Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „Die anmutige Geschmeidigkeit eines Panthers“
> Freunde und Weggefährten ehren den im Mai verstorbenen Autor Wiglaf
> Droste mit einer Gala in der Volksbühne. Seine Polemiken verrieten viel
> über das Kreuzberger Milieu
Bild: Wie ein Nomade im Speck: Wiglaf Droste (1961–2019)
Von Klaus Bittermann
Es muss 1988 gewesen sein, als mir der Name Wiglaf Droste zum ersten Mal
bei der Lektüre der taz auffiel, jedenfalls las ich das schöne Wort
„Klassenkampfstreber“ und wurde neugierig auf mehr. Als ich im taz-Archiv
nach dem Begriff suchte, stieß ich auf eine Besprechung eines
Roger-Chapman-Konzerts, die mit einer harschen Kritik des Sommers begann:
„Scheußlich, ja, moralzerrüttend ist der ekle Sommer: die Kreuzberger
Kämpfenden Truppen, die Alt-Einundachtziger und Klassenkampfstreber, sie
schmurgeln im Prinzenbad, als wäre die Resolution schon erledigt; Kerle,
die ihr Schuldenkonto ohnehin schon mit den drei Todsünden Goldkettchen,
Vollbart und Stinkepfeife über Gebühr belastet haben, fügen jetzt noch
Schiesser Feinripp, Kurzbehostheit und Lochsandalette hinzu, riechen unter
den Achselhöhlen wie das Tote Meer, und überhaupt ist der Sommer ein nur zu
willkommener Vorwand, die letzten Rudimente von Selbstrespekt freudig über
Bord zu werfen.“
## Suada gegen den Mief
Seit dieser mir aus dem Herzen sprechenden Suada gegen den Kreuzberger Mief
durchforstete ich die taz regelmäßig nach den Artikeln Wiglafs, um im
tristen Berliner Alltag, der damals zwar noch fast vollkommen
touristenfrei, aber auch grau und speziell in 36 von einer autonomen
Kiezpolizei beherrscht war, die nicht immer zimperlich in der Wahl der
Waffen war, wenn jemand gegen ihre ungeschriebenen Gesetze verstieß. Wiglaf
kannte diese Szene genau, als die US-Journalistin Jane Kramer 1988 nach
Berlin kam, um über sie zu berichten und über das Restaurant Maxwell in
der Oranienstraße, das schließen musste, weil autonome Straßenkämpfer
meinten, es würde die falschen Leute anziehen und hätte in Kreuzberg nichts
verloren, weshalb sie einen Eimer Scheiße im Lokal auskippten. Jane Kramer
war vom New Yorker und ließ sich von Wiglaf über die Szene aufklären und
verschaffte ihm einen großen Auftritt in einem der wichtigsten
intellektuellen Magazine der USA: „In Kreuzberg gibt es so etwas wie eine
Etikette der Vergeltung. Wiglaf Droste, der Kunstkritiker der taz, sagt,
wenn man Besuch von Autonomen bekomme […], dann führe man ein paar
Telefongespräche, trommle seine Freunde zusammen und statte einen
Gegenbesuch ab. In Kreuzberg heißt das: eine Diskussion führen. Droste hat
selbst Erfahrungen mit dem Besuchtwerden. Eines Tages kam er nach Hause und
stellte fest, dass seine Tür mit Blut beschmiert war (die Inschrift lautete
›666‹ und ›Heil Satan‹). Zehn Kilo tote Fische und verfaultes Fleisch l…
auf der Fußmatte. Die Täter gaben sich in der Szene als Autonome aus, aber
Droste wusste, dass sie bloß frustrierte Rockmusiker waren, denen seine
Artikel nicht gefallen hatten, und deshalb stattete er ihnen auch keinen
‚Gegenbesuch‘ ab. Droste ist einer der maßvollsten und scharfsinnigsten
Kritiker der Kreuzberger Szene (wenngleich Fremde Schwierigkeiten haben,
ihn von dieser Szene zu unterscheiden – in der ausgebeulten, gestreiften
Zirkushose, der schwarzen Smokingjacke mit dem löchrigen T-Shirt, der roten
Schnur anstelle eines Gürtels und den alten Turnschuhen mit offenen
Schnürsenkeln).“
In dieser Szene, in der Schlägereien mit den „Bullen“ eine beliebte
Freizeitgestaltung junger Menschen waren, half nur Polemik, um sich Gehör
zu verschaffen, und zwar nicht gerade „maßvolle“, die einen wie Wiglaf
schnell verdächtig werden ließ, und da reichte noch Jahre später, 1994,
sogar ein so lustiger Text wie „Der Schokoladenonkel bei der Arbeit“, um
ihn als Kinderschänder zu brandmarken und seine Lesungen mit Buttersäure zu
verhindern.
Ein Jahr später suchte er ein Zimmer und da ich gerade eins übrig hatte,
zog er bei mir ein, mit ein paar Kartons Büchern, einer Schreibmaschine und
zwei Obstkisten. Auf der einen saß er, auf die andere hatte er die
Schreibmaschine gestellt, auf der er seine Artikel schrieb. Vermutlich
hätte sich an diesem Zustand auch die folgenden sechs Jahre nichts
geändert, weshalb ich ihm einen großen Schreibtisch, einen Drehstuhl und
einen Büroschrank besorgte, damit er unter einigermaßen normalen
Bedingungen dichten konnte. Als er dann nach sechs Jahren wieder auszog,
war der Boden seines Arbeitszimmers flächendeckend mit einer ungefähr 5
Zentimeter dicken Schicht von Papieren, Briefen, Artikeln, CDs,
Schallplatten, Kassetten, Manuskripten, Zeitungen, Ausrissen seiner Artikel
und Büchern übersät. Nur ein schmaler Trampelpfad führte zwischen den
sanften Hügeln aus Papieren von der Tür zum Schreibtisch.
## Schrulliges Hamburg
Damals führten wir inspiriert von einer schrulligen Wochenzeitung aus
Hamburg noch große Debatten, und zwar über die Frage aller Fragen: „Ist der
Winter in Deutschland überflüssig?“ Ich übernahm dabei die „Pro“-Seite,
schrieb: „Der Graupelschauer ist ein Meister aus Deutschland“ und
denunzierte den Winter als „verkappten Nazi“. Wiglaf empörte sich auf der
„Contra“-Seite, „dass die Hetze gegen sibirische Temperaturverhältnisse …
Klaus Bittermann vorgetragen wird, jenem Klaus Bittermann, dem Dadaismus,
Surrealismus, Situationismus und Anarchie immer mehr bedeutet haben als das
Wohl des Volkes. Im Gegenteil: Die Forderung des Defätisten Reinhard
Lettau, das Volk abzuschaffen, unterstützt Klaus Bittermann ausdrücklich
[…] Mit der Unverfrorenheit des notorisch Durchgefrorenen denunziert
Bittermann jene Kälte, die einst Hitlers Sechste Armee niederwerfen half,
er sehnt sich hingegen nach Verhältnissen, in denen der Wüstenfuchs Rommel
einst gedieh. Das sagt ja wohl alles: Wer nicht frieren will, will Krieg!“
Unsere Beiträge erschienen in der taz und Wiglaf brachte sie hier in der
Volksbühne zu Gehör.
Wiglaf war der Hunter S. Thompson Deutschlands. Sein Leben fand auf der
Überholspur statt, er war maßlos, weil er alles genießen wollte, und das
sofort. Er hatte die verantwortungslose Fröhlichkeit, mit der er die
betulichen Bügelfaltenschriftsteller gegen sich aufbrachte, er spottete wie
Villon über „Goldkettchenautoren“, „Ölfilmjournalisten“ und „Dauerj…
und nahm dabei keine Rücksichten darauf, aus welchem Lager jemand kam, ob
er Gremliza hieß, Zaimoglu oder Möllemann. Und deshalb wurde er auch von
seiner Kollegin Sibylle Berg angehimmelt:
„Wichtig bei der Auswahl meines Lieblingsschriftstellers ist auch, dass er
verstörend gut aussieht. Wiglaf Droste vereinigt die anmutige
Geschmeidigkeit eines Panthers mit der Gazellenhaftigkeit eines wilden
Mustangs. Dieser Schriftsteller ist schlau und gut, ich hab ihn lieb.“Als
freier Autor und Vortragsreisender verdiente er zeitweise so gut, dass er
sich mehrere Häuser hätte kaufen können, was andere sicher gemacht hätten.
Wiglaf gab alles, was er verdiente, wieder aus, so wie der Fußballprofi
Georg Best, den er gerne zitierte: „Ich habe mein ganzes Geld für Alkohol,
Frauen und schnelle Autos ausgegeben, den Rest habe ich verprasst.“ Und bis
auf die Autos stimmte das. Er hätte auch gar nicht gewusst, was er sonst
mit dem Geld hätte anfangen sollen. Sparen wäre ihm pervers vorgekommen.
## Großzügiger Mensch
Er war der großzügigste Mensch, den ich je getroffen habe. Er unterstützte
Freunde, die nichts hatten, ohne je darauf zu achten, ob er wieder etwas
zurückbekam, und er tat das, ohne darüber zu reden. Es war für ihn eine
selbstverständliche Geste. Natürlich forderte das ausschweifende Leben, das
Wiglaf führte, seinen Tribut, und irgendwann gab es kein Zurück mehr in das
geregelte Leben der heilen, abstinenten Welt, wie für die meisten, die aus
Notwehr gegen die pathische Normalität tranken. Zu weit und vor allem zu
lange hatte er sich auf gefährliches Territorium vorgewagt, auf dem die
Dämonen herrschen. Wiglaf kämpfte nur hin und wieder gegen sie, als wäre er
sich darüber im Klaren, dass er sowieso am kürzeren Hebel saß und dass
keine Illusionen halfen, weshalb er beizeiten sein eigenes Epitaph schrieb:
„Ich war nie ein Jünger des Verzichts, Und gab, wie ich es nahm und wie es
kam, im Fall des Falles immer alles, und eines Morgens kommt das große
Nichts.“
19 Sep 2019
## AUTOREN
Klaus Bittermann
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.