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# taz.de -- Leda im Kinderplanschbecken
> Nymphen, Vaginas, Badehosen und eine dadaistische „Tannhäuser“-Collage:
> Auf demB.L.O.-Gelände in Köpenick wurden Hochkultur und Pop kräftigst
> verrührt für „Berlin is not Bayreuth“
Bild: Die Mannschaft von „Berlin is not Bayreuth“ mit v. l. n. r. hinten gl…
Von Annina Bachmeier
Was sich am vergangenen Wochenende bei dem Festival „Berlin is not
Bayreuth“ auf dem Gelände des B.L.O.-Ateliers in Köpenick abgespielt hat,
lässt sich am besten beschreiben als ein wirres, dadaistisches, manchmal
reizüberflutendes Chaos. Richard Wagners Oper „Tannhäuser“ wird in einen
Abgrund gerissen, zerfetzt und neu zusammengesetzt. Allerdings ist da, wo
früher vielleicht Tannhäusers Nase war, jetzt ein Ohr und anstelle eines
Fußes befindet sich am Ende seines Beines vielleicht eine Hand mit sehr
langen, künstlichen, lila Fingernägeln.
Hinter jeder Biegung der kleinen Pfade, die zwischen Dornengestrüpp über
das Gelände der Ateliers führen, könnte sich eine Version dieses neuen
Tannhäusers verstecken. Sie springen einen an und wegen der vielen
popkulturellen Anspielungen, die sich mit Schlager und klassischem
Tannhäuser vermischen, reißen sie einen in einen Abgrund aus konfusem
Lachen. Man fragt sich, was man hier eigentlich gerade gesehen hat und vor
allem, wie es zu so etwas kommen konnte.
Im Rondell zum Beispiel: Das ist ein kleiner zementierter runder Platz, in
dessen Mitte eine Bühne steht mit Plastikstühlen davor. Hier geben die
Brüder David und Elias Engler von „Tanga Elektra“ den ersten Auftakt zu
Tannhäuser im Venusberg. Tanga Elektra tragen Lockenperücken und Käppies,
spielen Schlagzeug und Violine und rappen dazu, unterlegt von schweren
Elektrobeats, den Abschiedsdialog zwischen Venus und Tannhäuser: „Mein
Ritter! Mein Geliebter! Willst du fliehn?“, fragt Venus und Tannhäuser
antwortet, mit Traurigkeit, dass ihm dieses Leben im Venusberg, das nur von
Lüsten bestimmt ist, nicht mehr genug sei. Er zieht davon, um Elisabeth,
seine Ex-Freundin und Tochter des Landgrafen, zu suchen, die währenddessen
die Mercedes-Benz-Halle, in der in diesem Jahr der Krieg der Sänger
stattfinden soll, auscheckt. Ein Stückchen weiter zwischen den Hecken
hinter Lattenzäunen verbringen im Camping-Paradies Wartburg der Landgraf,
seine Sängerentourage und Elisabeth, vom Musiktheater „glanz&krawall“,
ihren Sommerurlaub. Alle tragen Badelatschen, Badeanzüge oder Badehosen.
Der Landgraf planscht mit Leda dem Plastikschwan in einem blauen
Kinderplanschbecken.
Im Gebäude der B.L.O.-Ateliers gibt es in einem Gang eine Ausstellung mit
Zeichnungen und Malereien von Vaginas. Außerdem spielt im Venusberg das
Stück der Theaterregisseurin und Komikerin Vanessa Stern um einen Satyr und
eine Najade. Der Satyr ist traurig, weil er heutzutage keine Rolle mehr in
den sexuellen Träumen junger Mägde spielt, zudem werde er zu selten
gegoogelt. Die Najade ist genervt, weil sie als Fluss- und Teichnymphe
immer zu feucht bleiben und sich deswegen die ganze Zeit mit einer
Sprühflasche besprühen muss und weil sie ihre Brüste hinter Algen
verstecken muss, um nicht darauf reduziert zu werden. Außerdem bekommt
Adolf Hitler, der bekanntlich ein großer Verehrer des Antisemiten Richard
Wagner war, von Vanessa Stern einen Cameo-Auftritt, bei dem er erfolglos
versucht, die Darstellerinnen aufzureißen.
Der Sängerkrieg findet wieder auf der Bühne im Rondell statt. Wenn der die
Minnesänger und der Köpenicker Rapper Romano auf der Wartburg um Elisabeths
Gunst singen, erreicht der Abend seinen Höhepunkt. Allerdings gleitet die
Handlung gleichzeitig in eine vielleicht absichtsvolle Verwirrung ab, in
der die vielen Scherze nicht mehr so recht beim Publikum landen. Man
wünscht sich, das Team aus Performern und Musikern hätte den Dadaismus
weniger dick aufgetragen.
Als eine Pilgergruppe von dem Puppentheater „Das Helmi“ den Sängerkrieg
unterbricht und das Publikum auffordert, sich anzuschließen, um sich von
weltlichen Sünden und Lüsten zu befreien, ist man froh, mitgehen zu können.
Als es dunkel wird, gehen überall auf dem Gelände bunte Lampions an und der
Tannhäuserabend bekommt mit dem ätherischen Auftritt der griechischen
Sängerin Melentini als eine Version von Tannhäusers Elisabeth eine Note von
Shakespeares „Sommernachtstraum“.
Dass Berlin nicht Bayreuth ist und Richards Wagners Tannhäuser viel mehr
sein kann als der Protagonist einer veralteten Oper, wurde in Köpenick mehr
als klar.
27 Aug 2019
## AUTOREN
Annina Bachmeier
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