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# taz.de -- „Viele Betroffene sehen den Rassismus als fast normal an“
> Rassistisch motivierte Angriffe wie die Attacke auf vier Afghanen in der
> vergangenen Woche im Schnoor sind in Bremen zwar nicht an der
> Tagesordnung, Diskriminierung und Bedrohungen allerdings schon, sagt
> Josef Borchardt von der Beratungsstelle „soliport“
Bild: Das Thema rechte Gewalt ist seit dem Mord an Walter Lübcke in aller Mund…
InterviewLotta Drügemöller
taz: Herr Borchardt, vergangene Woche wurden vier junge Afghanen im Schnoor
angegriffen. Ist das eine Ausnahme?
Josef Borchardt: In Deutschland gibt es täglich drei bis vier rassistisch
motivierte Gewalttaten. In Bremen sind krassere Angriffe zum Glück nicht
alltäglich. Allerdings melden sich auch nicht alle Opfer von Gewalt bei uns
oder der Polizei. Wie groß die Dunkelziffer ist, wissen wir daher nicht.
Alltäglich ist auf jeden Fall auch hier die Ausgrenzungserfahrung.
Wer ist besonders betroffen?
Es ist ganz verschieden, wie sich die rassistische Perspektive Menschen
vorstellt, die vermeintlich nicht zu Deutschland gehören. Das können
schwarze Menschen sein – ob die dann in Deutschland geboren sind, spielt
keine Rolle, der erste Impuls bei so einem Angriff wird eben durch die
rassistische Motivation ausgelöst. Es kann aber auch eine weiße Person
sein, die zum Beispiel mit Akzent telefoniert.
Und wo und wann sind Menschen, die als „fremd“ gelesen werden, besonders
bedroht?
Täter schlagen in sehr unterschiedlichen Situationen zu. Wir beschreiben
rechte Gewalt auf der Täterseite als Vorsatz bei Gelegenheit: Die Angreifer
tragen das Potenzial und die Motivation für Angriffe immer bei sich. Es
braucht keine Aktion von den Betroffenen, auf die dann reagiert wird. Es
braucht lediglich eine Gelegenheit, den eigenen Ressentiments freien Lauf
zu lassen oder sie in Gewalt münden zu lassen. Menschen werden in der
Schule, im Supermarkt, im Beruf, im Hausflur herabgewürdigt. Es ist eher
schwierig, die Orte auszumachen, an denen sowas nicht passiert.
Auf Ihrer Twitterseite heißt es: „Blicke. Worte. Fäuste. Rechte Gewalt hat
viele Facetten.“ Mit was für Facetten kommen die Leute zu Ihnen in die
Beratung?
Es kommen Menschen zu uns, die physische Gewalt im engeren Sinn erlebt
haben, so etwas wie Schläge oder Tritte. In der Mehrzahl sind es aber
tatsächlich Leute, die von Bedrohungen, Herabwürdigung, Diskriminierung
betroffen sind. Blicke sind ein Teil davon, aber meistens geht es schon um
etwas Einschneidenderes. Interessant ist, dass der Anlass oft gar nicht das
Relevanteste ist.
Wie meinen Sie das?
Wenn die Leute bei uns sind und anfangen zu erzählen, ist das eine ganze
Geschichte, die sich über eine lange Zeit zieht. Viele Betroffene sehen den
Rassismus als fast normal an, als alltäglich. Doch wenn die Psyche die
kleinen Nadelstiche einfach nicht mehr aushält, kann es irgendwann zum
physischen Zusammenbruch kommen. Manchmal sind Auslöser ganz banale Sachen,
die mit den Erfahrungen erst mal gar nichts zu tun haben: Stress mit dem
Partner oder der Partnerin, oder im Arbeitskontext. Die anderen Sachen
kommen dann wieder hervor.
Warum denken die Menschen dann an Sie? Da könnte man doch eher zur
Partnerberatung gehen oder zum Betriebsrat …
Ich vermute, die Menschen verstehen sehr genau, dass es nicht wirklich um
den Streit mit dem Partner geht, sondern um die diskriminierenden
Erfahrungen. Menschen, die tagtäglich Rassismus erfahren, werden über die
Jahre sensibilisiert dafür. Die verstehen ganz genau, was das mit ihnen
macht.
Sind eher Männer oder eher Frauen von rassistischer Gewalt betroffen?
Bei den tätlichen Übergriffen sind es schon immer wieder junge Männer, die
angegriffen werden. Bei allen anderen Formen der Gewalt sind alle
betroffen, Kinder, Jugendliche, Erwachsene, alte Menschen, sowohl Männer
als auch Frauen.
Wie reagiert die Polizei, wenn solche Fälle angezeigt werden?
Manche Menschen berichten natürlich von kompetenten BeamtInnen, die ihre
Angaben aufnehmen und gut wiedergeben. Viele berichten aber auch von
PolizistInnen, die sie nicht ernst nehmen, nicht zuhören, und die Berichte
der Betroffenen auch nicht korrekt aufnehmen. Da wird ganz schnell aus
einer rassistischen Bedrohung eine einfache Beleidigung. Es kommt auch vor,
dass Anzeigen gar nicht aufgenommen werden. Deshalb empfehlen wir, in
Begleitung zur Polizei zu gehen. Das ist auch ein Service, den die
Beratungsstelle anbietet.
In dem Fall aus der letzten Woche hat die Polizei klar gesagt, dass
ausländerfeindliche Motive geprüft werden …
Dass die Polizei hier so schnell reagiert hat, liegt, glaube ich, im
Vorfall begründet. Die rassistischen Sprüche fielen immer noch, als die
Polizei schon anwesend war, das war eindeutig. Ich wage mal ein
Gedankenexperiment: Hätte sich der Bericht ausschließlich auf die Aussagen
der Angegriffenen gestützt, wäre ich mir nicht sicher, dass die
Polizeimeldung so ausgesehen hätte. Sie merken vermutlich eine gewisse
Skepsis. Die kommt nicht von ungefähr, sondern ist Konsequenz der
zahlreichen Erlebnisse, die immer wieder bei uns geschildert werden. Rechte
Gewalt wird oft immer noch nicht korrekt eingeordnet und dadurch auch
entpolitisiert.
Was braucht es denn jetzt?
Auch auf die Gefahr hin, ein bisschen floskelhaft zu klingen: eine
deutliche und sichtbare, breite Solidarität mit den Angegriffenen. Das
fängt an, dabei in solchen Situationen couragiert einzugreifen, die Polizei
zu rufen, da zu sein. Das geht aber auch damit weiter, im sozialen Umfeld
für die Nachsorge einzutreten, damit Betroffene nicht alleine bleiben.
Insgesamt gilt es, hinzuschauen, immer: Vorfälle, die jeden Tag passieren,
bekommen jetzt nach dem Mordfall an Walter Lübcke verständlicherweise mehr
Aufmerksamkeit. Aber rechte Gewalt bis hin zu Todesfällen ist seit
Jahrzehnten in Deutschland eine Realität.
10 Jul 2019
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
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