# taz.de -- Aufpassen, wo man hinpinkelt | |
> Das Theater am Rand im Oderbruch hat ein Faible für Fantasten und | |
> Literatur. Hier wird Christian Krachts Roman „Imperium“ zwischen | |
> Blumentöpfen und platter Landschaft auf die Bühne gebracht | |
Bild: Theater am Rand, der Theaterbau unter seinem Moosdach | |
Von Inga Dreyer | |
Ein Schweinekotelett, das samt Bratensoße auf einem Bett aus Nudeln liegt? | |
Für August Engelhardt, eine Romanfigur, ist allein der Gedanke ein Affront. | |
„Er sagte, er sei Vegetarier im Allgemeinen und Fruktivore im Besonderen“, | |
meint Christian Schmidt und verzieht angewidert das Gesicht. Der | |
Schauspieler steht auf der hölzernen Bühne des „Theater am Rand“ in | |
Zollbrücke im Märkisch-Oderland und probt einen Monolog. Er berichtet mit | |
verzogenen Mundwinkeln, wie Engelhardt auf seinem Weg zur Insel Kabakon im | |
damaligen Deutsch-Neuguinea von Fleischessern belästigt wurde. Er | |
beschreibt diese Menschen als „ihrer Erscheinung nach an Erdferkel | |
erinnernde Deutsche“. Ein herber Rückschlag auf dem Weg ins Paradies, wo | |
sich Engelhardt nur noch von Kokosnüssen ernähren will. | |
August Engelhardt (1875–1919) ist eine historische Figur, die der | |
Schriftsteller Christian Kracht für seinen Roman „Imperium“ nutzte. Das | |
Theater im Oderbruch bringt Krachts Satire unter dem Titel „Kabakon“ auf | |
die Bühne. „Das ist ein hochironischer Roman. Wir arbeiten damit, aber wir | |
arbeiten auch dagegen“, sagt Thomas Rühmann, Regisseur, Schauspieler und | |
Mitbegründer des Theaters. Denn die grundsätzliche Haltung der Inszenierung | |
gegenüber dem Kokovoren und Nudisten Engelhardt sei von Zuneigung geprägt. | |
Am Theater am Rand herrscht Sympathie für Fantasten – schließlich hat das | |
Haus selbst utopische Anmutungen. | |
Der hölzerne Theaterbau sieht aus, als könnten sich dort Märchenwesen | |
wohlfühlen. Das bemooste Dach krönt eine Spitze, die wie der Hut eines | |
Zauberers aussieht. Auf der hölzernen Außentribüne sitzen Besucher*innen | |
zwischen unzähligen Blumentöpfen, hinter dem Theater steht ein kleines, | |
gestrandetes Schiff. Wer zur Toilette geht, muss aufpassen, wo er | |
hinpinkelt – denn in den Öko-WCs wird strikt zwischen Festem und Flüssigem | |
unterschieden. Klare Eintrittspreise gibt es nicht – inzwischen aber eine | |
Empfehlung, wie viel die Zuschauer*innen nach der Vorstellung spenden | |
sollten. | |
Immer neue Ideen von einem etwas anderen, naturverbundeneren | |
(Theater-)Leben werden hier umgesetzt. „Wir sind ein kleiner, | |
radikalökologischer Verein“, sagt Thomas Rühmann. In seiner Schrift „Eine | |
sorgenfreie Zukunft“ behaupte August Engelhardt, der Mensch brauche im | |
Leben bloß zweieinhalb Kokospalmen, erzählt Rühmann. Man muss sich dieser | |
speziellen Diät nicht anschließen wollen, um an dieser Vorstellung Gefallen | |
zu finden. „Es geht nicht darum, dass wir alle Kokosnüsse essen, sondern | |
darum, dass wir eine Lebensform finden, unter der die Erde überleben kann“, | |
sagt Rühmann. | |
Stücke über utopische Ideen passen also gut ins Theater am Rand, das gern | |
literarische Stoffe aufgreift und diese erzählend auf die Bühne bringt. | |
Gegründet wurde das Theater vor rund 20 Jahren von dem Musiker und | |
Komponisten Tobias Morgenstern und dem Schauspieler Thomas Rühmann, der vor | |
allem durch seine Rolle des Doktor Roland Heilmann in der ARD-Serie „In | |
aller Freundschaft“ bekannt ist. Angefangen hat alles mit privaten | |
Auftritten in Tobias Morgensterns Fachwerkhäuschen in Zollbrücke, nur ein | |
paar Schritte von der Oder entfernt. Im Laufe der Jahre wurde das Projekt | |
größer, die Bühne wurde gebaut, die Gastronomie kam hinzu. | |
Der winzige Ort wird lebendig, wenn an Sommer-Wochenenden Ausflügler*innen | |
die Lokale stürmen. Abends, wenn im Theater Vorstellungen laufen, steht der | |
Parkplatz voller Autos – darunter viele Berliner. Das trägt der Bühne den | |
Vorwurf ein, selbst ein verträumter Fremdkörper in dieser | |
landwirtschaftlich geprägten Gegend zu sein, die Friedrich II. im 18. | |
Jahrhundert trockenlegen ließ. Doch das Haus wolle eigentlich das | |
Gegenteil, sagt Uwe Wolf, der für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit | |
verantwortlich ist. Das Theater will mitgestalten. | |
Ein Beispiel dafür ist der „Oderbus“, der seit Ostern am Wochenende durchs | |
Oderbruch fährt. Ohne Auto kommt man nicht leicht abends nach Zollbrücke. | |
Ursprünglich gab es deshalb die Idee eines Theaterbusses, erzählt Uwe Wolf. | |
Das Gespräch mit anderen Partnern und Kommunen aber habe gezeigt, dass es | |
Interesse an einer „richtigen Buslinie“ gab. Tatsächlich verkehrt nun die | |
Linie 879 samstags und sonntags mehrmals täglich zwischen Bad Freienwalde | |
und Wriezen und hält dabei unter anderem am Fontanehaus in Schiffmühle und | |
im Kolonistendorf Neulietzegöricke. „Überall wird etwas abgeschafft, hier | |
kommt etwas dazu“, sagt Wolf mit einem Lächeln. Bisher sei die Auslastung | |
gering. Aber die Busgesellschaft habe versichert, so etwas brauche seine | |
Zeit. | |
Am 5. September wird „Kabakon“ in Zollbrücke uraufgeführt. Die Inszenieru… | |
spielt in den 1920er und 1930er Jahren. Die Mitglieder des Vereins „Die | |
Retter der Kokosnuss“ treffen sich und erzählen von Engelhardt. Der erste | |
Akt ist in fünf Monologe unterteilt, die parallel auf mehreren Bühnen des | |
Geländes gespielt werden – und so die weite, platte Oderbruchlandschaft | |
einbeziehen. Anfangs scheint Engelhardt noch auf einem guten Weg in seine | |
neue Welt. Erst im letzten Drittel fange alles an zu knirschen – bis | |
schließlich die Tragödie naht, verrät Thomas Rühmann. | |
„Kabakon oder Die Retter der Kokosnuss“, Premiere am 5. September um 19 | |
Uhr, Theater am Rand, Zollbrücke in 16259 Oderaue, mehr Infos: | |
www.theateramrand.de, www.oderbus.de | |
31 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Inga Dreyer | |
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