# taz.de -- Geschichten locken Geschichten an | |
> Beim „Feuerspuren“-Festival wird am Wochenende in Gröpelingen öffentlich | |
> fabuliert, erzählt und ausgemalt. Viele Erzählende haben sich darauf in | |
> Workshops vorbereitet | |
Bild: Austausch an ungewöhnlichen Orten: Beim „Feuerspuren“-Festival teile… | |
Von Frank Schümann | |
Andreas Rust konzentriert sich, schließt kurz die Augen; dann legt er los. | |
Er taucht ein in die Vergangenheit, nimmt seine ZuhörerInnen mit in eine | |
Schule in Teheran, lässt sie teilhaben, wie der Ich-Erzähler vom strengen | |
Lehrer in die Ecke geschickt wird – und sich von dort wegträumt, „um die | |
Ecke“, auf den Schulhof, wo er von Petsy, dem Schwarm aller Jungen, in den | |
Arm gekniffen wird. Dass Rust selbst dieser Junge im Teheran der 60er-Jahre | |
ist, das können die ZuhörerInnen nur ahnen. | |
Tatsächlich ist die Geschichte autobiografisch. Heute ist Rust 69 Jahre | |
alt, kann auf viele Jahre als Kunstlehrer zurückblicken – und natürlich auf | |
die Zeit in Teheran, wo er Teile seiner Jugend verbrachte. Rust nimmt an | |
diesem Abend als eine von acht Personen an einem Workshop zum freien | |
Erzählen teil – im Vorgriff auf das Festival „Feuerspuren“, das dieses | |
Wochenende in Gröpelingen stattfindet. | |
13 Jahre lang gibt es dieses Festival bereits, bei dem der Stadtteil zwei | |
Tage lang zum erzählerischen Mittelpunkt Bremens wird. Am ersten Tag, dem | |
Samstag, sind im Lichthaus Erzählprofis aus der ganzen Welt zu erleben. Am | |
zweiten Tag, dem Sonntag, darf jeder ran, der mitmachen will – beim großen | |
Erzählfestival auf der Lindenhofstraße, an fast zwanzig verschiedenen | |
Orten. Zur Vorbereitung darauf gibt es Workshops wie den, bei dem auch Rust | |
seine Geschichte erzählt. Ein Markenzeichen des Festivals ist seine | |
Multinationalität – die Mehrsprachigkeit des Stadtteils spiele auch beim | |
Storytelling eine wichtige Rolle für das Festival, sagt Julia Klein, die | |
künstlerische Leiterin des Festivals. | |
Die TeilnehmerInnen hier treffen sich seit einigen Wochen immer montags. | |
Julia Klein freut es besonders, dass sie dafür auch größere Strecken auf | |
sich nehmen – alle Stadtteile Bremens, auch die weit entfernten, sind | |
vertreten. Es geht familiär zu; man kennt sich, trinkt Tee, groovt sich ein | |
– mit nettem Small Talk, aber auch mit Lockerungsübungen. Dann wird der | |
Stand der Geschichten abgefragt, denn das Erzählte will auf dem Festival ja | |
auch vorgetragen werden. | |
Das Besondere: Es geht rein ums Erzählen und nicht etwa ums Vorlesen von | |
zuvor aufgeschriebenen Texten – letzteres ist verpönt und auch nicht | |
gestattet. Als Problem erwies es sich bei mancher TeilnehmerIn, dass zu | |
Hause keiner ist, dem man erzählen könnte – „Ich kann es nur meinem Hund | |
erzählen“, sagt eine launig, und eine andere berichtet enttäuscht, dass | |
ihre Kinder auch nicht so wirklich daran interessiert seien. | |
Das ist im Kurs anders: hier wird genauestens zugehört, hier gibt es Tipps, | |
Anregungen, Hilfe. „Du hast ja gesagt, ich sollte lustig erzählen“, sagt | |
etwa Ute Huber zur Kursleiterin, „also habe ich irische Schwänke | |
entwickelt.“ Die ehemalige Krankenschwester lacht viel, wenn sie über ihre | |
Geschichten spricht. Schnell wird klar: Hier blühen die Menschen auf. | |
„Geschichten locken Geschichten“, sagt Julia Klein später, „das ist gut | |
fürs Miteinander.“ Die Themen sind bunt gemischt: Titel wie „Mollie und die | |
geheimnisvolle Ecke“, „Herman zieht nach Gröpelingen“, aber auch: „Who | |
wants to frame Rotkäppchen?“ sprechen für sich. | |
Immer zwei Erzählende schließen sich beim Workshop schließlich in Teams | |
zusammen, um sich gegenseitig ihre Geschichten vorzutragen. Andreas Rust | |
holt für Huber noch einmal seine lebendigen, in eine andere Welt führenden | |
Erinnerungen, ins Heute; und Ute Huber berichtet ihm mit viel Lust am | |
Fabulieren von weinenden und lachenden Kühen – wenngleich es den Kühen in | |
ihren Geschichten insgesamt nicht gerade gut ergeht. | |
So unterschiedlich die beiden Erzählungen sind, inhaltlich und formal, so | |
sind doch beide mit Lust und Liebe, mit Freude am Erzählen vorgetragen; der | |
ganze Körper erzählt mit. Julia Klein ermuntert, wo sie kann, und hat | |
ebenfalls sichtbar Freude – eine Erklärung dafür, wie es das Festival in | |
den vergangene Jahren in die Herzen sehr vieler Menschen geschafft hat. | |
1 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Frank Schümann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |