# taz.de -- internationales literaturfestival (6): Über Faschismus lachen? | |
> Die italienische Schriftstellerin Michela Murgia sprach im Silent | |
> Greenüber die politischen Entwicklungen in ihrer Heimat und die Macht der | |
> Worte | |
Von Laura Sophia Jung | |
Als „provokante und hochaktuelle Satire“ wurde das 112 Seiten knappe Buch | |
„Faschist werden – eine Anleitung“ von Michela Murgia beim Internationalen | |
Literaturfestival Berlin angekündigt. Zu lachen gab es am Dienstagabend im | |
Silent Green Kulturquartier allerdings zunächst wenig. Der Ton des | |
Gesprächs war von Anfang an ernst, fast bedrückend. | |
Moderatorin Sabina Magnani von Petersdorff befragte Murgia zur aktuellen | |
Lage in ihrem Heimatland Italien: Ob sie sich dessen Abdriften in den | |
Faschismus vorstellen könne? Die Autorin zögerte nicht: „Dieses Abdriften | |
ist schon seit Langem im Gange.“ Der Grund dafür sei die fehlende | |
Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit Italiens. Man habe Individuen | |
zur Rechenschaft gezogen, sich aber nie mit der kollektiven Schuld | |
auseinandergesetzt. Für Murgia war die Zurschaustellung von Mussolinis | |
Leichnam auf der Piazzale Loreto in Mailand am 29. April 1945 dafür ein | |
Schlüsselmoment: „Hier wurden die Schuldigen gezeigt und am nächsten Tag | |
gab es keine Faschisten mehr. Plötzlich waren alle Antifaschisten oder | |
Partisanen.“ Dies sei der Beginn einer Verdrängung gewesen, die jetzt, wo | |
die Zeitzeug*innen weniger werden, kaum mehr rückgängig gemacht werden | |
könne. | |
Als Aktivistin und Feministin bemühe sich Murgia mit ihrem Buch deshalb um | |
eine Bestandsaufnahme der aktuellen politischen Stimmung Italiens. Anhand | |
von Begriffspaaren lotet sie die Unterschiede zwischen Demokratie und | |
Faschismus aus. Wichtig sei ihr gewesen zu zeigen, dass es sich beim | |
Faschismus nicht um eine Ideologie, sondern um eine Methode handele: „Um es | |
in den leicht abgewandelten Worten von Forrest Gump zu sagen: Faschist ist | |
der, der Faschistisches tut“, konstatierte Murgia. | |
## Erinnerung und Gedächtnis | |
So charakterisiere eine Demokratie die Auseinandersetzung mit Gegner*innen | |
– im Faschismus hingegen gebe es Feind*innen, die es zu vernichten gelte. | |
Eine Demokratie zeichne sich dadurch aus, dass Menschen Verantwortung | |
übernehmen – Faschismus hingegen spreche von Schuld. | |
Das für Murgia zentrale Begriffspaar aber ist Erinnerung und Gedächtnis. | |
„Die Erinnerung ist persönlich. Das Gedächtnis kollektiv“, erklärte die | |
Autorin. Das Gedächtnis bestehe aus den persönlichen Erinnerungen von | |
Individuen, die in ein kollektives Erinnern überführt werden. Und das gehe | |
nur durch das Erzählen – und Zuhören. | |
Beides finde aktuell in Italien nicht mehr statt, berichtete die Autorin. | |
Die „Wertehierarchie“ der Erinnerungen löse sich immer mehr auf. Es gebe | |
kaum noch Zeitzeug*innen, die dem widersprechen könnten. „Wenn man das | |
Gedächtnis nicht aufbaut, fängt man immer wieder bei null an. Man ist | |
gezwungen, die Geschichte unter neuen Vorzeichen zu wiederholen“, mahnte | |
sie. | |
Wie man darüber satirisch schreiben kann? Ganz einfach: Das Leben in | |
Italien sei voller Realsatire, erklärte Murgia. So zum Beispiel in der | |
Rhetorik der neuen Politiker, die Menschen anderer Meinung am liebsten | |
asphaltieren, niederwalzen würden („asfaltare“). Es stecke faschistische | |
Methode hinter diesen Worten, meinte die Autorin. Nur: Auch unter Murgias | |
Fans habe sich diese Rhetorik verbreitet. Ein Facebook-Post, in dem sie | |
Salvini aufs Korn nimmt, sei von ihren Anhänger*innen begeistert | |
kommentiert worden. Die häufigste Aussage: „Du hast ihn niedergewalzt!“ | |
Diese sprachliche Verrohung schmerzt die Sprachliebhaberin Murgia, aber sie | |
gibt sich nicht kampflos geschlagen. Sie schreibt darüber – und lacht. | |
19 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Laura Sophia Jung | |
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