| # taz.de -- Die vielen Gesichter der Paula B. | |
| > Das Modersohn-Becker-Museum zeigt die erste auf Selbstporträts | |
| > fokussierte Ausstellung seiner Hausheiligen. Vieles spricht dafür, dass | |
| > es sich um die bedeutendste Werkgruppe ihres Schaffens handelt | |
| Bild: Selbstbildnis von Paula Modersohn-Becker von 1897/98 | |
| Von Benno Schirrmeister | |
| Hat Ich Zukunft? Vielleicht kommt da ja noch was. Aber dass seine | |
| Geschichte ihren dramatischen Höhepunkt um 1900 erlebt hat, als das | |
| Jahrhundert der Innerlichkeit im Kult des Ich kulminiert und in der | |
| faszinierenden Entdeckung seiner unbewussten Regionen, lässt sich hingegen | |
| gut belegen. Die Frage, wer ich sei, steht auf jener Jahrhundertschwelle | |
| vor ziemlich jeder Kunstproduktion. | |
| Sie führt sie – es ist dieselbe Bewegung – zur Zersplitterung, Zerschlagung | |
| und Zersetzung des Subjekts, dessen Fade-out die letzten 40 Jahre prägt. | |
| Eine, vielleicht die einzig wahre Antwort hat damals die Bremer Malerin | |
| Paula gefunden, gerade in dem Moment, in dem sie sich weder als Frau | |
| Modersohn noch als Frau Becker fühlt: „Ich bin Ich“, schreibt sie in einem | |
| Brief an Rainer Maria Rilke „und hoffe es immer mehr zu werden.“ | |
| So lautet auch der Titel der aktuellen Ausstellung im | |
| Paula-Modersohn-Becker-Museum, und das ist gut. Denn das ist ja ganz und | |
| gar kein banaler Satz, und auch kein bescheidener: Er klingt ein bisschen | |
| nach Gott, der ja auch sagt, er wäre der, der er ist – und das soll man ihm | |
| gefälligst glauben. Es klingt ein bisschen auch nach Georg Fichte, dessen | |
| Ich-=-Ich-Formel den Atheismusstreit auslöst. Und am Ende hört es sich dann | |
| doch vor allem nach Jacques Lacan an, in Antizipation: Ein Subjekt, das | |
| erst noch und immer mehr wird, kann ja nicht zugleich sein. Es symbolisch | |
| zu fassen, wird also zu einer Lebensaufgabe. Mehr als 60 Darstellungen | |
| ihrer selbst hat Paula Modersohn-Becker geschaffen, von der Jugend an bis | |
| zum frühen Tod. Und 50 von ihnen sind in der Ausstellung versammelt – von | |
| der flüchtigen Skizze übers Witzbild bis zum erratischen „Selbstbildnis am | |
| 6. Hochzeitstag“, signiert mit P. B., also ohne das M. des angetrauten | |
| Otto: der erste weibliche Selbstakt der Kunstgeschichte, so heißt es. | |
| Gemalt hat sie es teils nach einer Selbstfotografie im Studio, teils aber | |
| eben auch nach der Fantasie oder besser der traditionellen Ikonografie | |
| irgendeiner archaischen Fruchtbarkeitsgöttin, hochschwanger, wie die nun | |
| mal zu sein haben, vor einem unpersönlichen, außerzeitlichen Hintergrund: | |
| Erkundet sich die Malerin malerisch als Urbild oder Ideal? Macht sie sich | |
| über sich selbst lustig, wenn sie eine Postkarte tuscht, vorn drauf in | |
| sackbraunem Kleid eine Frau mit Pinseln und Staffelei, im blauenden | |
| Hintergrund die Silhouette von Notre Dame de Paris? | |
| Allein die Zahl der Selbstporträts, 60, ist ja schon immens, bei einer | |
| Malerin, die mit 31 Jahren starb. Völlig verrückt wird die Angelegenheit | |
| indes dadurch, dass vor der jetzigen noch keine Ausstellung das Thema der | |
| Eigendarstellung in ihrem Schaffen je ins Zentrum gerückt hätte: Gerade | |
| deshalb sollte man sich auf die Schau einlassen wie auf eine Expedition ins | |
| Unbekannte. Denn es ist ein echtes Abenteuer, in das diese Bilder die | |
| Museumsgäste stürzen, besser als die ganze Biografistik, die das imaginäre | |
| Ich überlagert, das die Künstlerin produziert. Gespürt hat das, | |
| verängstigt, ihr erster Sammler Karl Ernst Osthaus: „Paulas Selbstportraits | |
| finde ich alle grausam gegen ihre Lieblichkeit.“ | |
| Genau. Das ist es. Hier in diesen Bildern von sich tritt sie den | |
| BetrachterInnen nicht unverstellt und authentisch entgegen, wohl aber | |
| völlig unbeherrscht. Nicht lieblich und artig und hübsch. Sondern so, wie | |
| sie sich selbst will. Grimassierend. Geschönt. Abstrahiert. Als Tote. Als | |
| Experimentierfeld gestalterischer Techniken. Als enigmatische | |
| Personifikation einer unbekannten Eigenschaft. Als Maske. Als Ich. Nichts | |
| könnte eindrucksvoller sein. | |
| „Ich bin Ich – Paula Modersohn-Becker. Die Selbstbildnisse“: bis 9. 2., | |
| Böttcherstraße | |
| 12 Oct 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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