# taz.de -- Immer ordentlich Autotune | |
> Reizvoll hingerotzt auf Europaletten: Die Hamburger Rapperin Haiyti | |
> absolviert eine kleine Berliner Club-Tour. Es ist ein Heimspiel für sie | |
Bild: Sie rappt, schreit, singt sie – mal wehmütig, mal wollüstig: Hayiti | |
Von Laura Sophia Jung | |
Normalerweise suche ich mir, wenn ich über ein Konzert schreibe, zielsicher | |
einen Platz am Rand. Da hat man den Überblick. Am Freitag im ausverkauften | |
About Blank aber geht das nicht. Schon eine Stunde bevor Rapperin Haiyti | |
auftritt, gibt es in dem kleinen Gewölbe keinen Rand mehr. Alles ist Menge. | |
Es ist das erste Konzert ihrer dreitägigen Berlin-Tour; laut eigener | |
Aussage die erste Berlin-Tour überhaupt. Typisch für Haiyti: eine simple | |
Idee, der etwas von Faulheit oder Schlamperei anhängt, brillant umgesetzt | |
mit Liebe zum Detail. So gibt es zum Beispiel Perroquets an der Bar. Nach | |
dem türkisen Drink (Pastis und Minzsirup) ist ihr im Juni erschienenes | |
Album benannt. Darauf rappt, schreit, singt sie – mal wehmütig, mal | |
wollüstig, aber immer mit ordentlich Autotune. Man kann sagen: Niemand | |
klingt wie sie. Nicht mal sie selbst. | |
Dafür ist das Publikum hier: für exaltierten Individualismus. Irgendwas | |
zwischen Falco, dem goldenen Hollywood und einem Kiez-Proll. Die meisten | |
haben sich entsprechend gekleidet: gegelte Haare und Lederjacke, Pelzweste | |
und Sonnenbrille, Adidas-Jogger aus Fallschirmseide – dabei ist es von | |
Anfang an eigentlich zu heiß für derartige Outfits. Schon Rapper Doxmv, der | |
als Support aus Paris angereist ist, sorgt mit Afrotrap und Tanzeinlagen. | |
## „Uuargh“ | |
Dann betritt Haiyti den Raum mit ihrem berühmten sogenanntem Ad-lip: dem | |
rauchigen „uuargh“. Schnell ist klar, warum die Hamburgerin Berlin für ihre | |
Stadt-Tour gewählt hat: Es ist ein Heimspiel. Die Fans singen alles | |
enthusiastisch mit, selbst wenn die Hook nur aus zwei Worten besteht („Es | |
kostet“). Es scheint auch niemanden zu stören, dass man von ihr oft nicht | |
mehr als ihre Cap oder – später – ihre Haare sehen kann. Denn Haiytis | |
„Bühne“ besteht aus zwei aufeinandergelegten Europaletten hinter einer | |
kleinen Absperrung. Wieder die für sie typische Improvisation – reizvoll | |
hingerotzt. Und es funktioniert: Weil eben nicht alle permanent auf die | |
Bühne starren oder Handyvideos machen, wird getanzt, gefeiert. | |
Klar, einige Insta-Stories werden gepostet. Vor allem, wenn sie Hits wie | |
„Coco Chanel“ spielt oder als Rap-Kollege Fruchtmax für sein Feature | |
„Milliardärslounge“ auf die Europaletten kommt. Hauptsächlich Männer | |
wollen diese Momente festhalten. Irgendwie berührt sie diese hippen | |
Großstädter mit ihren brutalen Texten, die immer ein bisschen | |
Verletzlichkeit durchschimmern lassen. Ihre lässige Selbstinszenierung – | |
entrückt, verpeilt, knallhart – kommt an. | |
An diesem Abend zeigt sie aber auch, dass es ein Jenseits der Inszenierung | |
gibt: Sie strahlt, freut sich ganz ehrlich über den Zuspruch, bittet die | |
Kiffer nach vier Songs lachend, doch etwas weiter nach hinten zu gehen. | |
„Ich halt das hier sonst nicht durch“, sagt sie mit ihrer Autotune-Stimme | |
und rappt dann souverän anderthalb Stunden durch. | |
Ihr gelingt es immer wieder, die Menge noch ein bisschen mehr aus der | |
Reserve zu locken. Bei jedem Song denkt man, dass jetzt aber wirklich das | |
Maximum erreicht ist. Zwischen „Pete Doherty“ und „City Tarif“, Songs a… | |
der Zeit, als Haiyti noch ein echter Geheimtipp war, entsteht der erste | |
Moshpit. Es ist mehr eine Hüpfburg – in der dicht gedrängten Menge ist | |
einfach kein Platz für einen Kreis. | |
Und dann „Ein Messer“: Jede*r Einzelne im Publikum brüllt den Refrain mit, | |
fühlt mit. Vielleicht weil kein Song besser das Spannungsfeld Haiyti | |
auslotet: energiegeladener Trap gepaart mit Texten über Drogenmissbrauch, | |
Depression, Wut – der vertonte Totalausfall am Ende einer durchfeierten | |
Nacht. | |
Zwei Zugaben bekommt das Publikum. Erst spielt Haiyti das | |
melancholisch-schöne „American Dream“, dann noch mal „Coco Chanel“ – | |
vielleicht, weil sie wirklich nicht mehr weiß, was sonst noch spielen; | |
vielleicht, weil sie genau weiß, dass es egal ist. Das Publikum ist ihr | |
längst in den Songs abhanden gekommen. Als sie abgeht und ihre Stimme nur | |
noch vom Band läuft („Ich komm aus dem Club nicht raus, nicht in 120 | |
Jahren“) machen alle einfach weiter. Tanzen, singen wie in Trance. Erst als | |
die Musik aus- und das Licht angeschaltet wird, realisiert die Menge, dass | |
es wirklich vorbei ist. | |
17 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Laura Sophia Jung | |
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