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# taz.de -- Sieben Sorten Mangos aus Pakistan
> „They died Laughing“ heißt die aktuelle Retrospektive im Gropius Bau.
> Nicht ohne Grund. Die Künstlerin Bani Abidi blickt mit Humor auf Alltag
> und Politik im indischen Subkontinent
Bild: Surrealistische Stadt: Schminken auf der Straße. Bani Abidi, „Karachi …
Von Lorina Speder
Die pakistanische Künstlerin Bani Abidi sitzt neben einer Frau am gedeckten
Tisch, vor ihnen auf den Tellern liegen Messer und Mangos. Das Video, in
dem die beiden die Früchte schälen, verzehren und sich unterhalten ist
einer der vielen großartigen Arbeiten in Abidis Ausstellung „They Died
Laughing“ im Gropius Bau. In der 20 Jahre umfassenden Retrospektive der
Fotografin und Videokünstlerin wird das Video von 1999 in einem
Röhrenfernseher gezeigt, der auf dem Boden installiert ist. Setzt man die
Kopfhörer auf, hört man das Gespräch der frontal eingefangenen Frauen am
Tisch, bei dem deutlich wird, dass die Gesprächspartnerin der Künstlerin
aus Indien kommt. Während sie über Traditionen sprechen und sich durch die
Mangos an ihre Kindheit erinnert fühlen, könnte man fast meinen, sie seien
befreundet. Aber dann kommt die Frage auf, wie viele Sorten der Frucht man
im eigenen Land kaufen könne, und es wird ungemütlich.
Fünf seien es in Pakistan, sagt Abidi. Wie in einem Wettstreit übertrumpft
ihre Nachbarin diese Behauptung und erwähnt, es gäbe sechs verschiedene
Sorten in Indien. Abidi zieht darauf nach und korrigiert ihre Zahl auf
sieben. Das anschließende Schweigen und ein bestimmendes „mmh“ verstärken
die plötzlich aufgekommene Anspannung am Ende des Videos zusätzlich.
## Rivalen Indien und Pakistan
In der beiläufig inszenierten Plauderei macht Abidi die menschliche
Dimension der Folgen aus der religiösen Zweinationenlösung von 1947
sichtbar. Denn die Rivalität zwischen Indien und Pakistan besteht noch
immer. Seit dem Ende der britisch-indischen Kolonialzeit und der damit
einhergehenden Teilung Indiens in das muslimische Pakistan und davon
abgetrennt das hinduistische Indien, gab es vier bewaffnete
Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ländern. Die letzte davon brach im
Entstehungsjahr des Videos über die Zugehörigkeit der Region Kaschmir aus.
Das Auswärtige Amt warnt noch heute vor Reisen ohne offizielle Genehmigung
in die Grenzgebiete dieser Region. Ein Indiz, dass sich die Anspannung dort
noch längst nicht gelegt hat. Das Video ist also noch immer aktuell. Das
Schöne daran ist jedoch, dass Abidi den geopolitischen Konflikt für die
BetrachterInnen auf rein persönlicher Ebene darstellt.
Teilung, Trennung und der Umgang damit spielen in weiteren Werken von
Abidis Ausstellung immer wieder eine Rolle. Dass der Gropius Bau wenige
hundert Meter vom ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie liegt, rückt
den Fokus zusätzlich auf die Trennung von Bevölkerungen durch
Staatsgrenzen. Abidi hat eine besondere Verbindung zu Berlin. Nach ihrem
Studium im pakistanischen Lahore und in Chicago kam die 1971 geborene
Künstlerin durch ein Stipendium des DAAD Künstlerprogramms 2011 nach Berlin
und lebt bis heute dort. In den folgenden Jahren stellte sie auf der
dOCUMENTA 2012 in Kassel, bei der Berlin Biennale oder im n.b.k. aus.
Abidis Arbeiten sind auch fernab ihrer Heimaten verständlich und auf
Biennalen in Marrakesch, Gwangju oder Singapur gezeigt worden, weil sie
trotz ernster Thematik einen humorvollen Ansatz verfolgen und die
Dramatisierung der Probleme und Fragen durch die Politik mit Komik
konterkarieren. Und so bearbeitet die Künstlerin zum Beispiel in ihren
Darstellungen von Sicherheitsabsperrungen, diese mit digitalen Mitteln bis
die Barrieren wie katalogisiertes Kinderspielzeug aussehen. Abidi
inventarisierte die mauerartigen Gerüste bis 2018 und zeigt damit
sinnbildlich das Terrorproblem und die Militarisierung in ihrer Heimatstadt
Karatschi. Der kindliche Touch darin bricht die digitalen Drucke im Gropius
Bau jedoch auf farbenfrohe Konstruktionen herunter.
Ein weiteres Beispiel für Abidis Humor ist ihre fiktionale Videoarbeit
„Reserved“ aus dem Jahr 2006, in der blau-weiße Sicherheitsabsperrungen
überall in der Großstadt verteilt sind und den Verkehr aufhalten. Alles
steht wegen eines hohen Staatsgastes still, der sich in einem
Limousinen-Konvoi durch die von Autos befreiten Straßen bewegt und anonym
bleibt. Den Fokus legte Abidi auf die Wartenden abseits des Konvois. Ob
Schulkinder, im Fahrzeug Sitzende oder das spärliche im Saal wartende
Publikum.
Wo anfangs noch Unterhaltungen und Gelächter stattfinden, überwiegt nach
einiger Zeit Resignation und Langeweile. Der zuerst mit Spannung erwartete
Gast verliert schnell seine Wichtigkeit, die Sicherheitsinfrastruktur des
Alltags wirkt nur noch nervend und nicht zweckgemäß sinnvoll. Abidi
offenbart damit eine nichtoffizielle Seite der bürokratischen Realität, die
oft Fragezeichen und Kopfschütteln hervorruft. Und das gibt dem
politisierten Alltag in Pakistan ein selten sichtbares Gesicht.
Bis 22. September, Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, Mi.–Mo. 10–19 Uhr
1 Jul 2019
## AUTOREN
Lorina Speder
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