# taz.de -- Iran wird zurückschlagen | |
> Mit Qasim Soleimani haben die USA nicht nur einen äußerst populären Mann | |
> im Land getötet, sondern auch einen General, der viele Fronten geschaffen | |
> hat. Die Konsequenzen sind unabsehbar | |
Bild: In Teheran versammeln sich schwarz gekleidete Trauernde mit Fotos von dem… | |
Von Karim El-Gawhary, Jannis Hagmann und Bahman Nirumand | |
Die Welt kann sich keinen neuen Golfkrieg erlauben. In diesem Moment müssen | |
Staatschefs maximale Zurückhaltung üben.“ Mit dieser Warnung reagierte | |
UN-Generalsekretär António Guterres am Freitag auf die jüngste Eskalation | |
des Konflikts zwischen den USA und dem Iran. Die Tötung des hochrangigen | |
iranischen Generals Qasim Soleimani bei einem US-Luftangriff in Bagdad hat | |
eine enorme Dimension, die Folgen – so viel steht schon jetzt fest – werden | |
erheblich sein. | |
Eine US-Drohne hatte [1][Soleimanis Konvoi] in der Nacht zu Freitag nach | |
dessen Ankunft am internationalen Flughafen in Bagdad mit drei Raketen | |
beschossen. Neben Soleimani wurden vier weitere Menschen getötet, darunter | |
auch der mächtige irakische Milizenführer Abu Mahdi al-Muhandis, der eng | |
mit dem Regime in Teheran verbandelt war. Der Angriffsbefehl kam von Donald | |
Trump persönlich, der damit offenbar kurzfristig seinen Rachedurst stillte. | |
Der US-Präsident versteht den Schlag als Antwort auf den [2][Angriff auf | |
die US-Botschaft] in Bagdad über Silvester. Viele der Demonstranten, die | |
das Gebäude belagert und schließlich gestürmt hatten, gehörten der Kataib | |
Hisbollah an, einer der zahlreichen schiitischen Milizen im Irak, die vom | |
Regime des Nachbarlands Iran maßgeblich unterstützt und gelenkt werden. | |
Diese wiederum hatte darauf reagiert, dass die US-Luftwaffe am Sonntag ihre | |
[3][Stellungen im Irak und Syrien bombardiert] hatte. | |
Das Pentagon rechtfertigte den Angriff damit, dass Soleimani aktiv an | |
Plänen gearbeitet habe, US-Diplomaten und Einsatzkräfte in der Region zu | |
attackieren. Der Iran dürfte die Aktion als Kriegserklärung an die | |
iranischen Revolutionsgarden und deren Al-Kuds-Elitetruppen werten, denen | |
Soleimani als Kommandeur vorstand. | |
Die weitere Eskalation ist vorgezeichnet, denn Soleimani war nicht | |
irgendein General. Der 62-Jährige gehörte zu den populärsten und | |
einflussreichsten Figuren in der vierzigjährigen Geschichte der Islamischen | |
Republik. Überall war sein Konterfei zu sehen, auf Plakaten, Zeitungstiteln | |
und Briefmarken. Seine Anhänger verehrten ihn wie einen Heiligen; selbst | |
junge Popmusiker, die mit Krieg und Märtyrertum nichts am Hut haben, | |
feierten Soleimani. Auf YouTube finden sich zahlreiche Clips zu Ehren des | |
Generals. | |
Soleimanis Tod dürfte seine Beliebtheit jetzt noch steigern. Im ganzen Land | |
kam es am Freitag zu Massenprotesten. Aufnahmen aus Soleimanis | |
Geburtsstadt Kerman im Südosten des Irans zeigten Tausende schwarz | |
gekleidete Trauernde; in Teheran sollen Zehntausende auf die Straße | |
gegangen sein. Bei den Freitagsgebeten sprachen Prediger harsche Drohungen | |
an die USA aus. Trump könne sich darauf einstellen, dass der Iran „das Blut | |
Soleimanis rächen“ und „seine Tage in dunkle Nächte“ umwandeln werde, s… | |
der ranghohe Kleriker Ahmad Chatami in Teheran, der den Hardlinern im Land | |
nahesteht. | |
Ähnlich reagierte die politische Führung. „Die Kriminellen erwartet eine | |
furchtbare Rache“, warnte Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei und | |
ernannte Soleimanis bisherigen Stellvertreter Ismaeil Gha’ani prompt zu | |
dessen Nachfolger. Der iranische Präsident Hassan Ruhani teilte mit: | |
„Zweifellos werden der Iran und andere unabhängige Staaten dieses | |
schreckliche Verbrechen der USA rächen.“ | |
Auch die iranischen Verbündeten in der Region drohten, die Tötung | |
Soleimanis zu vergelten. Der General gilt als Architekt der [4][iranischen | |
Strategie], in der gesamten Region ein Netzwerk irantreuer schiitischer | |
Milizen aufzubauen. Soleimani hat es geschafft, im Nahen Osten Akteure zu | |
schaffen, die militärisch und politisch als ferngesteuerte iranische | |
Satelliten agieren und die Region destabilisieren. | |
Die prominenteste dieser Milizen ist die [5][Hisbollah im Libanon]. Zu den | |
Verbündeten Teherans zählen aber auch die [6][schiitischen Milizen im Irak | |
und deren Parteien], die die Politik in Bagdad bestimmen. Darüber hinaus | |
kämpfen Soleimanis ferngesteuerte Truppen auch aufseiten Baschar al-Assads | |
in Syrien. Auch die Huthi-Rebellen im Jemen sind Teil der | |
Soleimani-Strategie. | |
Dieses Konstrukt macht die jetzige Lage so gefährlich. Der General hat | |
viele Fronten geschaffen, an denen der Iran nun zurückschlagen kann. Anders | |
als bei bisherigen Konflikten in der Region – etwa im Irakkrieg 2003 oder | |
im Afghanistankonflikt seit 2001 – wäre eine militärische Konfrontation mit | |
dem Iran nicht auf dessen Landesgrenzen beschränkt. Das ist die wichtigste | |
Hinterlassenschaft Soleimanis. | |
Die erste Front wird dabei wohl im Irak verlaufen: zwischen den | |
schiitischen Milizen und den rund 5.000 verbliebenen US-Soldaten. Das Gros | |
der Iraker, die nicht den schiitischen Milizen angehören, wird bei diesem | |
Konflikt nur zusehen können – auch die [7][seit Oktober entstandene | |
Protestbewegung], die auf den Straßen Bagdads nun Soleimanis Tod feiert. | |
Auch in allen anderen Ländern mit schiitischen Milizen sind US-Vertretungen | |
angreifbar. Die Iraner können ihr Netzwerk außerdem einsetzen, um | |
US-Verbündeten in der Region wie Israel oder Saudi-Arabien das Leben schwer | |
zu machen. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu brach am Freitag eine | |
Auslandsreise ab; eine Dringlichkeitssitzung des Sicherheitskabinetts wurde | |
einberufen. Dennoch lobte er den US-Schlag: „So wie Israel das Recht zur | |
Selbstverteidigung hat, haben auch die Vereinigten Staaten exakt dasselbe | |
Recht.“ Zuvor hatte der Führer der libanesischen Hisbollah, Hassan | |
Nasrallah, zur Vergeltung aufgerufen. Die „verbrecherischen Mörder“ müsst… | |
eine „gerechte Bestrafung“ erhalten, erklärte er und rief | |
„Widerstandskämpfer“ in aller Welt zu Racheakten auf. | |
Auch Ölanlagen und Tanker könnten erneut Ziel von Angriffen werden. Im | |
vergangenen Jahr hat der Iran mehrmals unter Beweis gestellt, wie | |
verwundbar die saudische Ölindustrie und damit der globale Ölmarkt ist. | |
Nach [8][Drohnenangriffen auf zwei Ölanlangen] des saudischen | |
Staatskonzerns Aramco im vergangenen September mussten die Saudis über | |
Nacht ihre [9][Ölproduktion auf die Hälfte herunterfahren]. Da | |
Saudi-Arabien 10 Prozent des weltweit vermarkteten Öls produziert, | |
bedeutete das, dass der globale Ölmarkt mit einem Schlag 5 Prozent der | |
Versorgung mit dem schwarzen Gold verloren hatte. | |
Mit einer dreitägigen Staatstrauer hat sich die iranische Führung zunächst | |
eine Atempause verschafft, um sich zu überlegen, wann sie zuschlagen lässt. | |
Denn eines steht fest: Auch nach General Soleimanis Tod sind Irans | |
Eskalationsmöglichkeiten schier unbegrenzt. | |
4 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /!5653432&SuchRahmen=Print | |
[2] /!5653191&SuchRahmen=Print | |
[3] /!5653040&SuchRahmen=Print | |
[4] /!5638532&SuchRahmen=Print | |
[5] /!5609774&SuchRahmen=Print | |
[6] /!5618065&SuchRahmen=Print | |
[7] /!5643962&SuchRahmen=Print | |
[8] /!5622807&SuchRahmen=Print | |
[9] /!5626119&SuchRahmen=Print | |
## AUTOREN | |
Bahman Nirumand | |
Jannis Hagmann | |
Karim El-Gawhary | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |