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# taz.de -- gedenken an auschwitz-befreiung: Gemeinsames Gedenken
> In Berlin steuern Menschen an einem Tag vier Mahnmale an und gedenken der
> Opfer des Nationalsozialismus gemeinsam: Juden, Sinti und Roma,
> Behinderte und Homosexuelle
Bild: Lea Rosh (l.), Initiatorin des Holocaust-Mahnmals, zusammen mit Geistlich…
Aus Berlin Jonas Julino
Auf den Dächern des Reichstags wehen am 27. Januar die Flaggen der
Europäischen Union und der Bundesrepublik auf Halbmast. Zum 75. Mal jährt
sich an diesem Tag die Befreiung des deutschen Konzentrationslagers
Auschwitz. Anlässlich des Jahrestags gedenken vielerorts Menschen der
Opfer des Nationalsozialismus. So auch in Berlin.
„Gemeinsam erinnern“, so das Motto der Anmelder, der Stiftung Denkmal. Der
Gedenkmarsch führt an diesem Montag vom Holocaust-Mahnmal für die
ermordeten Juden Europas über den Gedenkort für die nationalsozialistischen
„Euthanasie“-Morde zum Denkmal für die verfolgten Homosexuellen bis zum
Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma. Dort, um den kreisrunden Brunnen
des Denkmals im Tiergarten, stehen gegen Mittag einige Hundert Menschen
zusammen und gedenken mit einer Schweigeminute der Opfer des Naziterrors:
Es sind Alte und Junge, viele in Schwarz gekleidet, ein Mann trägt eine
Regenbogenfahne.
Eine der letzten Rednerinnen der dreistündigen Veranstaltung ist die
Auschwitz-Überlebende Rita Prigmore. Unter den rund 500.000 Opfern des
Porajmos, wie der nationalsozialistische Genozid an Sinti und Roma auf
Romanes heißt, war auch ihre Zwillingsschwester. Mit ruhiger, leiser Stimme
erzählt die Greisin vom Leid ihrer Familie, den medizinischen
Untersuchungen an ihrer Mutter und den beiden Schwestern. Trotz des
erlittenen Unrechts appelliert Prigmore: „Hassen wir nicht diejenigen, die
uns fremd vorkommen. Gehen wir aufeinander zu und überwinden unsere
Vorurteile.“
Prigmore warnt vor den rechtsradikalen Parteien in europäischen
Parlamenten, dem aufkommenden Geschichtsrevisionismus und der Verharmlosung
der NS-Zeit in Teilen der Gesellschaft. „Wir müssen zusammen eine
Gesellschaft schaffen, in der Minderheiten nicht mehr diskriminiert werden.
Erheben wir unsere Stimme gegen die Gleichgültigkeit“, sagt die kleine Frau
zu den Umstehenden.
Bereits um 10 Uhr startete die Gedenkveranstaltung am Holocaust-Mahnmal.
Menschen legten zahlreiche weiße Rosen und Kränze an den grauen Stelen
nieder, zündeten Kerzen an. Die Publizistin und Mitinitiatorin des
Mahnmals, Lea Rosh, sagte, die „Schandtaten“ der Deutschen dürften niemals
relativiert werden. Der Berliner evangelische Bischof Christian Stäblein
sagte, es sei Aufgabe der Deutschen, die Namen der Opfer zu erinnern. Es
dürfe nicht aufgehört werden, sie zusammenzutragen und „sie dem Vergessen
in einer bloßen Zahl zu entreißen“.
Vom Denkmal für die ermordeten Juden Europas zogen viele weiter zum Gedenk-
und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen
„Euthanasie“-Morde. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen
Dusel, warnt, Sprache könne den Boden für Taten bereiten. Auch 75 Jahre
später werde das Wort „behindert“ immer noch als Schimpfwort benutzt.
„Deshalb müssen wir gegen jede Herabwürdigung von Menschen ankämpfen.“
Mindestens 200.000 Männer, Frauen und Kinder sollen während der NS-Zeit
aufgrund ihrer Behinderungen ermordet worden sein. Schätzungsweise 400.000
Menschen wurden deshalb zwangssterilisiert.
Vor dem 2008 eingeweihten Denkmal für die während der NS-Zeit verfolgten
Homosexuellen hielt der Trauerzug ein weiteres Mal inne. Wie Menschen mit
Behinderung wurden auch Homosexuelle von den Nationalsozialisten verfolgt
und in Arbeits- oder Konzentrationslager verschleppt und im schlimmsten
Falle ermordet. Für Jörg Steinert, Geschäftsführer des Lesben- und
Schwulenverbands Berlin-Brandenburg, ist es keine Selbstverständlichkeit,
vor diesem Denkmal zu sprechen, stand doch Homosexualität in
Westdeutschland bis 1984 noch unter Strafe. In seiner Rede lobt Dusel
Erinnerungsveranstaltungen wie diese, denn nur in einer „offenen
Gesellschaft könnten Vielfalt und Respekt gelebt werden“.
Auch den Weg zum letzten Andachtsort legten die Menschen wieder geschlossen
zurück. In einer letzten Schweigeminute gedenken sie noch einmal all der
unterschiedlichen Opfer des Nationalsozialismus.
28 Jan 2020
## AUTOREN
Jonas Julino
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