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# taz.de -- Türkeistämmige Fussballvereine in Berlin: Mehr als Özil
> In der Berlinliga treten vier türkeistämmige Clubs an. Wo Herkunft und
> Identität früher wichtig waren, verstehen sich die Clubs heute als
> berlinerisch.
Bild: Ein Berliner Verein mit Tradition: Türkiyemspor-Fanblock im Jahr 1988
Bei diesem Derby an einem Augustabend fühlt man sich fast an die goldenen
Tage Anfang der 90er Jahre im Katzbach-Stadion erinnert, als Tausende nach
Kreuzberg pilgerten, um Türkiyemspor Berlin zu unterstützen. Damals spielte
das Team um den Aufstieg in die Zweite Liga und „Türkiyem“, wie der Club
auch genannt wird, war ein bundesweites Aushängeschild für die
türkeistämmige Community.
Die Zeiten haben sich geändert: Mittlerweile ist der Verein in der sechsten
Liga angekommen und eröffnet mit dem Derby gegen den ebenso türkeistämmigen
Verein Hilalspor die Saison – immerhin vor ein paar Hundert Zuschauern.
Zwar lässt sich das Spiel als weitestgehend ereignisloses Gekicke
zusammenfassen, aber es geht hier nicht nur um das Fußballspiel selbst: Auf
den Rängen wird ein wilder Mix aus Türkisch und Berlinerisch gesprochen,
viel geraucht und gescherzt. Vorletzte Saison, als es zwischen Hilalspor
und Türkiyemspor um den Aufstieg ging, gab es dieses Duell schon einmal.
Damals behielt Türkiyemspor die Oberhand; dieses Jahr folgten ihnen die
Nachbarn von Hilalspor in die Berlinliga.
Die Berlinliga ist die höchste Liga Berlins. Sie bedient einerseits die
Fantasien von Fußballromantikern: Rasenplätze liegen eingepfercht zwischen
Wohnblöcken in Steglitz oder ausladend vor Industriekulisse an der
Sonnenallee, dazu gibt es Bratwurst im Fladenbrot, Bier oder türkischen Tee
am Büdchen. Andererseits macht die Professionalisierung des Fußballs auch
vor der Berliner Meisterschaft keinen Halt. Vereine locken höherklassige
Spieler mit Prämien, die von windigen Investoren für den kurzfristigen
Erfolg bereitgestellt werden. Nicht selten wird zur neuen Saison die
komplette Mannschaft ausgetauscht. Zum ersten Mal seit ihrem Bestehen
starten in diesem Jahr vier Mannschaften mit Türkeibezug in der Liga. Neben
Hilalspor und Türkiyemspor komplettieren Al-Dersimspor, ebenfalls aus
Kreuzberg und Türkspor aus Charlottenburg das Quartett.
„Durch Hilalspors Aufstieg wird es dieses Jahr erstmals zwölf Derbys geben,
da wird es heiß hergehen“, sagt Mehmet Matur schmunzelnd. Matur ist so
etwas wie die gute Seele des Berliner Fußballs mit Türkeibezug. Er war
jahrelang in diversen Positionen bei Türkiyemspor tätig, sein Bruder Durmuş
ist aktuell erster Vorsitzender des Vereins. Seit 2005 ist Mehmet Matur als
Präsidiumsmitglied im Berliner Fußball Verband (BFV) für Integrationsfragen
zuständig.
## Nicht einfach, Sponsoren zu finden
Matur steht im ständigen Austausch mit den zahlreichen migrantisch
geprägten Vereinen der Stadt. In der Berlinliga ist der SD Croatia seit
Jahren eine feste Größe, eine Liga tiefer spielen beispielsweise der
serbischstämmige Verein 1. FC Novi Pazar oder der ursprünglich von
aramäischen Einwanderern gegründete BFC Tur Abdin. Aber es gibt auch
migrantische Vereine, die nicht mehr als solche wahrgenommen werden wollen.
Matur sagt:„Es gibt einige Mannschaften, die zuletzt ihre Namen geändert
haben, Galatasaray Berlin heißt jetzt zum Beispiel SV Rixdorf.“ Dies sei
einerseits als Öffnung zu verstehen, andererseits auch für die finanzielle
Unterstützung von Bedeutung: „Wenn du Türkiyemspor heißt, beschränken sich
in der Regel auch deine Sponsoren auf Firmen mit türkischem Bezug.“
Hinzu kommen häufig Vorbehalte, denen sich die Vereine ausgesetzt sehen.
„So ein türkischer Name wirkt als Mobilisierung für die eigene Gruppe, hat
aber nach außen oft eine abschreckende Wirkung“, unterstreicht der
Politikwissenschaftler Stefan Metzger. Er hat in seiner Dissertation zu
Vereinen mit Türkeibezug in Berlin geforscht und über Jahre Interviews mit
Vereinsvorständen, Spielern und Verbandsfunktionären geführt.
„Im Gründungskontext war die Vereinslandschaft der Mannschaften mit
Türkeibezug sehr heterogen. Ähnlich wie die polarisierte Migrantengruppe zu
der Zeit hat man sich auch als Verein politisch rechts oder links, religiös
oder säkular verortet.“ Heute spielten diese Identitäten der Anfangszeit
kaum noch eine Rolle: „Generell sind es ganz normale Vereine mit einer ganz
normalen Vereinskultur, die allenfalls über das übliche deutsche Klischee
von Bier und Bratwurst hinausgeht“, sagt Metzger,
Dies bestätigt Erdal Güncü, der sportliche Leiter von BSV Al-Dersimspor:
„Im Gegensatz zu meiner Generation wissen viele der jungen Spieler gar
nicht mehr, wie der Verein ursprünglich geprägt war.“ Al-Dersimspor ist aus
der Fusion zweier alevitischer Vereine hervorgegangen und rekrutierte einen
Teil seiner Mitglieder aus einem Bekanntenkreis der alevitischen Gemeinde.
Heute hat das Team noch drei, vier Spieler, deren Väter schon an gleicher
Stelle spielten.
## Schon längst ein Kreuzberger Verein
„Für uns ist das schon ein bisschen Kult, das versuchen wir beizubehalten“,
sagt Güncü. Insgesamt sehe man sich aber längst als Kreuzberger Verein, in
dem Religion und Herkunft nachrangig seien. Die Selbstwahrnehmung
kollidiert aber offensichtlich mit der Außenwahrnehmung:„Seit Jahren
versuchen wir uns zu internationalisieren, aber es ist schwierig, mehr
Spieler ohne Migrationsgeschichte anzusprechen“, so Güncü. Zur neuen Saison
steht mit Kai Brandt zum ersten Mal ein Trainer ohne Migrationshintergrund
an der Linie, doch auch er sei bei Spieler-Anfragen oft auf Skepsis
gestoßen.
Teil des Problems ist die Berichterstattung über Vereine mit Türkeibezug,
die sich häufig nur mit den Mannschaften befasst, wenn es zu
Ausschreitungen kommt oder man O-Töne zu politischen Themen sucht. „Während
der Özil-Debatte bekam mein Bruder bei Türkiyemspor ständig Anfragen, fast
nie ging es dabei um Fußball“, sagt Mehmet Matur.
Dabei gäbe es gerade bei Türkiyemspor viel zu berichten. Der Verein, der
nach seinem kurzen Höhenflug Anfang der 90er im Jahr 2012 Insolvenz
anmelden und quasi wieder bei Null starten musste, ist für sein soziales
Engagement über den Fußball hinaus bekannt. Von den vier porträtierten
Mannschaften verfügt Türkiyem über die größte Jugendabteilung, zudem gibt
es erfolgreiche Frauen- und Juniorinnenteams. „Mittlerweile spielt halb
Kreuzberg bei Türkiyemspor, so dass sie gar nicht mehr vornehmlich als
türkischer Verein wahrgenommen werden“, sagt auch Metzger.
Während bei Türkiyemspor und Al-Dersim die Vereinslast auf mehrere
Schultern verteilt liegt, ist Türkspor ein klassisches Ein-Mann-Projekt.
Der 1965 gegründete Club gilt als ältester Verein mit Türkeibezug in
Deutschland. In den letzten Jahren verschwand Türkspor in der Versenkung
der Kreisliga C und war finanziell angeschlagen – bis Metin Yilmaz
einstiegen ist und den Verein mit dem greichischstämmigen Verein Hellas
Nordwest, bei dem er bereits im Vorstand saß, fusioniert hat.
## Der Traum einer eigenen Geschäftsstelle
Mit der Fusion verließ der Klub auch seinen Heimatbezirk Kreuzberg und
trägt mittlerweile die Heimspiele am Heckerdamm in Charlottenburg aus. Der
traditionsreiche Name Türkspor sollte Sponsoren für das Projekt gewinnen
und türkeistämmige Fans in Berlins Nordwesten ansprechen. Dieses Jahr geht
es in die dritte Berlinligasaison und hier startet man mit einem neuen
Trainergespann unter der Leitung von Coach Oliver Kieback, also ebenso
einem nicht-türkeistämmigen Trainer.
Da Türkspor nicht auf gewachsene Strukturen zurückgreifen kann, ist das
Transferaufkommen bei dem Verein besonders hoch: Bislang wurden 34 Zu- und
Abgänge verzeichnet, darunter Neueinkäufe mit Oberliga- und
Regionalligaerfahrung.
Auch beim Liga-Konkurrenten Al-Dersimspor gab es in den letzten Jahren eine
hohe Fluktuation auf dem Trainerposten zu verzeichnen. Der Verein kann
jedoch auf einen gewissen Stamm von Spielern zurückgreifen. Ohnehin sieht
der sportliche Leiter Erdal Güncü den Konkurrenzkampf nicht so verbissen
und verzichtet lieber auf kostspielige Transfers: „Natürlich ist unser Ziel
der Klassenerhalt, aber in erster Linie wollen wir nachhaltig arbeiten und
mehr in den Jugendbereich investieren.“
Dies sei allerdings gar nicht so einfach: Seit Jahren versucht
Al-Dersimspor vergeblich die Genehmigung für den Bau einer Geschäftsstelle
in der Nähe des Heimplatzes zu bekommen. Der Platz ist sicher einer der
spektakulärsten Fußballplätze der Stadt: Direkt am Askanischen Platz
gelegen, spielt man eingehegt zwischen der Ruine des Anhalter Bahnhofs und
dem Tempodrom in einem engen Kunstrasen-Käfig. Jedoch fehlen jegliche
Räumlichkeiten; zum Umziehen müssen die Spieler ein paar Hundert Meter in
eine Schule gehen.
## Schwerpunkt Jugendarbeit
„Es ist absurd, wir müssen unsere Mannschaftsbesprechungen selbst im Winter
auf dem Platz stattfinden lassen. Auch für Anmeldungen im Jugendbereich
fehlt uns eine offizielle Anlaufstelle,“ klagt Güncü. Den Kreuzberger
Nachbarn Türkiyemspor plagen an der Blücherstraße ähnliche Probleme. Für
das BFV-Präsidialmitglied Mehmet Matur ist das eine Schande: „Die
alteingesessenen deutschen Vereine haben ihre festen Plätze mit
Geschäftsstelle und Vereinsheim. Türkiyemspor und Al-Dersimspor leisten
seit Jahrzehnten wichtige Jugendarbeit in Kreuzberg und bekommen hier keine
Unterstützung von Bezirk und Sportamt.“
Wie wichtig eine gute Jugendarbeit ist, weiß man auch einen Steinwurf
entfernt im Waldeckpark bei Hilalspor. Der Verein gründete sich in den
1980er Jahren dezidiert, um Kreuzberger Jugendliche von der Straße zu holen
und ihnen eine sportliche Perspektive anzubieten. Im Vereinsnamen steckt
mit dem Wort „hilal“, türkisch für Halbmond, bereits der Hinweis auf die
religiösere Ausrichtung des Vereins.
„Hilalspor wollte die Möglichkeit schaffen, den Sport im Einklang mit
religiösen Vorschriften leben zu können. Dazu gehört die Rücksichtnahme im
Fastenmonat Ramadan und der Verzicht auf den Ausschank von Alkohol im
Vereinsheim“, sagt der Politologe Metzger, der den Verein eine Saison
begleitet hat. Zwar spielt auch hier die Anfangsidentität mittlerweile eine
geringere Rolle, vielen gilt der Verein aber weiterhin als
islamisch-konservativ.
Ein Blick auf die Kaderliste zeigt hier ein sehr homogenes Bild mit fast
ausschließlich türkischen Spielernamen. An der Seitenlinie steht mit Marco
Wilke ein erfahrener Berlinliga-Coach, der nach eigenen Angaben besonders
die familiäre Atmosphäre beim Verein schätzt. Zur neuen Saison wurde
außerdem eine Kooperation mit dem Regionalligisten Berliner AK gestartet,
der von nun an junge Spieler mit Perspektive bei Hilalspor Spielpraxis
sammeln lassen möchte. Der Moabiter Verein ist seit Jahren der
erfolgreichste Verein mit Türkeibezug in der Hauptstadt und verpasste
zuletzt mehrfach knapp den Aufstieg in die dritte Liga.
## Wer wird Kreuzberger Meister?
Hilalspor, Türkiyem, Türkspor und Dersimspor eint ihr sportliches
Saisonziel: Kreuzberger Meister zu werden – also die anderen drei Teams zu
schlagen. Obwohl laut Eigenaussage keine gewachsene Rivalität zwischen den
Vereinen herrscht, ziehen die Derbys mit Abstand die meisten
Zuschauer*innen an. Bei solchen Spielen würden sich selbst die alten
Türkspor-Anhänger an ihre Kreuzberger Wurzeln erinnern, sagt Mehmet Matur.
Hinzu kommt die sportliche Brisanz, da bis auf die aufgerüsteten Türkspor
die anderen drei Teams wahrscheinlich bis zum letzten Spieltag um den
Klassenerhalt kämpfen werden müssen.
Von Brisanz ist bei dem Derby zwischen Türkiyem und Hilalspor im August
nichts zu spüren. Die Ränge leeren sich schon der zweiten Halbzeit; einige
Zuschauer schauen nebenbei auf dem Handy das Champions
League-Qualifikationsspiel von Başakşehir Istanbul. Oder sie diskutieren
über den Fall Tönnies. Die Abenddämmerung tut ihr übriges und legt einen
grauen Schleier über das Spielfeld, der nur durch die neonfarbenen Schuhe
der Spieler durchbrochen wird.
Schließlich wird die Partie entschieden, wie eine Partie wie diese nur
entschieden werden kann: Nach einer Ecke köpft Hilalspors Torjäger Mehmet
Uzuner den Ball über die Torlinie. Aufsteiger Hilalspor fährt seine ersten
drei Punkte ein. Manchmal ist so ein Kreuzberger Derby eben doch nur ein
ganz normales Spiel in der Berlinliga.
## Die türkeistämmigen Derbys
Hinrunde 2019
1. Spieltag 07.08. Türkiyem vs. Hilalspor
3. Spieltag 25.08. Al-Dersim vs. Hilalspor
7. Spieltag 29.09. Türkiyem vs. Türkspor
8. Spieltag 02.10. Al-Dersim vs. Türkiyem
10. Spieltag 20.10. Hilalspor vs. Türkspor
14. Spieltag 24.11. Türkspor vs. Al-Dersim
Rückrunde 2020
21. Spieltag 01.03. Al-Dersim vs. Türkspor
22. Spieltag 08.03. Türkspor vs. Hilalspor
25. Spieltag 05.04. Hilalspor vs. Al-Dersim
26. Spieltag 10.04. Türkiyem vs. Al-Dersim
27. Spieltag 13.04. Hilalspor vs. Türkiyem
32. Spieltag 24.05. Türkspor vs. Türkiyem
## Plätze
Türkiyemspor & Hilalspor: Willy-Kressmann-Stadion (ehemals Katzbach
Stadion), Dudenstraße 40, 10965 Berlin-Kreuzberg
Türkspor: Sportplatz Heckerdamm, Heckerdamm 208, 13627
Berlin-Charlottenburg-Nord
BSV Al-Dersimspor: Lilli-Henoch-Sportplatz, Askanischer Platz 7 10963
Berlin-Kreuzberg
13 Aug 2019
## AUTOREN
Dénes Jäger
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