# taz.de -- Was Fotografie sein konnte | |
> Schärfer als die Deutschen konnte Will McBride die Widersprüche der | |
> Nachkriegszeit in den Blick nehmen. Das zeigt Ulf Erdmann Ziegler in | |
> einem Essay über den Fotografen | |
Bild: Will McBride fotografierte seine Frau Barbara „mit Shawn im Bauch“. D… | |
Von Steffen Siegel | |
Konrad Adenauer oder Willy Brandt? Man musste wohl als Amerikaner in der | |
Bundesrepublik leben, wenn man bei dieser Frage unbefangen bleiben wollte. | |
Will McBride jedenfalls sah keinen rechten Grund, sich für einen der beiden | |
Politiker zu entscheiden. Denn während er den fast neunzigjährigen Adenauer | |
beim Rosenschneiden im Rhöndorfer Garten fotografierte, begleitete er den | |
Kanzlerkandidaten Brandt mit der Kamera auf seinen Wahlkampfreisen. Und als | |
Kennedy 1963 nach Berlin kam, da stand auch McBride bereit – direkt vor dem | |
Brandenburger Tor gelang ihm ein Schnappschuss, der sich in seiner | |
symbolischen Verdichtung noch immer für die Schulbücher eignet. | |
„Also … es sitzen Kennedy, Brandt und Adenauer im Fond eines Cabrios …– | |
aber dies ist nicht der Anfang eines Witzes.“ Man muss Ulf Erdmann Ziegler | |
sein, um so hintersinnig diese Bildikone der Mauerstadt anzumoderieren. Wer | |
die taz lange genug liest, weiß dies ohnehin – Ziegler hat hier die | |
Fotografie viele Jahre lang aufmerksam begleitet. Mit einem genauen Blick | |
auf Leben wie Werk des Fotografen Will McBride, der 2015 in Berlin | |
gestorben ist, spielt er nun beides, große Sachkenntnis und seinen Sinn für | |
essayistische Leichtigkeit, in Buchlänge eindrucksvoll aus. Entstanden ist | |
weder ein kommentierter Bildband noch eine klassische Werkmonografie. | |
Vielmehr ist Zieglers „Die Erfindung des Westens“ eine Einladung, wie durch | |
ein Kaleidoskop auf McBrides Fotografien zu blicken: In knappen Skizzen | |
wird immer wieder neu justiert, was sich kaum festlegen lässt. | |
Der Lebensweg des Fotografen wie auch seine Bilder sind auf | |
widersprüchliche Weise vielfältig. Und zugleich lässt sich das als eine | |
wichtige Erinnerung daran lesen, was Fotografie alles sein konnte, bevor | |
sie Kunst werden musste. | |
Eigentlich genügt es, jene beiden Fotobücher nebeneinander zu legen, die | |
McBride im Abstand von neun Jahren publiziert hat, bevor er für viele Jahre | |
als Buchautor ganz verstummte: 1965 einen voller Hochachtung angelegten | |
Porträtband über Adenauer, 1974 schließlich jenes „Zeig Mal!“, das den | |
Fotografen vollends berühmt machte und, ja auch das, berüchtigt. 90.000 | |
Exemplare wurden von diesem „Bilderbuch für Kinder und Eltern“ in | |
Deutschland verkauft, in der amerikanischen Fassung wohl sogar an die | |
300.000. Veröffentlicht als ein Werk zur Sexualpädagogik, reizen Bilder wie | |
Texte – beide stammen von McBride – die neu gewonnene Liberalität bis zur | |
äußersten Grenze aus. | |
Zehn, bestenfalls fünfzehn Jahre, so soll F. C. Gundlach gesagt haben, sei | |
ein Fotograf am Markt gefragt, bevor sein Stern verblasse. Sollte das | |
stimmen, dann fiel McBrides große Zeit zweifellos in die 1960er Jahre. Ob | |
Life, Look, Quick, Stern, Paris Match oder später auch Geo, weltweit haben | |
die Redaktionen gewusst, warum sie seine Fotografien bringen wollten. Vor | |
allem aber als einem permanenten Mitarbeiter von Willy Fleckhaus’twen | |
öffnete sich für McBride die Möglichkeit, mit großen Strecken seine Themen | |
fotografisch zu umkreisen. | |
Er platzierte sie in einer Zeitschrift, die mit ihrem kalkuliert lauten und | |
stilbildenden Layout die Bildwirkung gewiss nicht zähmte. Ein Jahrzehnt | |
lang war twen der Ort, wo sich McBride als Fotograf existenzialistischer | |
Hipness fortgesetzt neu erfand und wo er auch auf willkommene Weise anecken | |
konnte. Die Engstirnigkeit seiner Zeitgenossen hat es ihm dabei bedrückend | |
leicht gemacht. So wurde ihm ausgerechnet eines seiner fotografischen | |
Meisterwerke zum Skandal verdreht: Jedenfalls war ein großes Maß an | |
Prüderie und Frauenfeindlichkeit nötig, um das ebenso intime wie sensible | |
Porträt seiner schwangeren Frau Barbara als anstößig zu diffamieren. Im | |
ganzen Bild ist keine Spur von Nacktheit zu finden, der spießigen Erregung | |
genügte ein über dem Schwangerschaftsbauch geöffneter Hosenbund. | |
## Die Rolle des Außenseiters | |
Aus solchen Spannungen schlägt Ziegler das Kapital seines Essays: Als | |
Amerikaner in der Bundesrepublik gehörte McBride zwar irgendwie dazu, | |
dennoch blieb er lange Zeit einer von außen – im Guten wie im Schlechten. | |
Schärfer als die Deutschen selbst konnte er die Widersprüche der | |
Nachkriegsgesellschaft in den Blick nehmen, zugleich ist sein | |
fotografisches Werk erkennbar von dem Wunsch getragen, die Rolle des | |
Außenseiters hinter sich zu lassen. Ziegler hat dies im Untertitel seines | |
Buches präzise verdichtet: „Eine deutsche Geschichte mit Will McBride“. | |
Manche der eingestreuten Exkurse zum jungen Westdeutschland lesen sich in | |
ihrer lexikonhaften Nüchternheit ein wenig ermüdend, doch bleibt | |
erstaunlich, wie vielfältig die Biografie des Expats McBride mit der | |
Bundesrepublik verwoben ist: Das Spektrum reicht von der HfG Ulm bis zum | |
Restaurantkritiker Siebeck. Von „BRD noir“ kann jedoch keine Rede sein, | |
selbst wenn der Umschlag des Buches pechschwarz daherkommt. McBrides Leben | |
war dafür schlicht zu bunt. | |
Das von ihm in der Münchner Maximilianstraße geführte Atelier stellt man | |
sich wohl am besten vor als eine Kreuzung aus Antonionis „Blow-Up“ und Andy | |
Warhols „Factory“. Aufträge wie Gäste kamen reichlich herein, unter ihnen | |
auch Warhol selbst. Der aber interessierte sich weniger für McBrides | |
Fotografien als für einen erst kurz zuvor entstandenen zehnminütigen Film: | |
Julia und Rocky, zwei Teenager, beim Geschlechtsakt. | |
Es mag sein, dass Warhol selbst, wie Ziegler schreibt, als Filmemacher auf | |
„das reine Gaffen“ spezialisiert war. Ausgesprochen ist damit aber auch | |
eine Formel, die sich auf McBrides fotografisches und überhaupt sein | |
bildnerisches Werk anwenden lässt. Ob in den ikonisch gewordenen Aufnahmen | |
aus dem Internats-Waschraum von Salem, ob im Fotostudio bei den Shootings | |
für „Zeig Mal!“ oder aber in späteren Jahrzehnten auf seinem Landgut in d… | |
Toskana – für McBride war die Kamera vollkommen unverstellt ein Instrument, | |
um seiner Ephebophilie mit lüsterner Verschämtheit Raum zu geben. Zu | |
erkennen geben diese Aktaufnahmen, wenigstens indirekt, einen einsamen | |
Fotografen hinter der Kamera. | |
Ulf Erdmann Ziegler: „Die Erfindung des Westens. Eine deutsche Geschichte | |
mit Will McBride“. Suhrkamp, Berlin 2019, 34 S-W-Abbildungen. 200 S., 20 | |
Euro | |
10 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Steffen Siegel | |
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