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# taz.de -- Blueprint der Veränderung
> Die Architektur-Biennale und eine Kunstmesse in Chicago nehmen die Stadt
> und ihren notwendigen Wandel in den Blick. Bei beiden ist Theaster Gates
> wichtiger Protagonist
Bild: Im Chicago Cultural Center, 1897 als Bibliothek gebaut, findet die Archit…
Von Lorina Speder
Die berühmten Zwillingstürme von Marina City aus dem Jahr 1963 sind aus
Chicago nicht wegzudenken. Mit den zwei identisch aussehenden
maiskolbenartigen Gebäuden stellte Architekt Bertrand Goldberg ein
neuartiges Wohnkonzept vor. Als „city within a city“ konnte man Marina City
bewohnen und sollte nichts vermissen – ein Theater, Büros, eine Wäscherei,
Parkhaus, Bootssteg und Grünanlagen inklusive.
Die Bezeichnung „city within a city“ hört man in Chicago auch heute noch an
jeder Ecke. Die 77 Bezirke der Stadt sind so divers, dass sie für Kuratorin
Sepake Angiama kleinen Städten gleichen. Grund genug, die dritte
Architektur-Biennale nach diesen vielen Nachbarschaften auszurichten und
mit Künstlerpositionen aus der ganzen Welt zu verbinden. Eine Ausstellung
über die Prachtbauten von Chicago wollte Angiama bei der Biennale mit dem
Titel „… and other such stories“ ausdrücklich vermeiden.
## Verborgene Geschichten
Das hat seine Berechtigung. Denn die vielen Bezirke der Stadt erzählen
Geschichten, die sich im Verborgenen abspielen. Von der Politik oft
ignoriert, finden sie durch die Biennale endlich eine Stimme. „Viele
Communities wurden zu lange allein gelassen und in sozialen Projekten
ausgelassen“, sagt Angiama im Gespräch und erklärt: „Das Teilhaben ist in
Zeiten der nicht endenden Krise wichtiger denn je.“ Mit diesem
pädagogischen Ansatz rückt sie die Historie dieser urbanen Situation in den
Fokus. Als sie das erste Mal nach Chicago kam, war ihre Verwunderung groß:
„Viele denken einfach nicht zurück“, sagt sie mit hochgezogenen
Augenbrauen. So wird das Wissen über die indigenen Völker in den USA nicht
in der Schule gelehrt und Schüler können sich nicht damit identifizieren.
Dabei stellen die Nachfahren der indigenen Ureinwohner heute eine große
Bevölkerungsgruppe in Chicago. Deshalb beschloss sie mit dem
KuratorInnen-Team, in der gesamten Ausstellungsarchitektur historische
Informationen zu installieren. So erfährt man viel über den Bürgerkrieg und
seinen Einfluss auf die indigenen Völker. Auf einer anderen Etage ist ein
Land Acknowledgement (Statement der Anerkennung und des Respekts gegenüber
den indigenen Gruppen) installiert, das die einheimischen Stämme der Odawa,
Ojibwe und Potawatomi thematisiert.
Als Sprachrohr aus über 40 anderen eingeladenen „Stimmen“ fungiert der
Künstler Theaster Gates. Nachdem er dieses Jahr im Berliner Gropius Bau
eine Fotografie-Ausstellung kuratierte und im Pariser Palais de Tokyo durch
skulpturale Werke afroamerikanische Identitäten hinterfragte, widmet er
sich mit seinem Beitrag über die South-Shore-Neighbourhood auf der
Architektur-Biennale im Cultural Center wieder seiner Heimatstadt.
## Sichtbarkeit der Community
Als der Friseur Harith Augustus durch Polizeigewalt letztes Jahr ums Leben
kam, war die schwarze Nachbarschaft im Süden der Stadt weltweit in den
Medien. Im Video von Gates sieht man im Wechsel schwarze Protagonisten,
verlassene Gebäude, leere Straßen und flache Wohngebäude. In der
dazugehörigen Installation informiert Gates über seine dort angesiedelte
Rebuild Foundation. Während der Eröffnungswoche der Biennale und des
gleichzeitigen Starts der Expo Chicago lockte Gates mit Aktionen der
Foundation das internationale Kunstpublikum in Chicagos South Side und
machte auf diese Weise die Community und sein Anliegen der kulturellen
Entwicklung sichtbar.
Auch auf der Kunstmesse auf dem Navy Pier von Chicago kommt man an Gates
nicht vorbei. Mit der ansässigen Galerie Richard Grey arbeitet er seit über
10 Jahren zusammen. Auf den Ständen der Expo Chicago sieht man wie auf der
Biennale neben lokalen Künstlerpositionen internationale Positionen. Ob
meditative Pinselstriche der Dansaekhwa-Bewegung aus Korea bei der Galerie
Tina Kim, Fotografie von Thomas Ruff und Wolfgang Tillmans bei David
Zwirner oder das ausdrucksstarke Porträt von dem ghanaischen Maler Amoako
Boafo auf dem Stand der Mariane-Ibrahim-Galerie.
Und immer wieder stößt man beim Rundgang über die Messe auf die Türme von
Marina City. Das Motiv ist bei dem Publikum und den lokalen Sammlern
besonders beliebt. Sei es als Schwarzweißfotografie von Hiroshi Sugimoto
bei Marian Goodman, auf der die Struktur der Stockwerke den wolkigen
Hintergrund kontrastiert, oder als aus der Leinwand heraustretendes
Bildrelief von Martin Spengler auf dem Stand der Berliner Galerie Kornfeld.
Die Geschichte der Wolkenkratzer bis hin zu der offiziellen Bezeichnung als
Wahrzeichen der Stadt Chicago im Jahr 2016 liest sich wie ein Blueprint für
die Historie vieler Bezirke der Stadt. Nach einer Hochphase wurde der
Gebäudekomplex Ende der 80er Jahre zu einem Rattenloch. Nicht einmal 37
Prozent der fast 200 Appartements waren belegt, der gute Ruf des
innovativen Konzept war hinüber. Es brauchte jedoch nur einen Investor, der
an den Standort glaubte, um Marina Citys Beliebtheit neu zu wecken. Das
ähnelt Theaster Gates’ Vision für die Chicago South Side in seiner
Videoarbeit – vielleicht ist er derjenige, der den Wandel für die Bezirke
im Süden bringt.
25 Sep 2019
## AUTOREN
Lorina Speder
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