# taz.de -- landesjugendring: „Junge Leute möchten etwas, das ihre Sprache s… | |
> Jugendverbände sind weiterhin eine bedeutsame Plattform auch für ein | |
> politisches Engagement. Offenere Strukturen könnten sie noch attraktiver | |
> machen, meint Jugendforscher Klaus Hurrelmann | |
Interview Gabriel Rinaldi | |
taz: Herr Hurrelmann, den Berliner Landesjugendring gibt es seit 70 Jahren. | |
Die Formen des Engagements haben sich seit seiner Entstehung verändert. Wie | |
engagiert ist die aktuelle Generation von Kindern und Jugendlichen? | |
Klaus Hurrelmann: Im Moment haben wir Gruppen wie Fridays For Future, die | |
sich politisch engagieren. Dazu gibt es noch keine belastbaren Studien, | |
aber man kann schätzen, dass sich fünf Prozent der jungen Leute da | |
reinhängen. Das ist im Moment das auffälligste und es strahlt aus. Wir | |
haben eine Generation, die nach längerer Zeit mal wieder nicht nur an sich | |
selbst denkt, sondern auch breite soziale und kulturelle Themen mit im Auge | |
hat, das hat es so lange nicht gegeben. Die Generationen davor haben sich | |
eher auf sich selbst konzentriert. Insgesamt haben wir nach langen Jahren | |
also wieder eine politisch und sozial engagierte Generation. Aber nicht | |
unbedingt innerhalb der bestehenden Strukturen wie Parteien oder | |
Jugendorganisationen. Die traditionellen Strukturen für Engagement sind für | |
die jungen Leute zunächst nicht die erste Wahl. | |
Die Jugendverbände haben ja eine lange Tradition. Wieso sind sie im | |
Vergleich zu den Bewegungen trotzdem nicht so attraktiv? | |
Grundsätzlich muss man ja sagen, dass sie sich enorm gehalten haben. Die | |
Pfadfinder sind ja zum Beispiel ein Phänomen. Sie haben sich nur ganz | |
leicht modernisiert und haben nach wie vor ihre Anhänger. Man kann daran | |
erkennen, dass traditionelle Strukturen der Jugendverbandsarbeit nach wie | |
vor Resonanz finden. Aber im Vergleich dazu schlägt Fridays For Future | |
alles. Da ist Elan drin, da sind aktuelle Themen drin. Und es wird auch | |
eine neue Form von fluider, basisdemokratischer Organisation ausprobiert. | |
Die Jugendverbände sprechen von sich als Werkstätten der Demokratie. Welche | |
Rolle spielen sie in der Demokratie? | |
Werkstätten der Demokratie können sie sein. Aber dann muss für junge Leute | |
spürbar sein, dass sie nicht nur gewünscht werden, sondern auch gebraucht. | |
Also: Wenn ihr mitmacht, dann kriegt ihr die Chance, Einfluss auszuüben. | |
Ihr erlebt etwas, ihr seid bei einer sinnhaften Struktur dabei. Diese | |
Sinnhaftigkeit spielt für junge Leute heutzutage eine große Rolle. Nur bei | |
einer Organisation zu sein, weil man links oder rechts ist, das ist vorbei. | |
Es muss etwas passieren. Man muss das Gefühl haben, dass man direkt etwas | |
beeinflussen kann. Die Mitgliedschaft muss ein echter Gewinn sein. Die | |
jungen Leute sind sehr pragmatisch. Sie gehen nicht aus einem | |
übergeordneten Pflichtgefühl in eine Organisation, sondern nur dann, wenn | |
sie das Gefühl haben: da habe ich was davon. | |
Welche Rolle spielt denn eine solche Erfahrung in der Entwicklung von | |
Kindern und Jugendlichen? | |
Der Gewinn ist enorm. Und deshalb wäre es so schade, wenn es den | |
Jugendverbänden oder auch Parteien nicht gelingen sollte, die jungen Leute | |
zu gewinnen. Es kommt unheimlich darauf an, ihnen Interessen und | |
Bedürfnisse von den Lippen abzulesen und auf sie einzugehen. Man muss sie | |
mitreden und mitbestimmen lassen. Es kann sein, dass dabei neue Strukturen | |
herauskommen oder neue Formen der Partizipation entstehen, neue Themen | |
entwickelt werden. Gerade weil ein großer Teil dieser jungen Generation | |
eben auch politisiert ist und etwas machen möchte, besteht diese Chance. | |
Die Jugendverbände dürfen bei den jungen Leuten nicht die Sorge erwecken, | |
dass da ein verkrusteter Club kommt. Die jungen Leute möchten etwas, das | |
ihre Sprache spricht. | |
Glauben Sie, dass es die Jugendverbände auch in 70 Jahren noch geben wird? | |
Ja, es wird sie geben. Aber es kann sein, dass sie in einer ganz anderen | |
Verfasstheit und mit anderen Strukturen existieren werden. Also mit sehr | |
viel flexibleren Mitgliedschaften, kürzeren Verweildauern und mehr | |
aktionistischen Formen. Ganz ohne ist unwahrscheinlich. Denn das Bedürfnis | |
ist da und die jungen Leute möchten solche Foren haben. Aber es wird eine | |
völlig andere Struktur geben. Wir wissen auch noch nicht, welche Rolle | |
digitale Kommunikation haben wird. Sie muss dringend mit in die Aktivitäten | |
aufgenommen werden. Kurz gesagt: Es wird die Jugendverbände noch geben, | |
aber mit anderen Formen und Abläufen. Wir befinden uns gerade in einer | |
gewaltigen Umbruchsituation. | |
11 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Gabriel Rinaldi | |
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