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# taz.de -- Großstadtstress auch für Bäume
> Bäume in der Stadt wachsen zwar schneller als auf dem Land, aber dafür
> sterben sie früher ab
Von Jörg Zittlau
„Live fast, die young: Lebe schnell, sterbe jung.“ So hieß in den 1960er
Jahren ein Motto des Rock ’n’ Roll. Doch es gilt offenbar, laut einer im
Open-Access-Journal P[1][los One] veröffentlichten Studie aus den USA, auch
für die Bäume der Stadt.
Die Linden an der Straße des 17. Juni in Berlin stehen in dichtem Grün. Und
das, obwohl täglich ein gigantisches Auto-Heer unter ihnen vorbeifährt. Sie
scheinen sogar ein wenig größer zu sein als letztes Jahr. Doch ein Anlass
zur Freude ist das nicht. Denn Ökologen der Boston University haben jetzt
ermittelt: Stadtbäume wachsen schnell – doch sie sterben auch früher als
ihre Artgenossen vom Land.
Die Forscher verglichen die Baumentwicklung im Stadtgebiet Bostons mit der
im Harvard Forest, am Rande der Stadt. Dabei wurde neben den Wachstums- und
Sterberaten auch erfasst, wie groß das Potenzial der Bäume als
Kohlenstoffspeicher und somit als Puffer für den kohlendioxidbedingten
Klimawandel ist.
Im Ergebnis zeigte sich: Die urbanen Bäume wachsen durchschnittlich viermal
so schnell wie ihre Artgenossen auf dem Land. Was natürlich Auswirkungen
auf ihre Fähigkeit als Klimawandelbremse hat. So kann beispielsweise ein
Stadtbaum, dessen Durchmesser binnen 35 Jahren von 10 auf 38 Zentimeter
zulegt, bis zu 400 Kilogramm Kohlenstoff binden, während der gleiche Baum
auf dem Land nur 16 Zentimeter dick wird und bis zu 44 Kilogramm
Kohlenstoff aus der Atmosphäre aufnehmen kann. Das ist gerade mal ein
Neuntel von dem, was sein Großstadt-Pendant zu leisten vermag.
Zudem betont Studienleiter Ian Smith, dass Stadtbäume nicht nur mehr
Treibhausgas an sich binden. „Wegen ihres schnellen Wachstums verdunsten
sie auch mehr Wasser, was zu einem stärkeren Kühleffekt führt“, so der
Ökologe. Eine sich schnell erhitzende Großstadt wie Boston kann also auf
die natürliche Kühlung durch ihre Alleen und Grünanlagen bauen. Doch Smith
betont auch, dass all diese Vorteile wohl theoretisch da seien, aber
praktisch nicht komplett zum Tragen kämen. Denn: Stadtbäume leben nur
relativ kurz. So war ihre Sterblichkeitsrate in Boston über den
Beobachtungszeitraum von 2006 bis 2014 mehr als doppelt so hoch wie die der
Bäume im Harvard Forest. Was dann schon eine erhebliche Einschränkung für
ihr Potenzial als Kohlenstoffspeicher bedeutet, auch wenn Smith und
Kollegen keine exakten Zahlen dazu liefern können.
Dafür haben sie eine Vermutung, warum ein Baum in der Stadt so schnell
wächst: Weil er dort nämlich mehr Licht und Kohlendioxid für seine
Photosynthese bekommt. Und seine erhöhte Sterblichkeit wird mit einem
Phänomen begründet, das auch Menschen den Garaus macht: Stress! Wozu nicht
nur Feinstaub, Abgase und die Versiegelung der Böden in der Stadt gehören.
„Urbane Bäume können oft auch ihre Größe nicht voll zur Entfaltung
bringen“, erklärt Smith. Ihr Stamm würde zwar immer dicker, doch das
Wurzelwerk werde oft eingepfercht und die Äste radikal zurückgeschnitten.
Das schade der Baumgesundheit.
Die US-Forscher raten daher, in Städten nicht nur auf die Anzahl der Bäume,
sondern auch auf deren artgerechte Bedürfnisse zu setzen. Nur so könnte man
sie als ökologisch positiven Faktor so nutzen, wie es möglich wäre.
21 Jun 2019
## LINKS
[1] https://doi.org/10.1371/journal.pone.0215846
## AUTOREN
Jörg Zittlau
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