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# taz.de -- Starkregen und die Folgen: „Wasser hat Selbstreinigungskräfte“
> Trotz aller Speicher werden Unwetter wie das in der Nacht zu Mittwoch
> immer Schmutz in die Spree spülen, erklärt Wasserbetriebe-Sprecher
> Stephan Natz
Bild: Manchmal läuft gar nichts mehr (ab) – wie hier in der Breiten Straße …
taz: Herr Natz, das Unwetter in der Nacht zum Mittwoch hatte endzeitliche
Ausmaße.
Stephan Natz: Sagen wir, es war schon eine beachtliche Niederschlagsmenge
in sehr kurzer Zeit. Ich wohne im Nordosten der Stadt und habe da ein
Messglas im Garten aufgestellt – innerhalb einer einzigen Stunde sind 20
Liter Wasser pro Quadratmeter heruntergekommen.
So stark war es aber nicht überall.
Wir können genau sehen, was unsere über die ganze Stadt verteilten
Pumpwerke leisten müssen. Den Rekordwert hatte in dieser Nacht eines in
Zehlendorf mit 59,2 Litern, das ist eine gute Monatsmenge in ein paar
Stunden. Auch im Norden der Stadt war es heftig. Um halb zwei habe ich mit
unserem Einsatzleiter telefoniert. Der meinte: Der Pankerechen fängt gleich
an zu glühen.
Der Pankerechen?
Das ist ein rotierender Rechen, der an der Schulzendorfer Straße im Wedding
alles rausholt, was so an Feststoffen in der Panke schwimmt, Laub oder
Müll. Später rief er noch mal an und sagte: Jetzt kommen Bäume. Da war der
Pegel so gestiegen, dass das Wasser große Äste mitgenommen hat, die wohl
nach Baumarbeiten in den Grünanlagen lagerten. Gleichzeitig haben wir in
Hessenwinkel in Köpenick gerade mal 1,3 Liter gemessen, das war letzte
Nacht der trockenste Ort in Berlin. Gewitterzellen haben es so an sich,
dass sie räumlich stark begrenzt sind.
Bei solchen „Starkregenereignissen“ ergießt sich oft Abwasser in die Spree
oder den Landwehrkanal, diesmal auch?
Ja, für solche Spitzenmengen sind die Systeme nicht ausgelegt. Am Pumpwerk
5 an der Spree, direkt neben dem historischen Pumpwerk, das wir heute als
Radialsystem kennen, haben wir beispielsweise 43.000 Kubikmeter Überlauf
verzeichnet.
Dass das Schmutzwasser überhaupt austritt, liegt an Berlins historischer
Mischwasserkanalisation innerhalb des S-Bahn-Rings. Da vermischt sich der
Regen mit allem, was bei uns in Küche und Bad so anfällt, richtig?
Richtig. Wobei es bisweilen auch in der Trennkanalisation zu Überläufen
kommt. Wenn Gullys kurzzeitig verstopfen, weil die Regenmassen Straßendreck
oder Pflanzenteile hineinspülen, fließt das Wasser in die Belüftungs- und
Einstiegsschächte zur Schmutzwasserkanalisation – die runden Deckel mit den
Löchern, die auf Englisch so schön „manhole“ genannt werden.
Aber zum Mischwassersystem: Das ist auf die zweifache Trockenwettermenge
ausgelegt, es kann also noch einmal dasselbe Volumen an Niederschlagswasser
zusätzlich ins Klärwerk transportieren. Was darüber liegt, wird durch einen
Überlauf in die Oberflächengewässer abgegeben. Das muss auch so sein, denn
sonst würde diese riesige Menge viel zu schnell durch die Klärstufen
rauschen. Die Mikroorganismen, die für uns das Wasser reinigen, indem sie
den Schmutz innerhalb von 24 Stunden verstoffwechseln, würden hinten
rausgeschwemmt. Die Biologie in den Klärwerken ist uns heilig!
Und wir müssen den ganzen Mist ausbaden – oder eben nicht.
Deswegen arbeiten wir seit Jahren am sogenannten Stauraumprogramm.
Vorgesehen sind unterirdische Zwischenspeicher von insgesamt 300.000
Kubikmetern in der Innenstadt, die sich auf Dutzende Projekte verteilen,
meistens Tunnelbauwerke. 245.000 Kubikmeter sind schon fertig, der mit
7.600 Kubikmetern aktuell größte Einzelstauraum unter dem Mauerpark wird
demnächst in Betrieb genommen.
Nach dem Winter beginnen wir mit dem Bau eines Riesenbeckens in der
Chausseestraße, das wird einmal 17.000 Kubikmeter fassen. Auch auf den
Klärwerken am Stadtrand, in Wassmannsdorf oder Schönerlinde, errichten wir
riesige Staubecken, die müssen Sie sich von der Kubatur wie einen Baumarkt
vorstellen. Aber für Kapriolen wie heute Nacht können und werden wir
niemals ausreichende Zwischenspeicher bereitstellen.
Wieso denn nicht?
Um das baulich aufzufangen, müsste man unter jede Straße eine Art
U-Bahn-Tunnel bauen. Erstens ist dafür gar kein Platz, zweitens würde man
extrem viel Geld versenken – das grenzte dann wohl an wirtschaftliche
Untreue. Es wäre aber auch Quatsch, denn obwohl Starkregenereignisse
zunehmen, bleibt die Wiederholungsgefahr begrenzt.
Das müssen Sie erläutern.
Wir reden zwar immer wieder davon, dass sich Niederschlagsmengen häufen,
die statistisch nur einmal in hundert Jahren auftreten – aber das bezieht
sich nur auf einen konkreten Ort, nicht ganz Berlin. Im Übrigen kam es im
vergangenen Jahr stadtweit nur ein einziges Mal zu Überläufen, es war eben
extrem trocken. Und zu Ihrer Beruhigung: Die Natur macht im Prinzip nichts
anderes als wir in der Kläranlage. Das Wasser hat ja
Selbstreinigungskräfte. Meistens ist nach ein paar Tagen wieder
Badequalität erreicht.
Apropos: Der Flussbad e. V. hat seinen alljährlichen Flussbadpokal wegen
der Verschmutzung abgesagt. Haben Sie denen das verboten?
Wir sind gar keine Behörde, die das verbieten könnte. Wir informieren den
Verein nur, ob es zu Überläufen gekommen ist. Die Schwierigkeit dabei ist
immer, dass wir die Menge der Fäkalbakterien E. Coli und Intestinale
Enterokokken durch einen Test bestimmen, der 48 Stunden dauert. Ob der
Pokal stattfindet oder nicht, muss der Verein entscheiden, der die
Teilnehmer aus gutem Grund einen Haftungsausschluss unterschreiben lässt.
Noch mal zu den Speichermöglichkeiten: Dass irgendwann gar keine, Pardon,
Scheiße mehr in Spree und Kanäle fließt, bleibt angesichts der begrenzten
Ausbaumöglichkeiten eine Utopie?
Was wir tun können und auch tun, ist, dafür zu sorgen, dass die
Niederschläge anders aufgefangen werden. Jeder Regentropfen, der gar nicht
erst in die Kanalisation gelangt, ist ein guter Tropfen. Das geht durch
Anlage von Gründächern oder Grünblaudächern, die unter der Bepflanzung noch
einen Wasserspeicher haben. Ein anderes Beispiel sind Speicher unter den
Baumscheiben, sogenannte Baumrigolen.
Mit der Regenwasseragentur haben die Umweltverwaltung und die
Wasserbetriebe im vergangenen Jahr eine Art Bildungsinstitut für Investoren
und Stadtplaner geschaffen, das solche erprobten Lösungen populärer machen
soll. In der Wissenschaftsstadt Adlershof ist vieles übrigens schon
umgesetzt, da gibt es jenseits der Hauptverkehrsstraße gar keine
Regenwasserkanäle.
12 Jun 2019
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Berliner Wasserbetriebe
Freiwasserschwimmen
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