOREN
Marco Carini
Sabrina Winter
Miguel Ferraz
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