| # taz.de -- Schwebende Vitrinen | |
| > Das Handwerk des Schreibens: Porzellan und Literatur treffen sichbeim | |
| > britischen Künstler Edmund de Waal in der Galerie Max Hetzler | |
| Von Gloria Reményi | |
| Kaum ist man über die Schwelle getreten, muss man sich fast eine Hand vor | |
| die Augen halten, so blendend ist das Licht. Erst nach ein paar | |
| Augenblicken nimmt die Umgebung Gestalt an und in dem komplett weißen Raum | |
| der Galerie Max Hetzler in der Goethestraße zeichnen sich die berühmten | |
| Vitrinen des britischen Künstlers Edmund de Waal ab. | |
| Auf durchsichtige Sockel gestellt, wirken die Glaskästen wie schwebend im | |
| Raum. Daraus blinken weiße Blätter und Gefäße aus Porzellan hervor, | |
| arrangiert zu minimalistischen Kompositionen mit Elementen aus Gold, Stahl, | |
| Alabaster und Marmor. In einige wie lose Zettel aussehende | |
| Porzellanfragmente ist Text eingraviert. Lesen kann man ihn nicht, so klein | |
| und kritzelig ist die Schrift. Der international anerkannte | |
| Porzellankünstler, der sich selbst als „Töpfer“ bezeichnet, lässt hier d… | |
| Schreiben als Handwerk auftreten. | |
| Das Verhältnis zwischen Skulptur und Literatur beschäftigt de Waal, der | |
| auch als Bestsellerautor („Der Hase mit den Bernsteinaugen“) bekannt ist, | |
| schon länger. Ganz dem Porzellan widmete er sein 2016 erschienenes Buch | |
| „Die weiße Straße“. Von Walter Benjamin ließ er sich für seine erste | |
| deutsche Ausstellung inspirieren. Unter dem Titel „library of exile“ stellt | |
| er zurzeit eine Sammlung von 2.000 Werken internationaler Exilautorinnen | |
| und -autoren in einem mit Porzellan verkleideten Bücherpavillon in Venedig | |
| aus. Dies wird ab dem 29. November 2019 in Dresden zu sehen sein. | |
| „Text can be sculpture, sculpture a sort of speech“, schreibt nun de Waal | |
| in dem begleitenden Essay zu seiner Ausstellung in Berlin und bezieht sich | |
| dabei auf den Schweizer Schriftsteller Robert Walser. Walser ist für de | |
| Waal eine Art Töpfer der Literatur, das Schreiben verstand er als | |
| akribisches Handwerk. „[Ich] schneidere, schustere, schmiede, hoble, | |
| klopfe, hämmere oder nagle Zeilen zusammen“, so schrieb Walser zu seiner | |
| Tätigkeit als Autor. | |
| Ende der zwanziger Jahre erfand Walser eine Schreibtechnik, um Texte in | |
| mikroskopischer Kurrentschrift – ein bis zwei Millimeter hoch – zu | |
| verfassen. Damit füllte er alltägliche Papiere randvoll mit Feuilletons, | |
| Gedichten und sogar einem ganzen Roman („Der Räuber“). Über 500 dieser | |
| „Mikrogramme“ sind bis heute erhalten geblieben. | |
| Die Reproduktion der sogenannten Bleistiftmethode auf Porzellan stellt in | |
| de Waals Schau nur die erste Ebene der Auseinandersetzung mit Walser dar. | |
| Das Faszinierende und Obsessive des handwerklichen Akts werden hier | |
| ebenfalls thematisiert. So hat de Waal auch eine mit flüssigem Kaolin | |
| übergossene Wand mit Texten von und über Walser beschrieben, die in ihrer | |
| Fragilität berühren: Mal wird ein Satz um die Wand herum fortgesetzt, mal | |
| ist ein Wort ausradiert, mal gehen verschiedene Texte ineinander über. Als | |
| Pendant dazu wirken die schwarzen Porzellangefäße, die im zweiten | |
| Galerie-Standort in der Bleibtreustraße ausgestellt sind: Manche enthalten | |
| winzige Goldstücke, manche sind schon leer, wie um einen voranschreitenden | |
| Bruch- und Schwundprozess zu illustrieren. | |
| Mit wacher Sensibilität deutet de Waal auf einen Abgrund hinter Walsers | |
| Schönschreibkunst hin. Mit der „Bleistiftmethode“ versuchte der Autor eine | |
| Schreibkrise zu überwinden. Schon 1929 kam er wegen Angstzuständen in eine | |
| Heilanstalt, 1933 hörte er zu schreiben auf und lebte noch bis 1956 als | |
| fast vergessener Autor. In der Ausstellung verzichtet de Waal auf | |
| einordnende Worte und stützt sich ganz im Sinne Walsers allein auf das | |
| eigene handwerkliche Geschick sowie sein Gespür für das Fragile. Dass | |
| manche Installationen nur schwer dem Schaukonzept zuzuordnen sind, | |
| erscheint somit sekundär. Denn de Waal gelingt mit „a sort of speech“ ein | |
| Projekt von berührender Tiefe. | |
| Bis 2. 11., Galerie Max Hetzler, Bleibtreustraße 45 und Goethestraße 2/3, | |
| Di.–Sa. 11–18 Uhr | |
| 16 Oct 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Gloria Reményi | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |