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# taz.de -- Rassistische Wohnungsmarktpolitik
> Die Massendeportationen von Berliner Jüdinnen und Juden folgten Albert
> Speers „Germania“-Planungen. Die Historikerin Susanne Willems sprach beim
> „Geschichtssommer“ rund um den Tempelhofer „Naziklotz“
Bild: Das Foto zeigt Abbrucharbeiten für den Runden Platz an der Potsdamer Str…
Von Inga Barthels
Gleich neben der Kolonnenbrücke in Berlin-Tempelhof ragt hinter grünen
Bäumen und Sträuchern ein graues Ungetüm aus massivem Beton hervor. Der
Zylinder, 14 Meter hoch und mit einem Durchmesser von 21 Metern, ist eines
der letzten Zeugnisse der megalomanischen Pläne Albert Speers und Adolf
Hitlers, Berlin in die „Welthauptstadt Germania“ umzuwandeln. Speer plante
hier, nahe dem Flughafen Tempelhof, einen über 100 Meter hohen Triumphbogen
zu bauen – das Pariser Vorbild hätte locker darunter Platz gefunden. Um die
Tragfähigkeit des Baugrundes zu testen, ließ Speer 1941 den heute auch
„Naziklotz“ genannten Baukörper errichten.
Zum zweiten Mal veranstalten die Museen Tempelhof-Schöneberg dieses Jahr
einen „Geschichtssommer“ rund um den Schwerbelastungskörper. Bis Oktober
finden jeden Sonntag um 16 Uhr kostenlose Führungen statt, begleitet von
Vorträgen im Schöneberg-Museum. Die Historikerin Susanne Willems sprach
dort am Donnerstagabend darüber, welche Folgen Speers Pläne für die
Wohnungsmarktpolitik in der Stadt hatten und wie sie zu der Entrechtung und
Deportation tausender jüdischer Mieter*innen führten. Willems brachte zu
diesem Thema 2002 das Buch „Der entsiedelte Jude“ heraus.
Willems betont, dass die Stadtumbaumaßnahmen keineswegs automatisch mit der
rassistischen Verfolgung von Juden und Jüdinnen zusammenhingen. Speer hatte
vielmehr beides bewusst verknüpft, da Juden seit 1938 die am leichtesten zu
entrechtende Gruppe waren, was es ihm ermöglichte, seine Pläne auf ihre
Kosten umzusetzen. „In dieser Verknüpfung entsteht rassistische
Wohnungsmarktpolitik“, sagte Willems. Ihre Forschung reiht sich in ein in
Publikationen über Speer, die seit den achtziger Jahren darlegen, dass der
Generalbauinspektor keineswegs der „verführte Bürger“ war, als der er sich
nach dem Krieg stilisierte. Zwanzig Jahre lang durchforstete Willems Akten
und konnte rekonstruieren, dass Speer maßgeblich verantwortlich war für die
Massendeportationen von Juden und Jüdinnen aus Berlin.
Für die Neugestaltung von Berlin nach Speers Plänen waren bis zu 150.000
Wohnungsabbrüche nötig. In Berlin herrschte allerdings bereits eklatanter
Wohnungsmangel, insbesondere große Wohnungen gab es nicht. Wo sollten sie
also hin, die „Abbruchmieter“? Speers Plan im September 1938 war zunächst,
Juden aus großen Wohnungen zu „entmieten“ und sie in „noch zu errichtend…
kleinere Wohnungen am Stadtrand umzusiedeln. Das „Projekt Judensiedlung“ in
Buch war eines der Projekte von Speer.
Die Novemberpogrome von 1938 kamen dem Generalbauinspektor gelegen. Viele
Juden und Jüdinnen flüchteten aus Berlin und kündigten ihre Wohnungen.
Speer wollt seine „Abbruchmieter“ dort unterbringen. Da er es nicht
schaffte, rechtzeitig alle freigewordenen Wohnungen zu besetzen, ließ er im
Mai 1939 sogenannte „judenreine Gebiete“ bestimmen. In diesen Vierteln
blieben Juden so lange in ihren Wohnungen, bis sie für Mieter*innen aus den
Abbruchvierteln gebraucht wurden. „Juden hielten ihre eigenen Wohnungen
bereit für den Bedarf anderer“, sagt Willems.
Speer war entschlossen, sein Projekt auch während des Krieges
weiterzuführen. Mit Hitler handelte er einen Kompromiss aus: Während des
Krieges sollten keine neuen Häuser abgerissen werden, der Leerstand sollte
für Ausgebombte freigehalten werden. Speer sah in dieser Notwendigkeit eine
Begründung für Räumungen. „Arische“ Mieter*innen aus den Abbruchvierteln
erhielten einen Mietberechtigungsschein, der ihnen den Zugriff auf die
geräumten Wohnungen ermöglichte.
Immer wieder drängte Speer Hitler dazu, Massendeportationen aus Berlin
zuzulassen und ließ entsprechende Pläne ausarbeiten. Warum Hitler dies
zunächst nicht wollte, sei unklar, sagt Willems. Doch für die Historikerin
ist Fakt, dass Hitler neben sich andere treibende Kräfte für
Massendeportationen hatte und dass eine von ihnen Albert Speer war. Im
September 1941 setzte er sich durch: Mithilfe der Gestapo wurden Tausende
Wohnungen in Berlin geräumt.
„Speer ist nicht ein gelegentlicher Nutznießer, sondern ein früher
Interessent und politisch ein Initiator von Massendeportationen“, lautet
das Fazit der Historikerin. Ab Mitte 1942 hatte Speer, der inzwischen
Rüstungsminister geworden war, keine Skrupel, jüdische Familien nach
Auschwitz-Birkenau deportieren zu lassen und arbeitsfähige Juden dort für
sein „Baukontingent“ aussortieren zu lassen. Der Ausbau von Birkenau trug
auch den Namen „Sonderprogramm Professor Speer“. Was mit den restlichen
Familienmitgliedern geschah, interessierte Hitlers Architekten nicht.
Nächste Veranstaltung: Albert Speers Rolle in „Hitlers Hofstaat“ mit Heike
Görtemaker. Donnerstag, 22. August, 19 Uhr im Schöneberg-Museum,
Hauptstraße 40/42
17 Aug 2019
## AUTOREN
Inga Barthels
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