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# taz.de -- Träume und Insektensalat
> Wie klingt eine Erde ohne Menschen? Wie können Tiere besser mit Städtern
> zusammenleben? In der Floating University wird an Zukunftsfragen
> gearbeitet
Bild: Auf Stelzen stehen die Gebäude der Floating University in einem Regenwas…
Von Annina Bachmeier
Im Hauptgang geröstete Grillen, Mehlwürmer, Buffalowürmer und Heuschrecken
auf einem Salatbett mit Zucchini und Ziegenkäse, mariniert mit Zitrone, und
als Dessert die Larven von Bienendrohnen in Kokosöl, Soja-Soße und
Stadtbienenhonig auf Honigmelone. Dieses Menü wurde von der Insektenköchin
Nicole Sartirani für die Eröffnung des „Climate Care“-Programms an der
Floating University in Kreuzberg kreiert. Alles ist in kleinen
Pappschachteln und Dessertbecherchen auf einem Tisch angerichtet.
Die Insekten fallen zwischen Salatblättern und Honigmelonenstücken kaum
auf, wenn man ein anfängliches Ekelgefühl überwunden hat, schmeckt man auch
nicht besonders viel von ihnen, höchstens manchmal ein leichtes Knirschen
und ein nussiges Aroma im Abgang, erzählt ein Besucher erstaunt.
Insekten, erklärt Sartirani, könnten in naher Zukunft eine nachhaltigere
Proteinquelle darstellen, schon kleine Mengen enthalten viel mehr Protein
als herkömmliches Tierfleisch, außerdem verbrauchen Insekten in der Haltung
natürlich viel weniger Emissionen als Rinder oder Schweine – Mehlwürmer
könnten zum Beispiel ganz einfach auch zu Hause angebaut werden.
Die Floating University gibt es seit 2018, die Gebäude stehen auf Stelzen
in einem Regenwasserrückhaltebecken zwischen Hasenheide und Tempelhofer
Feld, der Eingang liegt unauffällig zwischen Bäumen und hohen Zäunen am
Straßenrand. Wenn man ihn gefunden hat, steht man plötzlich auf einer
Wendeltreppe und fühlt sich wie in den Traum von einer
postkapitalistisch-ökologischen Zukunftsutopie versetzt: man blickt auf
mehrstöckige, aus Gerüsten, Holz und Planen gebaute Gebäude auf dem Wasser,
die über Holzstege miteinander verbunden sind. Zwischen den Stockwerken und
an den Stegen wachsen in Kästen Kapuzinerkresse, Sonnenblumen und Kräuter.
Menschen in Gummistiefeln wandern zwischen Algen und Schilf durch das
flache Regenwasserrückhaltebecken, alles ist umgeben von einem kleinen
Wald.
Das man sich mitten in der Stadt befindet, bemerkt man nur an den Türmen
des Tempelhofer Flughafens, die im Hintergrund über den Bäumen aufragen.
Die Floating University gibt seit ihrer Entstehung im letzten Jahr
verschiedenen Projekten, die sich künstlerisch, architektonisch oder
kulturell hauptsächlich mit Stadtplanung und alternativen Lebensformen in
Städten auseinandersetzen, eine Plattform. Im letzten Jahr fand hier mit
dem Raumlabor ein Projekt für „Visionen urbaner Praxis“ statt, in diesem
Jahr ist es Climate Care.
Das Programm wird kuratiert von der Architektin Rosario Talevi und der
Künstlerin Gilly Karjevsky und hat sich als Zweig aus dem Projekt „Formats
of Care“ entwickelt, das an der Kunstakademie in Wien und der Universität
der Künste in Berlin stattfindet und an dem Talevi und Karjevsky ebenfalls
beteiligt sind.
Im Kontext von „Climate Care“ wollen die Macherinnen sich mit dem Stichwort
„Care“, also zu Deutsch Fürsorge, weg orientieren von der Krisenrhetorik,
die die Klimadebatte momentan bestimmt, um stattdessen Lösungsansätze zu
suchen, mit denen sich das Leben in Städten nachhaltiger und
klimafreundlicher gestalten lässt, erzählen sie. Das Insektenmenü war dabei
nur der erste von vielen Programmpunkten, aus denen zum Schluss des
Projekts Lehrpläne entstehen sollen, die sich vor allem daran orientieren,
wie konkret mit dem Klimawandel in der Stadt umgegangen werden kann. So
gibt es zum Beispiel das Programm „Animalesque“, das von den Architekten
Ana Zatezalo Schenk und Jorge Godoy entwickelt wurde.
„Animalesque“ wird während „Climate Care“ jeden Tag Schulungen anbiete…
denen es um „animalische Utopien“ gehen soll, was „Verdichtung und Verlust
von Naturraum“ in Städten für Tiere bedeutet und wie man das Zusammenleben
von Tieren und Menschen besser gestalten könnte. Bei der Eröffnung von
„Climate Care“ erzählt Ana Zatezalo Schenk, dass „Animalesque“ ein
gigantisches Vogelnest in das Regenauffangbecken bauen will, um mehr über
das Leben von Vögeln zu erfahren, auch soll ein Bienenvolk auf dem Gelände
der Floating University ansiedelt werden.
Am Eröffnungsabend sind alle kleinen Stege voller Menschen, die Salat mit
Insekten essen oder Bier aus biologischem Anbau trinken, von einer
krisenhaften Stimmung ist nichts zu spüren. Nachmittags gab es eine Lesung
aus dem Text des Anwalts und Klimarechtsaktivisten Christopher D. Stone
„Should Trees Have Standing? Law, Morality, and the Environment“, später am
Abend wird mit der Klanginstallation „Glacier Soundscapes“ durch Geräusche
aus der Antarktis gezeigt, wie sich eine Erde ohne Menschen anhören könnte.
Wenn man die Floating University verlässt, ist man gleich wieder mitten in
Kreuzberg, alles ist voller Autos, am Südstern wirbt McDonald’s mit einem
riesigen Plakat für seinen neuen veganen Burger und „Climate Care“ rückt
wieder an die Stelle eines schönen Traums von einer postkapitalistischen
Utopie.
„Climate Care“, tägl. ab 14 Uhr, bis 10. August
3 Aug 2019
## AUTOREN
Annina Bachmeier
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