# taz.de -- Aber ich werde bleiben | |
> 26 Lieder für 26 Pflanzen: Eine Soundinstallation im Botanischen Garten | |
> findet im Großen Tropenhaus Brasiliens Kolonialgeschichte | |
Von Beate Scheder | |
Chlorophyll, so weit die Augen reichen, Palmen und Bäume bis hoch zur | |
gläsernen Decke, an denen sich Kletterpflanzen hochranken, am Boden | |
ausladende Blätter, von deren glänzender Oberfläche Tau perlt – wahrhaft | |
paradiesisch mutet das Große Tropenhaus des Botanischen Gartens an, schon | |
gar im Februar. Je tiefer man jedoch in das grüne Dickicht blickt und das, | |
was da so wächst, unter die Lupe nimmt, desto zwiespältiger könnte der | |
Eindruck werden, denn: Woher stammen diese Pflanzen eigentlich und wie sind | |
sie überhaupt hierhergekommen? | |
In den Sinn kommen könnten einem solche Fragen, zumindest falls man beim | |
Wandeln und Schauen einen der Kopfhörer der Soundinstallation „You will go | |
away one day but I will not“ aufhat. Jene Arbeit, hinter der die Künstlerin | |
Maria Thereza Alves und die Komponistin Lucrecia Dalt stecken, entstand | |
eigentlich für das am vergangenen Wochenende zu Ende gegangene | |
CTM-Festival. Nun wurde die Laufzeit um gute zwei Wochen verlängert, wegen | |
des großen Erfolgs beim Publikum. | |
Es ist tatsächlich ein fantastisches, die Sinne verzückendes | |
Gesamtkunstwerk, das einem dort zwischen Bambus und Begonien geboten wird, | |
ein „3-D-Hörgemälde“, wie es im Flyer zur Installation gar nicht einmal | |
übertrieben heißt. Sensoren, die im Tropenhaus verteilt sind, reagieren auf | |
die Bewegungen der Besucher:innen, verschachteln die Soundelemente der | |
Komposition individuell für jede:n immer wieder aufs Neue, Stimmen der | |
Regenwälder, zirpende und sirrende Naturgeräusche, prasselnder Regen, | |
rhythmisch verwoben mit 26 Liedern. | |
Es sind 26 Lieder für 26 Pflanzen, Pflanzen, die ursprünglich aus Brasilien | |
stammen – wie Maria Thereza Alves – Pflanzen, die zum Großteil dort aber | |
nicht mehr wachsen, weil es die Wälder, in denen sie heimisch waren, nicht | |
mehr gibt. Überlebt haben sie in den botanischen Gärten in Dahlem und | |
anderswo in Europa, als exotische Nutz- oder immerhin Zimmerpflanzen und | |
mit wissenschaftlichen Namen, die sich meist von denjenigen ableiten, die | |
behaupteten, sie entdeckt zu haben und in ihre Heimat mitnahmen. | |
Worum es in der Arbeit von Alves und Dalt geht, ist genau das: die | |
komplizierte, von Kolonialismus, Migration und westlich dominierter | |
Wissenschaft geprägte Herkunftsgeschichte der Pflanzen, die hier in Dahlem | |
so hübsch und unschuldig vor sich hin wachsen. Alves, die schon länger mit | |
einer Guaraní-Gemeinschaft im Jaguapiru Reservat in Dourados | |
zusammenarbeitet, brachte eine Auswahl der Pflanzen zu diesen zurück. | |
Alternative Namen entstanden auf diese Weise und Lieder, zu jeder der | |
Pflanzen eines. Die stehen nun auf kleinen roten Schildern neben den weißen | |
mit den wissenschaftlichen Bezeichnungen. Die Lieder sind zu hören, sobald | |
man sich ihnen nähert. Lesend und hörend ergibt sich so eine Ahnung von der | |
von Traditionen und Geschichte geprägten Weltsicht der Guaraní, formuliert | |
wie kleine Gedichte und – das macht den großen Unterschied – aus der | |
Perspektive der Pflanze. Die Ctenanthe burle-marxii, als Zimmerpflanze | |
bekannt als Korbmarante, heißt dann etwa „Apere yvo Jehechaukarã temity-gue | |
hecharã mandu’a“ – „Meine Blätter sind feucht. Ich bin eine Pflanze, … | |
nur zur Erinnerung betrachtet werden sollte.“ | |
Der Titel der Installation übrigens leitet sich ebenfalls von einem der | |
Guaraní-Pflanzennamen ab: „Yvoty mboporã pónhuregua“ – „Fünfblättr… | |
Blume, entstanden aus der Essenz der Felder und Wälder: Eines Tages wirst | |
du weg sein, aber ich werde bleiben.“ Es handelt sich um eine Seekannenart, | |
die wie ein blühender Teppich Seen und Teiche bedeckt, benannt nach ihrem | |
Entdecker Alexander von Humboldt: die „Nymphoides humboldtiana“. | |
Täglich bis 16. Februar, Mo.–Do. 14–19 und Fr.–So. 11–19 Uhr | |
7 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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