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# taz.de -- Bedeutende Beziehung
> Katharina Thalbach und Sandra Quadflieg haben ein Hörbuch mit der
> Korrespondenz von Hannah Arendt und Mary McCarthy aufgenommen
Von Jan Jekal
Hitler täte ihr leid, ließ die amerikanische Autorin Mary McCarthy auf
einer Party verlauten, in Manhattan, 1945. Sein Traum, von allen Völkern,
die er erobert hatte, verehrt zu werden, würde nicht wahr werden. Für
solche Provokationen hatte Hannah Arendt wenig übrig. Die Theoretikerin war
bereits 1933 aus Deutschland geflohen, hatte acht Tage in Gestapo-Haft
verbracht. Voller Verachtung und Entsetzen hatte sie feststellen müssen,
wie sich ihre intellektuellen Weggefährten bereitwillig dem
Nationalsozialismus ergeben hatten. Sie war zunächst nach Frankreich
geflüchtet, später nach New York, die Nazis bürgerten sie aus, und die
Amerikaner bürgerten sie (noch) nicht ein, und so saß sie nun da, als
Staatenlose in diesem illustren New Yorker Zirkel, während aus Europa
größte Grausamkeiten berichtet wurden, und musste sich von einer
privilegierten Theaterkritikerin anhören, sie habe Mitgefühl mit Hitler.
„Wie können Sie so etwas in meiner Gegenwart sagen?“, poltert Katharina
Thalbach als Hannah Arendt los. „Vor einem Opfer Hitlers! Einem Menschen,
der im Konzentrationslager gewesen ist!“ Sandra Quadflieg als Mary McCarthy
richtet sich ans Publikum: „Ich konnte das nicht wiedergutmachen. Drei
Jahre ignorierten wir uns. Aber dann, bei einem politischen Treffen, bei
dem wir beide Frauen uns in der Minderheit befunden haben, wandte Hannah
sich zu mir und sagte“ – und jetzt wieder Thalbachs Arendt, jovial
losquarzend: „Machen wir doch Schluss mit dem Unsinn! Wir denken doch so
ähnlich.“ McCarthy entschuldigte sich für die Hitler-Bemerkung. Und Arendt
gestand, nie im Konzentrationslager gewesen zu sein.
Eine missglückte erste Begegnung als Ausgangspunkt einer bedeutenden
Beziehung; wie in einer romantischen Komödie. Die europäische Theoretikerin
und die amerikanische Schriftstellerin schrieben sich nach diesem zweiten
Treffen regelmäßig und mit immer größerem Vertrauen, bis zu Arendts Tod
1975. Ihre fast dreißigjährige Korrespondenz haben die Schauspielerinnen
Thalbach und Quadflieg als Hörbuch aufgenommen, das sie am Dienstagabend im
Pfefferberg Theater vorstellen, mit einer gut einstündigen Lesung einer
Auswahl der Briefe. In die Tiefe gehen sie natürlich nicht, schließlich
überfliegen sie drei Jahrzehnte in sechzig Minuten, aber unterhaltsam und
auch berührend ist die Veranstaltung allemal. Gerade Thalbach hängt sich
rein, ihre Arendt ist sprunghaft, lebendig, fahrig, ein ruheloser Geist.
Sie schaltet nicht ab, wenn Quadfliegs McCarthy dran ist, sondern reagiert,
bleibt in der Rolle, gestikuliert nachdrücklich und entwirft Arendt als
leidenschaftliche und aktive Denkerin.
„Liebste …“, so beginnen beide Frauen ihre Briefe, die gegenseitige
Zuneigung ist in jeder Zeile offenbar. Sie sprechen über Depression
(Arendt: „Ich wollte mir partout nicht eingestehen, dass ich eine
Depression hatte – woraufhin ich sie loswurde“), theoretisieren das
Alltägliche (Arendt: „Wir erkennen einander an dem, was uns gefällt und
nicht gefällt“), spielen auch abgründige Szenarien durch (McCarthy: „Warum
sollte ich meine Großmutter nicht umbringen, wenn ich das will?“), sind
Vertraute und Weggefährtinnen, halten zueinander, wenn ihre Texte heftige
Anfeindungen provozieren. Arendt geht nach Jerusalem und berichtet für den
New Yorker vom Eichmann-Prozess, McCarthy reist einige Jahre später nach
Vietnam und produziert wichtige Kriegsreportagen.
Arendt stirbt vor McCarthy, ein Herzinfarkt, das nächste Manuskript steckt
noch in der Schreibmaschine. Keine neuen Briefe, aber auch kein Verstummen.
McCarthy wird zu Arendts Herausgeberin und führt das Gespräch weiter.
23 Jan 2020
## AUTOREN
Jan Jekal
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