# taz.de -- Riskante Recherchen | |
> Bei der Festnahme von Yılmaz S. sind Daten von Asylsuchenden an den | |
> türkischen Geheimdienst gelangt. Dafür sind auch die deutschen Behörden | |
> verantwortlich. | |
Bild: Yılmaz S. holte im Auftrag der deutschen Botschaft in Ankara Information… | |
Von Elisabeth Kimmerle | |
Am 18. November bekam Leyla Birlik einen Anruf von der Polizei. Die | |
ehemalige HDP-Abgeordnete aus dem südosttürkischen Şırnak war ein Jahr | |
zuvor nach Deutschland geflohen und hatte hier Asyl beantragt. Vor fünf | |
Monaten wurde ihr Asylantrag bewilligt. Nun erfuhr Birlik am Telefon, dass | |
bei der Festnahme eines Vertrauensanwalts der deutschen Botschaft in Ankara | |
persönliche Daten von ihr in die Hände des türkischen Geheimdienstes | |
gelangt waren. Die Polizisten baten Birlik, vorsichtig zu sein. | |
Die Verhaftung des Kooperationsanwalts, der in der Türkei für das Bundesamt | |
für Migration und Flüchtlinge (Bamf) Informationen einholte, ist nicht nur | |
außenpolitisch brisant. Denn bei seiner Festnahme wurden außer den Daten | |
der kurdischen Politikerin Leyla Birlik offenbar sensible Daten aus | |
laufenden Asylverfahren von mehreren Hundert Geflüchteten aus der Türkei | |
beschlagnahmt. Das wirft die Frage auf, welche Verantwortung deutsche | |
Behörden dafür tragen, dass Schutzsuchende durch fahrlässigen Umgang mit | |
sensiblen Daten in Gefahr gebracht wurden. | |
## Bei der Durchsuchung 283 weitere Akten gefunden | |
Yılmaz S. war bereits am 17. September von einem Sonderkommando des | |
Polizeidirektorats für organisierte Kriminalität in Ankara festgenommen | |
worden. S. war auf dem Weg zur deutschen Botschaft. Er hatte im Auftrag der | |
Botschaft für das Bamf die Angaben von Asylsuchenden überprüft und | |
recherchiert, welche Gefahren ihnen bei einer Rückkehr in die Türkei drohen | |
würden. Dem Kooperationsanwalt wird Spionage vorgeworfen. | |
Am Tag darauf berichtete die türkische Tageszeitung Hürriyet über den Fall. | |
Die Nachricht fand weder in den türkischen noch in den deutschen Medien | |
weitere Beachtung. Am 19. September erfuhr das deutsche Innenministerium | |
von der Festnahme des Vertrauensanwalts, am 25. September wurde das | |
Bundeskriminalamt informiert und aufgefordert, über die Landeskriminalämter | |
die Betroffenen zu kontaktieren. Das teilten die Behörden vergangene Woche | |
in einer Sondersitzung des Innenausschusses mit. | |
Mitte November veröffentlichten NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung ihre | |
Recherche über die Verhaftung des Vertrauensanwalts. Nun schlug der Fall | |
Wellen. Bamf-Präsident Hans-Eckhard Sommer sprach von einem | |
„außenpolitischen Skandal“, Pro Asyl bezeichnete die Festnahme des Anwalts | |
als „größten anzunehmenden Unfall“, Außenminister Heiko Maas setzte sich | |
bei seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu für eine schnelle | |
Lösung ein. Die Opposition forderte umfassende Aufklärung des | |
Schadensausmaßes. | |
Bei der Festnahme habe Yılmaz S. 47 Akten zu laufenden Asylverfahren bei | |
sich getragen, von denen 83 Personen betroffen seien, sagten die Behörden | |
im Innenausschuss. Bei der Durchsuchung seines Büros seien weitere 283 | |
Akten beschlagnahmt worden. | |
Leyla Birlik wurde erst zwei Monate später informiert, dass sich ihre | |
persönlichen Daten unter den beschlagnahmten Akten befinden. Sie fragt | |
sich, warum das Bamf ihre Fluchtgründe bei den türkischen Behörden | |
nachgeprüft hat – schließlich sind die Verfahren, die gegen sie eingeleitet | |
wurden, öffentlich zugänglich. Vor allem aber versteht sie eines nicht: | |
„Dass Monate, nachdem ich meine Aufenthaltsgenehmigung bekommen habe, meine | |
Akte im Büro des Anwalts aufbewahrt wird, finde ich nicht richtig“, sagt | |
sie. „Die Behörden tragen eine Verantwortung. Das ist nachlässig, meine | |
Daten hätten gelöscht werden müssen.“ | |
Das Bamf antwortet auf Anfrage von taz gazete, Kooperationsanwälte hätten | |
„weder Einsicht in noch Zugriff zu Asylakten“. Im Innenausschuss teilte das | |
Auswärtige Amt mit, die Grunddaten der Person ohne Anschrift mit der | |
Kurzbeschreibung des Sachverhalts geschickt zu bekommen. Die Zusammenarbeit | |
mit Kooperationsanwälten stelle eine europaweit gängige Praxis dar, so das | |
Bamf. | |
Der Anwalt von Yılmaz S., Levent Kanat, sagt, die Türkei habe Kenntnis von | |
dieser Praxis. Er bezeichnet den Spionagevorwurf als haltlos. Die Botschaft | |
habe vom Auswärtigen Amt Rechercheanfragen mit Akten bekommen, die sie | |
Yılmaz S. zur Überprüfung gab. S. holte die angefragten Informationen bei | |
der Staatsanwaltschaft ein. Das sei das Recht jedes Anwalts. | |
## Wenn sensible Daten in falsche Hände gelangen | |
„Es ist datenschutzrechtlich problematisch, dass die Daten einer Person, | |
die in Deutschland Schutz sucht, in die Hände der türkischen Polizei | |
gelangen“, sagt Leyla Birliks Anwalt Dogan Akin. „Sobald Daten an dritte | |
Personen gegeben werden, besteht die Gefahr, dass sie in den falschen | |
Händen landen.“ | |
Auch der Vorstand des Flüchtlingsrats Niedersachsen, Dündar Kelloğlu, sagt, | |
die Übermittlung von Daten zur Recherche im Herkunftsland stehe „absolut im | |
Widerspruch zum Datenschutz“. Das Asylrecht verlange von den | |
Schutzsuchenden nicht, dass sie ihre Fluchtgründe beweisen, sondern nur, | |
dass sie „glaubhaft erklären, dass sie in der Türkei einer politischen | |
Verfolgung ausgesetzt sind“. Seit dem Putschversuch ist das Bamf Kelloğlu | |
zufolge von diesem Grundsatz abgerückt und verlangt Nachweise im | |
Herkunftsland. Er wirft dem Bundesamt eine Haltung des Misstrauens vor. | |
„Vor dem Putschversuch waren solche Recherchen eine absolute Ausnahme“, | |
sagt er, „inzwischen ist das zu einer Regel geworden, es werden reihenweise | |
Rechercheaufträge erteilt.“ Er geht davon aus, dass der Spionagevorwurf nun | |
ein Vorwand der Türkei war, an die Daten von Asylsuchenden in Deutschland | |
zu kommen. | |
Die Praxis der Vertrauensanwälte müsse grundsätzlich geprüft werden, | |
fordert die migrationspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Filiz | |
Polat. „Es muss die Ausnahme bleiben, dass man die Beweislage im | |
Herkunftsland überprüfen lässt. Das sind hochsensible Daten.“ Sie fordert | |
eine umgehende Aufklärung der gesamten Dimension der betroffenen Fälle. | |
„Das ist nicht nur ein außenpolitischer, sondern vor allem auch ein | |
innenpolitischer Skandal“, sagt Polat. „Das Bamf versucht jetzt die | |
Verantwortung auf das Auswärtige Amt zu schieben, indem sie von einem | |
außenpolitischen Skandal sprechen. Das Bamf darf sich hier nicht aus der | |
Affäre ziehen.“ | |
Leyla Birlik weiß bis heute nicht, welche Daten in die Hände des | |
Geheimdienstes gelangt sind. Sie hat das Bamf um eine Erklärung gebeten. | |
„Geht es um meine ganze Akte, alle meine Aussagen?“ Eine Antwort auf diese | |
Fragen hat sie vom Bamf bisher nicht erhalten. | |
7 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Kimmerle | |
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