# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Annina Bachmeier: Lebenspraktische Tipps… | |
Das Wochenende beginnt illusionslos und schmerzhaft, passend zur Berliner | |
Wintertristesse: Am Freitagnachmittag stolpere ich auf der Gneisenaustraße | |
– mitten in Kreuzberg, falle hin, zerreiße meine Hose und schürfe mein Knie | |
auf. Hinfallen in der Öffentlichkeit gibt mir eine besondere | |
Gefühlsmischung aus Demütigung, Schwäche zeigen müssen und dem harten | |
Aufprallen auf die nackte Realität. Weil es meistens passiert, wenn ich | |
gedankenverloren vor mich hin schlurfe, bin ich mir danach meiner eigenen | |
Person und Verletzlichkeit unangenehm stark bewusst. | |
Meinen Sturz macht sich gleich ein Vater, der hinter mir läuft, zunutze, um | |
seinem Sohn einen lebenspraktischen Tipp zu geben, den man so auch | |
eingebacken in einem Glückskeks finden könnte: Der Sohn solle keine Angst | |
haben zu fallen, das Wichtigste sei, danach wieder aufzustehen. Ich rappele | |
mich also wieder hoch und finde Fallen eigentlich schon eher schlimm, wegen | |
dem harten Realitätscheck, weil ich als Fallbeispiel für Kindererziehung | |
benutzt werde, weil meine Hose kaputt ist und mein Knie weh tut. | |
Am Freitagabend esse ich mit A. bei mir zu Hause Curry. A. versucht mich zu | |
überreden, mit auf eine Party zurück ins verfluchte Kreuzberg zu kommen. | |
Ich erzähle von meinem Sturz und zeige ihm mein verletztes Knie. A. sagt, | |
dass sich das nicht besonders schlimm anhört und auch nicht besonders | |
schlimm aussieht und noch lange kein Grund sei, abends nicht mehr | |
rauszugehen. Ich finde schon. A. zieht schließlich alleine ab – ich gehe | |
schlafen. | |
Am Samstag sind meine Illusionen zum Glück zurückgekehrt, ich fühle mich | |
der Realität weniger nahe und treffe B. im Wolf Kino, um „Die Sehnsucht der | |
Schwestern Gusmão“ zu sehen. Es geht um zwei Schwestern, die jahrzehntelang | |
unweit voneinander in Rio gelebt haben, während sich beide gegenseitig in | |
Europa glaubten. Aus Zufall und weil sie von ihrem | |
machistisch-hinterlistigen Vater und einem Ehegatten getäuscht wurden, | |
sollten sie sich nie wieder treffen. | |
Als wir nach dem Film auf die düster daliegende Weserstraße hinausgehen, | |
sind wieder ein paar meiner Illusionen gestorben und ich widerspreche im | |
Geheimen dem Glückskeks-Ratschlag des Kreuzberger Vaters: Zufälle und | |
Fälle, nicht-passieren und passieren können schlimm sein, es geht nicht | |
immer ums Wiederaufstehen als Endprodukt, als endgültig anzustrebende | |
Konsequenz. | |
B. und ich laufen auf der Suche nach einem Platz in einer der | |
samstagabendlich vollgestopften Bars die Weserstraße auf und ab. Als wir | |
schließlich etwas finden, bestellt B. ein alkoholfreies Bier, wegen „Dry | |
January“ und weil sie einer Fettleber vorbeugen möchte. Ich will erst auch, | |
dann entscheide ich mich aber in einem letzten Versuch, meiner tristen | |
Stimmung zu entfliehen, doch für Alkohol. Leider hilft Alkohol heute nicht | |
und lullt mich im schalen Biergeruch dieser düsteren Kneipe nur in eine | |
schläfrige Stimmung. Ich sehne mich nach einem langen Winterschlaf. | |
B. will als Ausgleich für ihr alkoholfreies Bier eine rauchen gehen. Der | |
Raucherbereich ist komplett voll und uns ist eher nach heimgehen, deshalb | |
stehen wir ziemlich schnell wieder auf der Straße und schlendern rauchend | |
Richtung Hermannplatz. | |
In der U-Bahn nach Hause sitze ich eingequetscht zwischen zwei große Typen, | |
als ein Betrunkener seine volle Bierflasche zum Spaß durch den Gang rollen | |
lässt und sich als Krönung dieses Wochenendes ein fröhlicher kleiner | |
Bierbach über meine Turnschuhe ergießt. | |
21 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Annina Bachmeier | |
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