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# taz.de -- Fragen an den Oranienplatz
> Welche Bäume gaben dem Platz seinen Namen? Was hat das mit der Geschichte
> der Migration zu tun? Wie tief lag Kreuzberg im Westen? Eine Installation
> am Oranienplatz von Ute Langkafel
Bild: Wie eine Ziehharmonika ist die Installation gebaut
Von Hülya Gürler
Die Installation ist nicht das erste Kunstwerk auf dem Oranienplatz in
Kreuzberg, das dem Wind trotzen muss. Der Platz hat früher den Windfühler
IV, einen in der Luft segelnden Katamaran auf einem standfesten Mast,
beherbergt. Geht es nach dem Statiker, wird die vergangenen Sonntag im
Windschatten der aufgeregten Events zum 30. Jahrestag des Mauerfalls mit
rund 20 Besuchern relativ leise eingeweihte Installation der Kreuzberger
Künstlerin und Galleristin Ute Langkafel es schaffen.
Viel gewichtiger ist die Frage: Schafft die Installation es auch, den
Erinnerungen an den Oranienplatz standzuhalten, der stürmische Ereignisse
anzog? Desjenigen Platzes, auf dem die alljährlichen
1.Mai-Straßenschlachten vergangener Jahrzehnte zum Myfest befriedet wurden?
Wo bis 2014 zwei Jahre lang ein umstrittenes Protestcamp über Landesgrenzen
hinaus auf menschenverachtende Zustände für Asylsuchende aufmerksam machen
wollte? Einem Ort in der Nähe des ehemaligen Mauerstreifens, der in den
20er Jahren zu einem der Schauplätze für den gescheiterten rechten
Kapp-Putsch gegen die Weimarer Republik wurde?
Der Schriftzug „How long is now“ auf der mittlerweile zugedeckten
Brandmauer des Tacheles in der Oranienburgerstraße in Mitte, die Langkafel
zu dieser Installation inspiriert hat, provoziert diese Frage geradezu
heraus. How long – wie lange also wird das Kunstwerk selbst zum now – zum
Jetzt der Erinnerung des O-Platzes gehören?
## Platz mit Symbolkraft
Langkafel selbst hat sich zuallererst eine ganz andere Frage gestellt: „Was
kann man diesem Platz mit Symbolkraft visuell hinzufügen, das sein
Gedächtnis kommuniziert?“ Ihre Installation, aufgestellt im Rahmen des
Herbstsalons des Gorki-Theaters, besteht aus in Form einer Ziehharmonika
zusammenhängenden zwölf Stellwänden mit jeweils einer Frage. „How home is
refuge“ ist die erste Abwandlung des Tacheles-Spruchs in der Reihe vom
Betrachter aus links, „How present is wall“ die letzte rechts.
Dazwischen stehen mit „How“ beginnende Fragen, die andere aktuelle und
universelle Themen wie den Klimawandel, die nationale Zugehörigkeit, die
Menschenrechte, assoziieren lassen. Oder es steht dort schlicht
geschrieben: „How answer is question“, wie Antwort ist Frage – so die
wörtliche Übersetzung.
„Wenn der Oranienplatz sprechen könnte, würde der Oranienplatz Fragen
stellen. Fragen, die nicht auf Antworten warten“, heißt es in dem
Begleittext zum Kunstwerk. Nicht jeder findet alles gut an ihm. „Scheiße“,
meint beispielsweise der Kreuzberger Künstler und Dauerprovokateur Klaus
Theuerkauf, dass die Sprüche auf Englisch sind, „in der Sprache der
Imperialisten.“ Für Ute Langkafel ist Englisch die gemeinsame Sprache von
Passant*innen, Anwohner*innen, Tourist*innen und Geflüchteten. Und die
Mutter aller Fragen, die die Künstlerin in dem Begleittext zur Installation
an den O-Platz stellt, lautet: Was bleibt? „Was bleibt, nachdem die
Hugenotten sich hier vor 300 Jahren ansiedelten, Orangenbäume anpflanzten
und dir deinen Namen gaben?“
## Propaganda für den Westen
Diese Frage könnte wissenshungrige Kreuzbergliebhaber*innen herausfordern,
tiefer in den Platz hineinzuhorchen, um Geschichten auszugraben wie die
eine zu einem Schwarz-Weiß-Foto aus den 50er Jahren, die die Installation
ebenfalls inspiriert hat: Es zeigt eine Standtafel genau an der Stelle von
Langkafels Installation – darauf Werbung für Westberlins vierte
Internationale Filmfestspiele.
„Vor dem Mauerbau 1961 konnten die Leute die Sektorengrenze noch
überqueren. Solche Standtafeln standen damals an mehreren Stellen auf der
Westseite der Grenze“, will die Künstlerin herausgefunden haben. Der Zweck
der Tafeln sei klar: „Der von der sowjetischen Seite zum Westen
hinüberlaufende Ostler sollte das Mondäne und Kosmopolitische von
Westberlin mitbekommen. Das war Propaganda, um den Westen attraktiv zu
machen.“
Und die wissenshungrige Kreuzbergliebhaberin stößt bei der Suche auf Hans
Ulrich Fluss, den Enkel des Gründers der ehemaligen Konditorei
Kuchen-Kaiser am Oranienplatz. Fluss ist der Besitzer des Hauses, in dem
sich die Konditorei befand und wo ein gleichnamiges Café in Betrieb ist.
Über drei Generationen hinweg hat die Familie Fluss den O-Platz
fotografiert. Das Schwarz-Weiß-Foto ist Teil ihrer Sammlung.
Vom Enkel erfährt man, dass Großvater Eugen Fluss neben beachtlichen
Jugendstilleuchtern auf dem Platz die Aufbesserung einer Brücke über dem
luisenstädtischen Kanal bezahlte, der damals am Oranienplatz entlangfloss
und 1926 zugeschüttet worden ist. „Mein Großvater wollte, dass der Platz
für die Konditorei besser aussieht“, sagt Hans Ulrich Fluss.
Als Vermieter kriegt er allerlei andere Geschichten mit. So erzählt er von
Herrn Sommer, dem Bankräuber einer Sparkassenfilliale, der nach Spanien
floh und geschnappt wurde, nachdem er eine Postkarte von dort aus
versendete.
## Das schlaftrunkene Kind
Es gibt aber auch andere Geschichten über den O-Platz. Stilles Leben, das
unter dem Gebrüll der politischen wie touristischen Spektakel untergeht.
Wie zum Beispiel das der Huriye Özel, meiner Mutter, die in den 70er Jahren
jeden Morgen um vier Uhr ihr drittgeborenes Kind vom etwas weiter entfernt
gelegenen Teil der Naunynstraße zur Nachbarin am O-Platz-seitigen Ende
brachte – das schlaftrunkene Kind manchmal auf dem Rücken tragend – und
später am O-Platz in den Bus einstieg. Özel musste früh zur Arbeit raus und
das Kind (das ich war) erst um acht zum Sankt-Michael-Kindergarten in der
Dresdener Straße hinter dem O-Platz.
Welche Fragen hätte die vor sechs Jahren am denkwürdigen 1. Mai verstorbene
pflichtbewusste Arbeiterin wohl an den O-Platz? Vielleicht inspiriert ihr
Leben und das der anderen Bewohner rund um den O-Platz zu ganz anderen
Fragen auf Stelltafeln.
„Was bleibt“, Oranienplatz, voraussichtlich bis 1. Mai 2020
16 Nov 2019
## AUTOREN
Hülya Gürler
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