# taz.de -- Mit Hannah Arendt getanzt | |
> Der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Dolf Sternberger befriedigt | |
> nicht als Dokument ihrer Freundschaft | |
Bild: Hannah Arendt, 1960 | |
Von Klaus Bittermann | |
Hannah Arendt und Dolf Sternberger waren seit Studientagen befreundet. Bei | |
ihrem nun erschienenen Briefwechsel setzt der Rowohlt Verlag ein | |
eigenartiges Interesse beim Leser voraus, denn das Ganze liest sich über | |
weite Strecken wie ein Terminkalender. Es werden Treffen vereinbart und | |
Einladungen, Reisen, Auftritte und Besuche koordiniert. Dafür kann das Buch | |
mit erstaunlichen Details und einem manchmal überbordenden Fußnotenapparat | |
aufwarten, in dem der Herausgeber Udo Bermbach der Nachwelt mitteilt, dass | |
er bei einem Empfang an der Uni Heidelberg „die Ehre“ gehabt habe, von | |
Hannah Arendt zum Tanz aufgefordert worden zu sein. | |
Ebenfalls erstaunlich sind drei Standardschreiben, wie sie typisch für | |
Beamte im höheren Dienst waren und die von Bermbach selbst stammen. Als | |
Assistent Sternbergers fragt er Arendt, ob sie einen Beitrag zu einer | |
Festschrift zum 60. Geburtstag Sternbergers beisteuern würde, bekommt aber | |
nur eine ebenso standardisierte Antwort zurück, was irgendwie auch nicht | |
wundert. Wer das alles ganz genau wissen will, wird also bestens bedient. | |
Schließlich taucht auch noch der gleiche Brief zweimal unter verschiedenen | |
Datumsangaben auf. | |
Sonst allerdings erfährt man relativ wenig, was auch daran liegt, dass Dolf | |
Sternberger ein typischer Vertreter eines deutschen Gremienschriftstellers | |
und Akademikers war, der sich vermutlich mehr mit seinen Verpflichtungen | |
als Funktionär (unter anderem im PEN) und mit seiner akademischen Karriere | |
beschäftigte als mit dem, was in der Welt gerade so passierte. Darüber | |
erfährt man aus dem Briefwechsel erstaunlicherweise so gut wie nichts, | |
weder über die deutsche Nachkriegsgesellschaft noch über den Vietnamkrieg | |
oder die Studentenunruhen und die riesige Debatte, die Arendts | |
Eichmann-Buch ausgelöst hat, erwähnt er nur, um elegant auf ein eigenes | |
Werk hinzuweisen. | |
Sternberger war zwar ungeheuer fleißig und hat sich auch zweifellos | |
Verdienste erworben, unter anderem als Autor des „Wörterbuchs des | |
Unmenschen“, aber ihn als originellen Denker zu bezeichnen, darüber wird | |
vermutlich keine hitzige Debatte entbrennen. Das war auch Hannah Arendt | |
klar, die Sternberger nicht zu den hellsten Köpfen zählte und die | |
vielleicht deshalb ihre Fähigkeiten als Briefeschreiberin nicht sonderlich | |
bemüht, die sie in ihrer Korrespondenz mit Mary McCarthy, Heinrich Blücher | |
oder Karl Jaspers unter Beweis gestellt hat, wo sie in ihrer schnoddrigen | |
Art glänzte. Hier hat man manchmal den Eindruck, dass sie sich dem Niveau | |
Sternbergers anpasst. | |
Manchmal aber geht ihr Sternberger aber auch ziemlich auf die Nerven, wie | |
sie Jaspers einmal mitteilte, denn als ihr Sternberger eins seiner Bücher | |
widmen will, war ihr das äußerst unangenehm, während sie gegenüber | |
Sternberger so tat, als fühlte sie sich gebauchpinselt. Das wirft natürlich | |
ein etwas eigenartiges Licht auf ihr Konzept der Freundschaft, das immer | |
wieder hoch gelobt wird. Aber auch Arendt hat im akademischen Dschungel | |
ihren Vorteil gesucht und andere Leute dafür funktionalisiert. Das ist zwar | |
keine nette, aber menschliche Seite, wobei sie über diese Schwäche hinaus | |
eine originäre Denkerin war. | |
Wie um das zu beweisen, finden sich im Buch zwei wichtige Texte Hannah | |
Arendts, die als Vorabdruck in der von Sternberger herausgegebenen | |
Zeitschrift Wandlung erschienen waren. Man weiß zwar nicht genau, aus | |
welchem Grund diese Texte dem Briefwechsel beigefügt wurden, aber sie | |
erhellen, wie der Text über „Konzentrationslager“, die Verfasstheit der | |
deutschen Gesellschaft, in der solche Dinge geschehen konnten und in der, | |
wie Arendt einmal schreibt, der Antisemitismus so schlimm wie noch nie | |
ist. | |
Sternberger macht damals Arendt den Vorschlag, ihn während seiner | |
Abwesenheit als Herausgeber und Redakteur der Wandlung zu vertreten, worauf | |
sie ihm fast schon etwas ungehalten zurückschreibt: „Warum sollte ich mich | |
freiwillig in eine Situation bringen, wo ich dauernd von Leuten umgeben | |
wäre, die m. E. nur mit der Feuerzange anzufassen sind?“ Das ist eine der | |
wenigen Stellen, die nicht nur lesenswert, sondern auch die extrem | |
unterschiedlichen Situationen der beiden deutlich macht. Ein bisschen wenig | |
für 480 Seiten. | |
Hannah Arendt, Dolf Sternberger: „,Ich bin Dir halt ein bißchen zu | |
revolutionär‘. Briefwechsel 1946 bis 1975“. Rowohlt Berlin, 2019, 480 | |
Seiten, 38 Euro | |
7 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Klaus Bittermann | |
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