# taz.de -- Solidarische Verbindungen | |
> Ein Symbol von Hoffnung und Durchhaltevermögen: Die Schau des | |
> Künstlerinnenprojekts Goldrausch im Haus am Kleistpark steht in diesem | |
> Jahr unter dem Motto „Hydra“ | |
Bild: Ein Blick in die „Hydra“-Schau des Goldrausch-Künstlerinnenprojekts … | |
Von Annina Bachmeier | |
Die mythologische Figur der Hydra ist eine ambivalente: Als weiblich | |
gedeutete vielköpfige Wasserschlange hinterlässt sie Chaos und Zerstörung, | |
wohin sie auch geht. Der Kopf in ihrer Mitte ist unsterblich, schlägt man | |
einen ihrer vielen anderen Köpfe ab, wachsen an seiner statt gleich zwei | |
neue nach – die Hydra wird mit jedem Versuch, sie zu vernichten, nur immer | |
stärker. So kann sie einerseits als unbezwingbares Übel, andererseits aber | |
als ein Symbol von Hoffnung, Solidarität und Durchhaltevermögen gedeutet | |
werden. | |
Die Ausstellung des Künstlerinnenprojekts Goldrausch im Haus am Kleistpark | |
findet in diesem Jahr unter dem Motto „Hydra“ statt und will damit die | |
negativ besetzten klassisch patriarchalischen Deutungsmuster um den | |
Hydra-Mythos hinterfragen. Die Hydra mit ihren vielen immer weiter | |
nachwachsenden Köpfen wird zum Symbol für Künstlerinnen, die in der | |
Kunstwelt immer noch wenig Repräsentation finden, aber allen patriarchalen | |
Widrigkeiten zum Trotz von Generation zu Generation immer weiter Kunst | |
machen. | |
Und wie die Hydra, die hier neu interpretiert zum antipatriarchalen Symbol | |
gemacht wird, widmen sich auch viele der Künstlerinnen des 29. | |
Goldrausch-Jahrgangs in ihren Arbeiten dem Feminismus, dem Hinterfragen | |
klassischer Geschlechterrollen und neuen Perspektiven auf Kulturen und | |
Geschichten. | |
Trotz der Verschiedenartigkeit der einzelnen Arbeiten zieht sich durch die | |
ganze Ausstellung eine subtile, aber dennoch sehr spürbare Verbindung – so | |
als hätte sich ein Faden von einer Künstlerin zur anderen immer weiter | |
gesponnen und dabei jeweils eine neue Form angenommen. Diese | |
Solidarisierung zwischen Künstlerinnen ist seit der Entstehung des | |
Goldrauschprojekts 1989 gegen den Gender-Gap im Kunstbetrieb ein Fixpunkt | |
aller Jahrgänge. So schrieb Lorina Speder in der taz über die Ausstellung | |
im vergangenen Jahr: „Das Archipel als Region, die aus einer Inselgruppe | |
und den umliegenden Gewässern besteht, gab der Ausstellung Archipelago | |
ihren Titel – und den kann man auch als Metapher deuten: Die | |
Teilnehmerinnen kämpfen nicht mehr isoliert, sondern arbeiten zusammen.“ | |
Gleich im Eingangsbereich der Ausstellungsräume erwartet Besucher*innen ein | |
solches Verbundenheitssymbol: Marie-Louise Anderssons Skulptur „3 4 5 6 7 8 | |
9 10_un-Knot“, ein rundes Tablett mit Knoten aus Ton in unterschiedlichen | |
Formen und Größen, mit denen Andersson einen Raum für Verbindungen | |
unterschiedlichster Arten erschafft. | |
Betritt man den rechten Raum der Ausstellung, so fällt Melo Börners | |
Installation „Monsters, Flesh, Holes and Mud“ auf: Ein Netz aus ineinander | |
verklebten und verschlungenen Tesafilmstreifen, an den Seiten von farbigen | |
Plasikflaschen und kleinen Steinen gehalten, spannt sich über drei große | |
Gemälde in grellen Plastikfarben. Darauf zu sehen sind rechts und links | |
zwei Frauen und mittig zwei Brüste mit behaarten orangenen Nippeln. Steht | |
man vor dem Tesafilm-Netz und den Bildern, fühlt man sich ein bisschen wie | |
in einem dramenreichen Teenagerleben aus Unsicherheiten über Körper und | |
Selbst, Sexualität und Welt, gefärbten Haaren und Softdrinks, vermischt mit | |
Wodka aus Plastikflaschen mit Saugverschluss. | |
Im kleinen hinteren Raum des rechten Ausstellungsflügels erschafft die | |
Brasilianerin Ana Hupe einen neuen Blick auf Geschichte und | |
Dekolonisierung: Mit ihrer Arbeit „Footnotes for a triangular cartography“ | |
zeigt sie, wie die aus Nigeria stammende Religion der Yoruba Religionen in | |
Kuba und Brasilien geprägt hat. Auf Holzplatten stellt Hupe Symbole der | |
Religionen nach und bildet daraus eine Art Karte von Einflüssen und | |
Gemeinsamkeiten zwischen den Kontinenten. Das Thema Kolonialismus wird auch | |
im linken Flügel der Ausstellungsräume durch die Video-Installation | |
„Dresscode Uniform“ von Marlene Denningmann aufgegriffen. Zwei Freundinnen, | |
ein Schwarzes und ein weißes Mädchen, schlendern in Schuluniform durch die | |
Straßen von Kapstadt, sie bekleben ihre Gesichter mit Glitzer und führen | |
einen Dialog mit der Kamera. Denningmann möchte über die Schuluniform als | |
Dresscode und Erkennungsmerkmal für eine bestimmte Zugehörigkeit die | |
koloniale Vergangenheit Südafrikas erforschen. | |
Im letzten Raum der Ausstellung läuft der Film „Tante aus Deutschland“. | |
Darin spricht die bosnische Künstlerin Mila Panic mit ihren beiden Tanten, | |
die vor 26 Jahren nach Deutschland ausgewandert sind, über Heimatgefühle, | |
Mitbringsel und warum die Tage in Bosnien so viel länger erscheinen. In | |
Panics Arbeit wird eine neue Dimension eröffnet, die in der | |
Goldrauschausstellung ansonsten thematisch kaum Beachtung findet: die | |
doppelt schwierige Situation, mit der Künstlerinnen ohne | |
EU-Staatsbürgerschaft in Deutschland konfrontiert sind. Panic beschreibt | |
den permanenten Druck und die passive Diskriminierung, der sie ausgesetzt | |
ist, weil sie jedes Jahr eine bestimmte Anzahl an Arbeiten und | |
Ausstellungen vorweisen muss, damit ihr Visum verlängert wird. | |
Hydra – Goldrausch 2019: Haus am Kleistpark, Grunewaldstr. 6/7, Di.–So. | |
11–18 Uhr, bis 8. Dezember. Am Sonntag, 3. November, um 16 Uhr Gespräche | |
zur Ausstellung n Anwesenheit der Künstlerinnen | |
2 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Annina Bachmeier | |
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