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# taz.de -- Produktiver Rausch
> Der Künstler Zach Blas thematisiert in seiner ersten Einzelausstellung,
> wie Digitalisierung und neoliberale Arbeitskultur zusammenhängen
Bild: „Face Cage 4, endurance performance with Paul Mpagi Sepuya“
Von Mira Naß
In seiner ersten Einzelausstellung, „The Unknown Ideal“, im Edith-Ruß-Haus
für Medienkunst in Oldenburg widmet sich der Künstler Zach Blas (*1981) der
strukturellen Verzahnung von Digitalisierung und neoliberaler Arbeitskultur
mitsamt den ökonomischen und soziopolitischen Transformationen. Zentral
scheint für ihn die Frage, wie sich die neoliberale Nutzung digitaler
Technologien, aber auch soziale Strategien gegen eine einseitige Aneignung
visualisieren lassen. Als Ausgangspunkt dient ihm das Phänomen der
Nootropika.
Diese sogenannten intelligenten und legalen Drogen stellen für die Elite
der Tech-Worker im Silicon Valley eine ideale Möglichkeit des
„Body-Hackings“ dar. Dabei geht es vor allem um die Anhebung der
menschlichen Produktivkraft. Das steht im Kontrast zum Trip als kollektiver
Rauscherfahrung und Rückzug aus dem Alltag eines kapitalistischen
Gesellschaftssystems, wie ihn die kalifornische Gegenkultur der 1960er
Jahre propagierte.
In konkreter Anlehnung an diesen Wandel des gesellschaftlichen
Drogengebrauchs setzt er in großangelegten immersiven Installationen wie
„The Doors“ (2019) psychedelisch anmutendes Bild- und Tonmaterial ein,
dessen Inhalt von Systemen künstlicher Intelligenz entwickelt wurde. So
vermag er deren abstrakte Lernprozesse visuell und auditiv erfahrbar zu
machen.
In bisweilen dystopischen Versionen des Internets („Contra-Internet –
Jubilee 2033“, 2018) impliziert der Künstler zwar eine Kritik des
Digitalen. Mitnichten verfällt er jedoch in eine technikfeindliche Sprache.
Anstatt den Rückzug in einen „analogen Urzustand“ anzustreben, fordert er
vielmehr die Aneignung der digitalen Lebenswelt: Mithilfe der Kombination
biometrischer Daten entwirft er etwa in „Facial Weaponization Suite“
(2011–2014) Masken, die für eine Gesichtserkennungssoftware nicht als
menschliche Gesichter zu identifizieren sind.
Indem er Technologien nutzt, um Möglichkeiten der Anonymisierung zu
schaffen, verweist Blas auf Gegenstrategien sozialer Bewegungen. Damit
knüpft er an die Utopien der Anfangszeit des Internets an. Die Ausstellung
steht beispielhaft für eine Konjunktur von Kunst, welche sich unter dem
Schirm „Digitalität“ eher schlecht als recht fassen lässt: Auch die
Künstlerin Hito Steyerl setzt sich abseits eines internetfeindlichen
Technikpessimismus mit den Wechselwirkungen von technologischen und
künstlerischen Bildsprachen auseinander. Mit ihren filmbasierten
Installationen steht sie exemplarisch für eine Vielzahl zeitgenössischer
Kunstschaffender.
Gemein ist dem beispielsweise ausschließlich computergenerierten
Bildmaterial des Briten Ed Atkins, dem naiven Animationsstil in den Videos
des Kanadiers Jon Rafman oder den mit 3-D-Modellierungssoftware und
computergesteuerter Airbrush entstandenen Gemälden der New Yorkerin Avery
Singer indes vor allem eins: Internet und Digitalität fungiert bei ihnen
weniger als abgekoppeltes Medium denn als reziprokes Instrument einer
zeitgenössischen künstlerischen Praktik.
Auf diese Weise grenzen sie sich radikal von der sogenannten NetArt ab, an
die sich heute fast niemand mehr zu erinnern scheint. Letzteres mag vor
allem auch deren flüchtigen Strukturen und der engen, selbstreferenziellen
Rahmung des digitalen Raums geschuldet sein: In ihrer immateriellen
Kurzlebigkeit legte die NetArt strukturelle Mechanismen der Kunstökonomie
offen. Sowohl die meist anonyme Kollektiverfahrung als auch deren
Prozessualität stehen entgegen jeglichem kunsthistorischen Werkcharakter.
Daran anschließend mag NetArt gerade dort, wo sie in größerem Maßstab
rezipiert wird, erst gar nicht als Kunst wahrgenommen werden.
Atkins, Rafman, Singer oder auch Cory Arcangel untersuchen in
vielschichtigen Bildwelten und multimedialen Arbeiten dagegen eine visuelle
Wechselbezüglichkeit, die sich fernab banaler Vorstellungen von malenden
Robotern oder Kunstausstellungen in einer Virtual Reality bewegen. Denn
dieser Auffassung liegt ein sowohl ungeklärtes als auch verklärtes
Verständnis körperlicher Kunsterfahrung zugrunde, die „nicht medial“ und
daher „authentisch“ vermittelt ist.
Doch gerade Kunst und das Internet haben eine entscheidende Gemeinsamkeit:
Beide sind keine externen Erweiterungen unserer Lebenswirklichkeit, wie es
die anhaltende Differenzierung in „online“ und „offline“ vermuten läss…
Vielmehr konstituieren sie nicht immer sichtbare, jedoch ständig präsente
Schichten unserer körperlichen Umgebung. Auch die zunehmende Popularität
von Performances im Kunstbetrieb weist wohl auf die gesellschaftliche
Glorifizierung eines angeblich „realen“, also dreidimensional gemeinten
(Kunst-)Erlebnisses hin.
Der andauernde Hype der vergangenen Jahre um Positionen wie die Anne Imhofs
liegt nicht zuletzt in dieser Gier nach körperlich konfrontativer Erfahrung
begründet. Ein Großteil der sozialen Wahrnehmung solcher Performances
manifestiert sich dann aber doch hauptsächlich über die unzähligen Storys,
welche die Instagram-Kanäle füllen: Symptom dafür, dass die Trennung
zwischen „analoger“ und „digitaler“ Welt längst obsolet geworden ist. …
auch wenn Zech Blas’ Ausstellung in Oldenburg etwas weniger psychedelische
Neonfarben und etwas mehr Abstraktion sicherlich gutgetan hätte – er
schafft es doch, komplexe technologische Strukturen zu thematisieren. Damit
kritisiert er ein neoliberales Modell ästhetischer Erfahrung und verweist
zugleich auf die Notwendigkeit von Visualität für ein Verständnis von
Digitalität.
Bis 5. Januar, Edith-Ruß-Haus, Oldenburg
29 Oct 2019
## AUTOREN
Mira Anneli Naß
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