# taz.de -- taz🐾thema: Munch, Mauern, Money Talk | |
> Kunst-Highlights im Herbst 2019: von der expressionistischen Moderne aus | |
> Sicht eines Romanciers über Berliner Vorzeigeprojekte und -Events, 100 | |
> Jahre Bauhaus, künstlerische Reflexionen über gespaltene Gesellschaften | |
> bis hin zur Malerei im digitalen Zeitalter | |
Bild: Edvard Munch, „Woman with Poppies“, 1918–19, Öl auf Leinwand, 100 … | |
Von Jana Janika Bach | |
Persönliche und intime Dinge über sich selbst und ihm nahestehende Menschen | |
zu erzählen, damit wurde der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård, | |
der den Roman als autofiktionales Projekt neu erfand, zu einem der | |
international meistdiskutierten Autoren. Den letzten Band seines | |
autobiografischen „Min-Kamp“-Erinnerungsepos, dessen Erstlinge bereits | |
einen handfesten Skandal auslösten, kommentierte er recht brutal: „Hätte | |
ich ihn noch schmerzhafter werden lassen, wäre er noch wahrer geworden.“ | |
Ein Meister der Seelenqualen seines Fachs, das war auch Edvard Munch, der | |
einst mit einem Kunst-Eklat die Feuilletons gegen sich aufbrachte. Heute | |
kennt Munchs „Schrei“, das ikonische Bild einer zu Tode erschrockenen | |
Figur, nahezu jeder, wenn auch nicht im Original. Es stand auch Pate für | |
Horrorfilme wie „Scream“. | |
Es wundert nicht, dass die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf für ihre | |
Munch-Ausstellung, die zur Frankfurter Buchmesse mit Norwegen als Gastland | |
anläuft, damit lockt, eine „nie zuvor gesehene Perspektive“ auf den | |
vermutlich bekanntesten skandinavischen Maler zu bieten. Denn kuratieren | |
ließ sie die Schau, die rund 130 selten oder noch nie gezeigte Gemälde und | |
Papierarbeiten umfasst, die vorwiegend aus dem Archiv und Depot des | |
Munch-Museums in Oslo stammen, von niemand anders als Knausgård. Höchst | |
spannend, auch weil der durchaus streitbare Kultautor beim Externalisieren | |
seines Innenlebens Essenzielles streift und weil Munchs Œuvre weit mehr | |
birgt als die Narrative gequälter Existenz. | |
Vom nackten Realismus über die Moderne bis zum fast blanken Wahnsinn – | |
peinlich ist die Sache mit dem Humboldt Forum, eigentlich Vorzeigeprojekt | |
der deutschen Kultur, schon. Weniger wegen der Verzögerung – die Eröffnung | |
wird nicht pünktlich zum 250. Geburtstag des Namensgebers im November | |
stattfinden, was doch sehr an das Schicksal eines anderen Berliner | |
Großbauvorhabens erinnert –, beschämender ist vielmehr, dass die | |
Fertigstellung der Schlosskopie zur Hauptsache wurde, während der Inhalt, | |
offenbar bloßes Beiwerk, zur Nebensächlichkeit geriet. | |
Verlass indes ist auch dieses Jahr auf die Berlin Art Week (BAW), das | |
Kunstgroßereignis in der deutschen Hauptstadt, an dem sich 2 Messen, 17 | |
Museen und Ausstellungshäuser, 15 Privatsammlungen, Galerien und 20 | |
Projekträume beteiligen. Ergänzt wird das Programm durch Urban | |
Interventions, Preisverleihungen und Sonderveranstaltungen. Neben den | |
Messen offerieren vor allem die Institutionen mit ihren großen | |
Einzelpräsentation interessante Positionen. | |
Wer etwa wissen will, wie Ideologiekritik mit gestalterischen Mitteln | |
funktioniert und was hinter der immersiven Arbeit „Elektra“ steckt, sollte | |
das „Mobile Dome“ der Berliner Festspiele am Mariannenplatz aufsuchen. Das | |
wird nämlich zur achten Ausgabe der BAW von Metahaven bespielt, einem | |
internationalen Designerkollektiv, das mit Essays zu Politik und | |
Netztheorie, mit YouTube-Propaganda-Videos (um Propaganda zu bekämpfen) | |
oder seinem Manifest „White Night“ weltweit von sich reden machte. | |
Manchen wird die Fotoinstallation „Echo“ (2009/2010) noch in Erinnerung | |
sein. Die Künstlerin Bettina Pousttchi „pinnte“ damals eine Nachbildung des | |
abgerissenen Palasts der Republik an die Fassade der Temporären Kunsthalle. | |
Für die Fassade der Berlinischen Galerie, die zudem Skulpturen und | |
Fotografisches der Deutschiranerin ausstellt, hat Pousttchi zur BAW eine | |
neue Installation entwickelt. | |
Auch andernorts schrieb sich Geschichte ein. Anhand der Lage des | |
Martin-Gropius-Baus und entlang des ehemaligen Berliner Grenzstreifens | |
entwirft die Schau „Durch Mauern gehen“ mit Werken von Mona Hatoum, Nadia | |
Kaabi-Linke oder Jose Dávila ein zeitgenössisches Panorama physischer und | |
psychischer Folgen gespaltener Gesellschaften. | |
Die dissoziative Identitätsstörung, also eine gespaltene Persönlichkeit, | |
hat sich hingegen der Videokünstler Bjørn Melhus quasi zum Prinzip erhoben. | |
Bisweilen bleibt einem angesichts der filmischen Darbietung des Schwaben | |
mit norwegischen Wurzeln, der alle Rollen in seinen Videos selbst | |
übernimmt, das Lachen peinlich berührt im Halse stecken. Denn Melhus gehört | |
zu den besten seiner Zunft, einen Schlumpf verkörpert er ebenso glaubhaft | |
wie Dorothy aus dem„Zauberer von Oz“. Im Maschinenhaus des KINDL wird neben | |
Filmen aus den letzten Jahre auch eine Premiere zu sehen sein, die | |
Produktion „Sugar“. | |
Humorig ging es im großen Jubiläumsjahr vergleichsweise selten zu, eher | |
staatstragend. 100 Jahre Bauhaus wurde generalstabsmäßig vorbereitet. | |
Allein in Deutschland wurde mit mehr als 500 Veranstaltungen die Gründung | |
der einflussreichen Talentschmiede gefeiert. Ein superlativistisches | |
Unterfangen, bei dem Blamagen bislang ausblieben. So darf man sich der | |
ungetrübten Vorfreude auf einen der letzten Höhepunkte im | |
Bauhäusler-Gedenkjahr hingeben – planmäßig eröffnet das Bauhaus Museum | |
Dessau am 8. September seine Pforten. Erstmals wird dann die Sammlung der | |
Stiftung Bauhaus Dessau einem Publikum umfassend zugänglich sein. | |
Ein Anlass, um vielleicht noch einmal zu einer der „Grand-Touren der | |
Moderne“ aufzubrechen, zum Musterhaus Haus am Horn, der Wohnbausiedlung | |
Dessau-Törten oder zu einer Perle der Provinz wie dem Haus Rabe. Selbst im | |
Ausland können noch bis in den Herbst Bauhaus-Streifzüge unternommen | |
werden, auch Institutionen wie das Getty Museum in Los Angeles ehren 2019 | |
das Erbe der Weimarer Gestaltungsschule. | |
Erst kürzlich gestatte die scheue Getty Family einem Reporter der New York | |
Times einen Besuch im Privatdomizil, die Titelzeile lautete „Sind die | |
Gettys noch reich?“. Hierzulande wohl ein Affront, doch die Nation des | |
American Dream macht Money Talk kaum verlegen. Unverschämt hoch finden | |
manche die Auktionspreise für Werke von Wade Guyton. Der im ländlichen | |
Tennessee aufgewachsene US-Künstler kombiniert gerne Buchseiten aus | |
Auktionskatalogen mit Screenshots von Fetisch-Porno-Webseiten oder der | |
digitalen New York Times. Oder er bringt Buchstaben-Formationen, „Xe“ | |
oder „Us“, auf Leinwände mit einem Tintenstrahldrucker auf. Seit gut 20 | |
Jahren stellt sich Guyton, der unter anderem die Appropriation Art | |
auffrischte, der Frage „Wie umgehen mit Malerei im digitalen Zeitalter?“ | |
stringent und mit eigenwilligen Gestus. | |
Ob er dabei die Logik eines Marktes bedient oder gewieft konterkariert, | |
kann ab November im Kölner Museum Ludwig überprüft werden. Vielleicht lässt | |
der Gang durch die große Retrospektive, die mit Schlüsselwerken und ganz | |
neuen Arbeiten des Marktlieblings aufwartet, allem zum Trotz das Thema | |
Geld, Kunst und – die ausbleibende – Scham vergessen. Ohnehin ein leidiges | |
Kapitel. | |
24 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Jana Janika Bach | |
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