# taz.de -- Im Rausch der Weltverbesserung | |
> Peter Rühmkorf hielt als Poet der Bundesrepublik den Spiegel vor – ob als | |
> Autor der „Konkret“, als Lyriker oder Zeitschriftenverleger. Dem Altonaer | |
> Museum in Hamburg gelingt es, die kreative Kraft seiner Sprache in der | |
> Ausstellung „Laß leuchten“ erfahrbar zu machen | |
Bild: Er traf mit jedem Wort: Hier spricht Peter Rühmkorf 1983 im St.-Pauli-St… | |
Von Frauke Hamann | |
Dieser Sound, der eigene Ton, der Sprachwitz, die kontrastierenden | |
Wörter-Brüche, die neuen Sinn schaffen – wie kann man einen Poeten wie | |
Peter Rühmkorf lebendig darstellen, der doch seit 2008 tot ist? Seine | |
Schreibtischplatte voller Gebrauchsspuren ist zu Beginn der Schau „Laß | |
leuchten!“ in einer Vitrine im Altonaer Museum zu sehen. „Was ist der | |
Mensch?“/(sein Wesen?) – schwer zu fassen./Lauter so Sprenkel, die nicht | |
zueinander passen.“ So der Dichter in dem Band „Einmalig wie wir alle“ von | |
1989. | |
Geboren in Dortmund am 25. Oktober 1929, aufgewachsen im kleinen Ort | |
Warstade-Hemmoor zwischen Stade und Cuxhaven, lebte Peter Rühmkorf seit | |
Anfang der 1950er-Jahre in Hamburg. Ein Reeder stellt dem jungen Autor ein | |
Haus im Stadtteil Övelgönne zur Verfügung. Ob als Journalist für die | |
Zeitschrift Konkret oder Lektor für den Rowohlt-Verlag, als | |
Tagebuchschreiber oder Verfasser moderner Märchen, vor allem aber als | |
Lyriker kommentiert Rühmkorf über mehr als fünfzig Jahre hinweg | |
gesellschaftliche Entwicklungsprozesse, deren Verlauf er mitunter, meist in | |
entgegengesetzter Richtung, gern beeinflusst hätte. Ihn treibt laut | |
Selbstauskunft ein „tolles Verlangen nach Ausdruck und Abenteuer“. Als | |
Dichter hält er der Bundesrepublik – provokant, bissig und ironisch – einen | |
wenig schmeichelhaften Spiegel vor. | |
„Wir bieten eine Ausstellung über die Sprache und ihre kreative Kraft,“ | |
sagt Anja Dauschat, Direktorin des Altonaer Museums. In einem Mix aus | |
Alltagsobjekten, visuellen Inszenierungen, Manuskripten und Fotos wird das | |
Leben und Schaffen Rühmkorfs deutlich. Der Gang durch die Räume gleicht dem | |
Besuch einer Schreibwerkstatt: Der Dichter sammelte zahllose | |
Alltagsgegenstände. Vor allem schnappte er Reim-Ideen jeder Art auf, | |
notierte Wortfetzen, Werbesprüche und Alliterationen. Diese „Lyriden“, wie | |
er sie nannte, bildeten seinen Inspirationsvorrat. In der Ausstellung | |
flimmern „Lyriden“ in fast jedem Raum über Laufbänder, verdeutlichen wie … | |
einem Bewusstseins-Strom das Fließen der Sprache. „Laß leuchten!“ – der | |
Titel wird eingelöst. | |
Literatur als Instrument zur Weltverbesserung, das reizt den | |
Germanistik-Studenten der Uni Hamburg, der das Studium jedoch nach einigen | |
Semestern abbricht. Mit der Zeitschrift Zwischen den Kriegen“ (siehe unten) | |
erschufen er und sein Freund Werner Riegel sich ein poetisch-politisches | |
Experimentierfeld: „Wozu Gedichte machen? Lieber Geschichte machen! Gute | |
Geschichte – statt guter Gedichte.“ Dieser Maxime von Kurt Hiller folgt | |
Rühmkorf letztlich nicht. Er bleibt ein wacher Zeitgenosse, der sich | |
engagiert, aber nicht ans Engagement ausliefert. | |
In seiner Ostermarsch-Rede 1967 heißt es: „So geht es nicht. So geht es | |
nicht weiter. So kommen wir niemals durch.“ Jedes Wort treffend. Das ist | |
der Anspruch. „Ich butter meinen Toast von beiden Seiten“ – der das | |
schreibt, weiß, was Genuss bedeutet und genießt nach Kräften: Frauen, | |
Jazzmusik, Alkohol. Der Rausch ist in dieser Ausstellung selbstverständlich | |
präsent, die vielen Stimulanzien, vom Hanf bis zu Glimmstängeln und | |
Flaschen sonder Zahl. Wie derb und treffend seine Sprache ist: „Man blickt | |
an sich selber runter/wie auf Sanierungsgelände.“ | |
Texte anderer Autoren sind in ihn eingesät. Mittels Parodie und Montage | |
findet er seinen eigenen Ton. „Ihm eignet die intime Kenntnis der | |
literarischen Überlieferung, die feine, gleichsam unterirdische | |
Korrespondenz mit den literarischen Stimmen der Vorzeit,“ so der Kritiker | |
Hanjo Kesting anlässlich Rühmkorfs 75. Geburtstag. | |
In der Ausstellung berührt der „Raum der Gedichte“ mit zehn lyrischen | |
Texten Rühmkorfs in Großprojektionen, als schwebten die Gebilde im Raum. | |
Persönlichkeiten, darunter Nora Gomringer, Jan Wagner, Jan Philipp Reemtsma | |
und Heinrich Detering, sprechen jeweils über ein Gedicht und erklären, | |
warum sie diese Lyrik besonders mögen, in der Reimkunst, Ironie, | |
politisches Engagement und Subjektivität zusammenwirken. | |
Die Ausstellungsmacher Susanne Fischer und ihr Team zeigen zudem eine | |
Auswahl weitgehend unbekannter Film-Aufnahmen von Rühmkorfs „Jazz und | |
Lyrik“-Programmen. Heute füllen Poetry Slams die Klubs und Hallen, Rühmkorf | |
trug ab Mitte der 1960er-Jahre auf dem Gänsemarkt und im St.-Pauli-Stadion | |
mit Jazzmusikern seine Gedichte vor. Sie entstanden aus Wortmaterial, | |
Klang, Rhythmik. Diese berückende Ausstellung macht einen unvergleichlichen | |
Spracharbeiter erfahrbar. | |
„Laß leuchten! Peter Rühmkorf zum Neunzigsten“: bis 20. 7. 20, Hamburg, | |
Altonaer Museum | |
4 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Frauke Hamann | |
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