# taz.de -- Mit großem Leidensdruck | |
> Ein gewaltvoller Alltag prägt die Arbeiten der KünstlerInnen aus | |
> Guatemala, die in der Schau „This might be a place for humming birds“ in | |
> der Galerie im Körnerpark zu sehen sind | |
Bild: Regina José Galindo, ein Bild aus der Foto- und Performance-Reihe „Pre… | |
Von Katrin Bettina Müller | |
Es sind zwar nur dünne Bleistiftlinien, doch sie scheinen durch Raum und | |
Zeit fliegen zu können. Sie bezeichnen eine Bergkette, einen Horizont, eine | |
Kluft, mal ist der Himmel oben, mal unten, mal wachsen die Kronen der | |
kleinen gestrichelten Bäumchen nach oben, mal nach unten. Der Horizont | |
krümmt sich, als hätte sich die Welt zu schnell gedreht. Meteoriten | |
schlagen ein, Planeten treiben vorbei, es könnten auch Raumschiffe sein. Am | |
Rand eines Blattes springen die Linien zum nächsten über, die fantastische | |
Landschaft wächst weiter, Tunnel und Höhlen öffnen sich. Wo ein Ende der | |
einen Sphäre scheint, schiebt sich eine weitere in den Blick. | |
Mit Wäscheklammern sind die teils nur DIN-A4 großen Zeichnungen von Alfredo | |
Ceibal vor den Fenstern der Galerie im Körnerpark an einer Leine befestigt, | |
beiläufiger geht es wohl kaum. Winzige Figuren fliegen in einem Bogen über | |
das Blatt, andere sind in Kuben verschlossen. Sie sind größer und erinnern | |
in ihrer Haltung an die steinernen Reliefs der Maya-Kultur. | |
Alfredo Ceibal, Künstler aus Guatemala, 1954 geboren, gehört zu den zwölf | |
Teilnehmern der Ausstellung „This might be a place for humming birds“, die | |
sich alle auf Guatemala, die Kultur der Maya und die Gegenwart des Landes | |
beziehen. Bei Ceibal gehen die Maya-Elemente eine liebevolle Verbindung mit | |
futuristischen Details ein, als könnte die vorkoloniale Vergangenheit, in | |
einer Zeitkapsel verschlossen, in die Zukunft reisen. | |
Auf einen anderen Weg begibt sich die Maya-Kultur in der „Coleccion Poyon“, | |
seit 2014 von den Brüdern Angel und Fernando Poyon angelegt. In Vitrinen | |
und an der Wand sieht man Fotografien und Filmausschnitte, Bierkrüge und | |
Labels von Getränkemarken, bedruckte Stoffe und Revuekostüme, Comic- und | |
Zeichentrickfiguren, die sich alle mehr oder weniger bei den Artefakten und | |
Mythen der Maya-Kultur bedient haben. Ein Geschenkpapier ist mit den | |
Figuren von indigenen Königinnen bedruckt, die Simpsons treten im | |
Maya-Kostüm auf. Die Bedeutung der kulturellen Codes gerät dabei in Fluss. | |
Die „Coleccion Poyon“ sucht nicht nach der Rekonstruktion des Verlorenen, | |
sondern verfolgt staunend die Plünderung des Schatzes. | |
Zu allen Werken in der Ausstellung gibt es einen begleitenden Wandtext, der | |
die Arbeiten der Künstler mit dem Kontext von Guatemalas Geschichte und | |
Gegenwart verbindet. Das ist einerseits nützlich und erhellend, | |
andererseits aber auch eine diskursive Engführung auf die Themen | |
Kolonialismus, Rassismus, Gender und Identität. Die Sinnstiftung ist so | |
immer schon gesichert. | |
Manchmal geht dieser Prozess zu schnell oder er überspringt das Ungewisse, | |
den Weg durch ungesichertes Gelände, den die Künstler doch auch oft | |
beschreiten. Regina José Galindo gehört zu den international bekannten | |
Künstlerinnen aus Guatemala, sie war bei der documenta 2017 in Kassel | |
dabei. In ihrer Arbeit „Presencia“, Fotografien nach einer Performance, | |
sieht man erst mal schöne Porträts einer meist traurigen Frau, an | |
unterschiedlichen Orten der Stadt. | |
Sie erscheint als zarte und zögerliche Person, in einem urbanen Ambiente | |
strahlt sie Einsamkeit und Verletzlichkeit aus. Aus dem Text erfährt man, | |
dass Regina José Galindo dabei jeweils ein Kleid trägt, das einer | |
ermordeten Frau gehörte. Sie hat es von den Angehörigen der toten Frauen | |
geliehen bekommen, manchmal entdeckt man jetzt die trauernde Familie im | |
Hintergrund der Bilder. | |
In Guatemala werden täglich Frauen ermordet. Frauenorganisationen sprechen | |
vom Femizid und sehen die Ursache in einem übersteigerten | |
Männlichkeitswahn. Galindos Vergegenwärtigung der Toten ist eine Form von | |
Erinnerung, von öffentlicher Anklage und von Teilnahme. | |
Die Ermordung ist die endgültige Form der Auslöschung. Eine andere Form des | |
Eingriffs in die Identität ist die Änderung des eigenen Namens, um die | |
Spuren der indigenen Herkunft unsichtbar zu machen. Damit beschäftigt sich | |
Marilyn Boror, die eine lange Liste von über 400 Namen aufgehängt hat: von | |
Personen, die zwischen November 2017 und September 2018 Namensänderungen | |
beantragten, vermutlich um Diskriminierung und Rassismus zu entgehen. Oft | |
geschieht dies beim Umzug vom Land in die Stadt. Gleich neben Borors Liste | |
sieht man eine Installation von Edgar Calel, der aus Geburtsurkunden die | |
Silhouetten kleiner Häuser ausgeschnitten hat. Die zerstörten Urkunden | |
hängen auf einer Wand den herausgeschnittenen Häusern gegenüber. Ist jeder | |
Umzug so ein tiefer Schnitt? Reißt er immer ein Loch in die Identität? Das | |
Bild lässt sich erst verstehen vor dem Hintergrund der Vertreibung der | |
indigenen Bevölkerung von ihrem angestammten Land. | |
So ist es der große Leidensdruck, unter dem sie entstanden sind, der die | |
künstlerischen Arbeiten in dieser von Çağla Ilk und Antje Weitzel | |
kuratierten Ausstellung verbindet. Einerseits. Andererseits hat sie auch | |
etwas Farbenfrohes, in Textilien, Fotografien und Filmen tauchen immer | |
wieder gewebte Muster auf, die die Werke der Künstler auch als ein starkes | |
Band durchziehen. Wie eine unausgesprochene Verbindung zur Geschichte und | |
Herkunft. | |
„This might be a place for humming birds“. Galerie im Körnerpark, Mo.–So. | |
10–20 Uhr, bis 5. Februar | |
6 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |