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# taz.de -- Per Rad durch die Moderne
> Bei der zweiten Velonotte fuhren 270 kulturbegeisterte
> Fahrradfahrer*innen auf den Spuren des Bauhauses durch das nächtliche
> Berlin
Von Gabriel Rinaldi
Die Velonotte ist eine Mischung aus Radtour und Museumsführung. Bei den
nächtlichen Entdeckungsfahrten des Architekturhistorikers Sergey Nikitin
können kulturbegeisterte Radfahrer*innen Neues über die Stadt lernen. Am
Samstag fand sie zum zweiten Mal in Berlin statt. Thema war passend zum
Jubiläumsjahr das Bauhaus.
Los geht es an der Berlinischen Galerie, wo Nikitin zunächst die wichtigste
Regel erklärt: „Wir haben keine Eile“. Auf dem Museumsvorplatz haben sich
270 Fahrradfahrer*innen versammelt, die um 18 Uhr mit einem melodischen
Klingelkonzert losradeln. Um auch musikalisch in das Berlin der Zwanziger
Jahre einzutauchen, hat Konstantin Dudakov-Kashuro einen Soundtrack
vorbereitet, den man während der Fahrt anhören kann.
Wie eine organische Masse bewegt sich der Fahrradzug durch Kreuzberg.
Flankiert von Polizeimotorrädern vereinen sich Berliner*innen und
Tourist*innen. Die hohe Leihradquote und englische Sprachfetzen lassen
zumindest darauf schließen. Liebespärchen sind auf Tandems unterwegs,
ebenso Familien auf verschiedenen Radgrößen. Es wirkt wie eine Critical
Mass für Kulturbegeisterte. Die Musik verstummt, als die Masse am Karlsbad
ankommt. Dort steht mitten auf dem Platz eine weiße Badewanne. „Das ist die
Badewanne von Mies van der Rohe“, leitet Nikitin ein. Der Architekt habe in
den Dreißigern in der Nähe gewohnt und hier wichtige Ideen gehabt. „Da er
viel gefeiert hat, musste er manchmal in seiner Badewanne schlafen“, sagt
Nikitin. Deshalb steht sie also hier.
Als die Masse über den Großen Stern fährt, ist das Freiheitsgefühl am
größten. Die Radler*innen nutzen die gesamte Breite, drehen große Kreise.
Eine architekturbegeisterte Laufgruppe ist sogar aus Mailand angereist, um
Nikitins Event zu erleben. „Wir waren auch schon in Istanbul und verbinden
das immer mit Städtetrips“, erzählt Addes Tesfamariam. Nächster Halt ist
das Hansaviertel, das für „die Rückkehr der Moderne nach Deutschland nach
dem Zweiten Weltkrieg“ steht, sagt Mitorganisator Christian Burkhard. Hier
zähle nicht nur Funktion, sondern auch Ästhetik, wie die Gebäude von Sep
Ruf und Walter Gropius in der Händelallee zeigen.
Am Ernst-Reuter-Platz erklärt der Kunsthistoriker Thomas Flierl den
städtebaulichen Wettlauf zwischen Ost und West. Während im Osten der
sozialistische Realismus siegte, war der moderne Interbau am
Ernst-Reuter-Platz die Antwort des Westens.
Vorletzter Halt ist die Gustav-Adolf-Kirche, Baujahr 1930, von Otto
Bartning in Nord-Charlottenburg. „Sie ist ein Wunder der Berliner Moderne“,
sagt Nikitin. Von außen erinnert sie an eine Fabrik, innen beeindruckt das
tiefe Blau der Glasfenster.
Draußen ist es dunkel geworden. Der letzte Halt ist Siemensstadt, drei
Stunden und 16 Kilometer nach dem Start. Dort schauen Anwohner*innen aus
den Fenstern. In der Goebelstraße steht der „Panzerkreuzer“, ein Wohnblock
von Hans Scharoun, der Elemente aus der Schifffahrt aufgreift. Fast alle
Berliner Architekten des „Rings“ haben sich hier ausgetobt. Die Siedlung
war Vorreiterin im Green Urbanism: Man berücksichtigte bei der Planung die
vorhandenen Bäume. Auch der Volkspark Jungfernheide wurde nach diesem
Prinzip konzipiert. Dort im Kulturbiergarten ist der Ausklang der
Velonotte. Laute Musik dröhnt aus den Lautsprechern. Rund um die Masse ist
die schwarze Nacht, zu sehen sind nur die roten Rücklichter.
9 Sep 2019
## AUTOREN
Gabriel Rinaldi
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