# taz.de -- Die Wahrheit: Frankfurter Start-up | |
> Das Geschäft der Zukunft: Betteln im Bankenviertel. Mit individuell | |
> zugeschnittenen Angeboten für den gebefreudigen Banker. | |
Bild: Auf luxuriöse Dinge dürfen Arme höchstens einen Blick werfen | |
Die Goethestraße in Frankfurt ist rund 300 Meter lang. Aber schon auf zehn | |
Metern kann man sein Monatseinkommen verballern – zum Beispiel, wenn man | |
sich in einem der Nobel-Läden ein Paar Schuhe mit den passenden Socken | |
kauft. | |
Ich geh also lieber weiter – und zucke zusammen. Umrahmt von Louis Vuitton, | |
Bulgari, Versace und Prada kauert da ein Bettler und nimmt einem Maserati | |
den Parkplatz weg. Zögerlich frage ich ihn, wie er sich in diesem Umfeld | |
fühlt. „Ach, ich könnte auch auf der Zeil arbeiten, aber hier ist schon | |
okay. Die Kundschaft ist natürlich sehr ausdifferenziert, darauf musst du | |
dich einstellen“, erklärt er. | |
Er hat deshalb verschiedene Produkte im Angebot. Da ist einmal der | |
Schuhkarton von Adidas. Da können Touristen Münzen reinwerfen. Etwas | |
aufwendiger ist das Angebot für die Banker aus der Umgebung. Da stehen dann | |
vier, fünf Becher von Starbucks: Espresso, Macchiato mit Sojamilch, Caramel | |
Hot Chocolate, Filterkaffee – die leeren Becher wechseln. | |
Das zielgruppenorientierte Angebot funktioniert. Eine junge Frau, dezenter | |
Hosenanzug, randlose Brille, blickt auf die Becher und entscheidet sich: | |
„Ich nehm den Mac mit Soja.“ Sie bückt sich, legt zwei Euro hinein und | |
wünscht dem Bettler einen schönen Tag. Ihr Kollege, sportlicher Anzug, | |
akkurat geschnittener Drei-Tage-Bart, fragt nach: „Schmeckt das mit Soja?“ | |
Nach der Versicherung, dass das super schmeckt, bückt auch er sich. Noch | |
zwei Euro. | |
Das dritte Angebot ist etwas dezent: Selfies mit dem Bettler möglich. Steht | |
auf einem Schild. Das ist für Banker, die im Dunstkreis von Panama-Papers | |
oder Cum-Ex aktiv waren und ein Meeting mit dem Gericht haben. „Wenn der | |
Anwalt auf das hohe soziale Engagement hinweist und dafür ein Selfie mit | |
mir vorlegt, ist das schon hilfreich“, erklärt mir der Bettler. „Aber das | |
kostet wenigstens ’nen Hunni.“ | |
Ich begreife, dass hier ein lukratives Geschäftsmodell liegt und ahne, | |
warum es in diesem Feld organisierte Kriminalität gibt. Von Bettelbanden | |
aus Südosteuropa ist ja immer wieder zu lesen. Der Bettler grinst, als ich | |
nachfrage: „Mein Name ist Zoran Akermanescu.“ Mit noch breiterem Grinsen | |
erklärt Zoran: „Eigentlich heiß ich Markus Wehler und komme aus Bad | |
Nauheim. Aber in diesem Business brauchst du einen solchen Künstlernamen. | |
Das ist State of the Art. Als Markus Wehler hätte ich den Platz hier nie | |
bekommen.“ | |
Und dann schwärmt Zoran-Markus von einer legendären Bande, allerdings nicht | |
aus Rumänien. Die hatte vor ein paar Jahren einen geilen Trick drauf. Die | |
haben sich einfach totgestellt, vor die Banken-Towers gelegt und toten Mann | |
gemacht. Und alle in ganz Frankfurt haben gesagt: „Die dürfen wir nicht tot | |
rumliegen lassen.“ Und dann wurden Münzen und Scheine geschmissen, bis die | |
sich wieder regten. | |
„Cool“, sagt Zoran-Markus, „die waren super. Da will ich mal hin. Das | |
schaff ich auch. Ich bin ja noch jung.“ | |
9 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Bernd Mansel | |
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