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# taz.de -- Flyer verteilen erlaubt
> Das Landgericht stellte ein Verfahren gegen einen Aktivisten ein, das
> trotz Belanglosigkeit in Berufung gegangen war. Damit endet nach drei
> Jahren ein sehr merkwürdiger Fall
Bild: In kurzen Hosen Flyer verteilen: Für Bremer Polizisten ist das höchst v…
VonElisabeth Nöfer
Vor dem Landgericht Bremen ging am gestrigen Dienstag ein Verfahren in die
zweite Runde, bei dem es sich eigentlich um eine Bagatelle handelt –
[1][hätte die Staatsanwältin im vergangenen Jahr nicht wegen „Widerstand
gegen die Staatsgewalt“ Berufung eingelegt].
Für Verteidiger Jan Lam hat das ganze Verfahren ein „Geschmäckle“. Es sei
„nicht nachvollziehbar“, dass sein Mandant Bernd Krause (Name geändert)
sich trotz Freispruchs nun erneut vor dem Landgericht verantworten muss. In
der Tat: Die ganze Sache ist merkwürdig. Merkwürdig ist auch, dass der
Polizist Günther M. beim Berufungstermin aus „gesundheitlichen Gründen“
plötzlich verhindert ist.
In der Sache geht es um einen Flyer, [2][den der Erwerbslosen-Aktivist
Krause im September 2016 am Eingang des Kommunalkinos City 46 auslegen
wollte]. Krause ist ALG II-Bezieher und Aktivist in der Hartz-IV-kritischen
Gruppe „Echte Demokratie jetzt“. Sein Pech: Auch der Staatsschutzbeamte
Günther M. war damals vor Ort. Während oben im Saal die damalige
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) an der Veranstaltung „Futurale:
Arbeiten 4.0“ teilnahm, forderte der Zivilpolizist M. den Besucher Krause
auf, ihm seinem Flyer zu zeigen. Darauf stand der Slogan „Arbeitslos 5.0:
Nahles zahl deine Essensmarken zurück!“, mit dem Krause gegen die
Hartz-IV-Politik protestierte. M. hielt ihn am linken Unterarm fest. Krause
habe in kurzen Hosen und Sandalen verdächtig gewirkt, erklärt Günther M. in
seiner Aussage.
Würden kurze Hosen Störer eindeutig kennzeichnen, hätte M. einen
Straftatsverdacht, der seinen Übergriff auf Krause erklären könnte. Dem ist
aber nicht so. Und: „Der Polizist hat sich nicht ausgewiesen, er hat vor
Gericht nicht die Wahrheit gesagt“, sagt Krause gegenüber der taz.
Im Kino riss Krause sich von M. los und lief nach draußen. Das allein sei
nicht als Widerstand zu werten, sagte der Richter Hoffmann vom Amtsgericht
später in der Urteilsbegründung. Draußen vor dem Kino bekam Günther M. den
Flyerverteiler zu fassen, erteilte ihm einen Platzverweis und stellte seine
Identität fest.
Das hielt Richter Hoffmann im ersten Verfahren 2018 vor dem Amtsgericht
nach dem Bremer Polizeigesetz für rechtswidrig. Jeder habe das Recht, seine
Meinung zu sagen und der Inhalt des Flyers sei nicht verdächtig gewesen, so
Hoffmann. Außerdem sei das polizeiliche Handeln mit dem Veranstalter nicht
abgesprochen gewesen. Krause wird damals in allen Punkten freigesprochen.
Das Urteil ist eine schallende Ohrfeige für den Beamten und die
Staatsanwaltschaft. Aber auch am Dienstag vor dem Landgericht hält der
Richter die Entscheidung wieder für richtig. „Ich habe selten so ein
sauberes Urteil gesehen“, sagt Richter Schröder. Wäre der Angeklagte
schuldig, „würde das ja bedeuten, ich dürfte immer ohne Anfangsverdacht
Flugblätter kontrollieren. Das ist nicht der Fall.“
Doch warum ging dann die Staatsanwältin in Berufung und plädierte auf 50
Tagessätze wegen Widerstands? Alle Anwesenden im Saal des Landgerichts
zucken mit den Schultern, draußen ist es sommerlich, drinnen sitzt man in
schwarzen Roben über einem Fall zusammen, der drei Jahre her ist. Es ist
ein Schuldminderungsgrund, wenn zwischen Tat und Gerichtstermin viel Zeit
vergangen ist. Schließlich beschließt Richter Schröder die Einstellung des
Verfahrens auf Kosten der Staatskasse. Man sieht Krause seine Erleichterung
an.
Sicher sei der Freispruch nicht gewesen, erzählt er später. „Widerstand
gegen Vollstreckungsbeamte“ werde gegen AktivistInnen immer wieder streng
ausgelegt, habe ihn sein Anwalt Lam im Vorfeld gewarnt. Krause will
trotzdem „auf jeden Fall weiterhin politisch aktiv sein“. Doch die Angst
vor einer Verurteilung, die wird er nicht vergessen.
24 Jul 2019
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## AUTOREN
Elisabeth Nöfer
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