# taz.de -- Mit „Erika“ unterm Arm um die Welt | |
> „Einsame Weltreise“ im Jahr 1919: Die Reiseberichte von Alma M. Karlin | |
> sind wieder erhältlich | |
Eine kleine Frau mit Hut auf einem dunklem Pagenkopf, die eilig einen | |
Bahnsteig entlangläuft, unterm Arm eine „Erika“-Schreibmaschine, die ihr | |
wichtiger ist als alles andere: So in etwa kann man sich die | |
Schriftstellerin Alma M. Karlin im November 1919, vor nun 100 Jahren, zu | |
Beginn ihrer achtjährigen Reise um die Welt vorstellen. | |
Sie selbst beschreibt sich rückblickend als naiv und größenwahnsinnig, als | |
eine, die an einem entzündeten „Einbildungsnerv“ leidet. Von ihrer | |
Heimatstadt Celje – heute Slowenien – bricht sie auf und durchkreuzt mit | |
zahllosen Schiffen mühevoll, entbehrungsreich und meist in der wenig | |
luxuriösen dritten Klasse die Weltmeere. Ihren ersten Hochseedampfer | |
besteigt sie in Italien, der bringt sie über die Kanaren zur Küste | |
Mittelamerikas. Von dort reist sie mit Unterbrechungen – um mit | |
verschiedenen Jobs Geld für die Weiterreise zu verdienen – nach Peru, | |
Panama, Kalifornien, Hawaii und schließlich über den Pazifik nach Japan und | |
China. Ihre Reiseeindrücke schreibt Karlin auf und veröffentlicht sie nach | |
ihrer Rückkehr 1929 unter dem Titel „Erlebnisse und Abenteuer einer Frau im | |
Reich der Inkas und im Fernen Orient“ – damit wird sie in ganz Europa | |
berühmt. Jetzt ist das Buch, das nur noch antiquarisch zu bekommen war, | |
unter dem Titel „Einsame Weltreise“ in einer Neuauflage erschienen. | |
Karlin schreibt in leichtem, plastischem, oft selbstironischem, aber nie | |
beschönigendem Ton über Naturbeobachtungen, über Menschen, denen sie | |
begegnet, und über die Faszination für alles Neue. Sie erzählt von den | |
klaustrophobischen Zuständen, die sich an Bord der Hochseedampfer | |
einstellen, über Seekrankheiten, schlechtes Essen, Läuse und Erbrochenes. | |
Besonders während ihrer Zeiten an Bord übt Karlin, die sich eigentlich zur | |
„besseren“ Gesellschaft zählt, Kritik an der Klassengesellschaft: „Warum | |
behandelt man den, der nicht mehr als fünfzig Dollar für eine kürzere Fahrt | |
bezahlen kann, wie ein minderwertiges Tier und den, der hundertfünfzig aus | |
seinem Überfluss zahlt, wie einen gottbegnadeten Fürsten?“ | |
Karlin zeigt auf, was es damals bedeutete, als eine Frau ohne gesichertes | |
Einkommen, aber mit starkem Drang nach Autonomie und künstlerischer | |
Freiheit, die sich keinesfalls an einen Mann binden möchte, allein um die | |
Welt zu reisen. Viele Vorfälle könnte man sich problemlos im Heute | |
vorstellen: Fast andauernd wird sie Opfer sexueller Belästigung. Dies | |
führte bei Karlin zu einem Zustand permanenter Alarmbereitschaft, immer | |
wieder hat sie Weinkrämpfe, sie schildert ein „seelisches und geistiges | |
Unklarsein“, das sie auf das ständige Gefühl des Ausgeliefertseins | |
zurückführt. | |
Leider offenbaren sich in den Schilderungen auch rassistische und | |
imperialistische Denkweisen: Obwohl sie sexuelle Belästigung von Männern | |
verschiedenster Klassen und Nationalitäten erlebt, führt sie diese bei den | |
nicht aus Europa stammenden Männern immer auf „Wildheit“ und „animalisch… | |
Instinkte zurück. Auch abgesehen davon scheint sie sich als Europäerin in | |
einer überlegenen Position zu sehen. Ihr Roman ist so auch Zeugnis eines | |
europäischen Überlegenheitsgefühls, das lange Zeit die Norm war und in | |
vielen Köpfen unbewusst bis heute tief verankert ist. | |
Annina Bachmeier | |
2 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Annina Bachmeier | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |