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# taz.de -- Ein anständiges Mädchen
> Die Pariser Ausstellung „Le modèle noir“ erzählt vom heroischen Kampf um
> die Freiheit von Sklaven, von gemeinen Karikaturen, von exotischen und
> liebenswürdigen Klischees
Bild: In Manets Skizzenbuch steht der Name des schwarzen Modells für das Bild …
Von Ulf Erdmann Ziegler
Hier kommt ein frisches Narrativ der Kunstgeschichte. Es handelt vom
„schwarzen Modell“, und es steuert beharrlich zu auf ein gutes Ende. Da
haben wir Josephine Baker, die ganz Paris unter Strom setzt; und Henri
Matisse, der in New York die Harlem Renaissance bewundert und bald in ein
Buch mit Scherenschnitten verwandelt, das er „Jazz“ betitelt. Gemessen
daran, dass Frankreich die Sklaverei zweimal abschaffen musste, um sie
wirklich loszuwerden, nämlich in den Kolonien, kann man nur froh sein, dass
das gelegentliche exotische Kindermädchen über das Malermodell sich
auswuchs zum Wunder des Entertainments, und so, dialektisch gedacht,
sozialen Raum eroberte für einen schwarzen Alltag in Paris. Ein bisschen
unterliegt der Ausstellung „Le modèle noir“ im berühmten Musée d’Orsay…
ganz und gar französische Wunsch nach der Universalität von Werten. Es ist
eine feine, klug anmoderierte Staatsausstellung im besten Sinne.
Sie erzählt vom heroischen Kampf um die Freiheit von Sklaven, von
hundsgemeinen Karikaturen, von exotischen und dabei durchaus
liebenswürdigen Klischees, und will all das durchbrechen, um die Modelle –
von Malern, Zeichnern, Choreografen – aus ihrer tatsächlichen oder
vermeintlichen Anonymität zu befreien. Das aufgeklappte Honorarverzeichnis
der Akademie vom August 1932 jedenfalls bestätigt die Bezahlung von Joseph,
der als Malermodell Profi war und es als Frontmann auf einem sinkenden Floß
bereits zu internationaler Sichtbarkeit gebracht hat, in einem Gemälde
Géricaults, dessen kleine frühe Fassung hier an der Wand hängt wie gestern
gemalt. Wobei das „Floß der Medusa“ gewiss nicht von einem Schiffsunglück
handelt, sondern – visionär – vom Untergang des Empire.
Die Idee zu dieser Ausstellung kommt übrigens von einer Doktorandin, die
sich gewundert hatte, wieso in einem Gemälde über ein Figurenpaar, genannt
„Olympia“, die liegende Nackte in 150 Jahren vom Skandal zur Sensation
mutierte, während die Lady mit dem Blumenbouquet ungefähr so viel Resonanz
fand wie das dritte Figürchen im Bilde, die schwarze Katze. Der
marxistische Kunsthistoriker T. J. Clark glaubte noch 1999, die junge
schwarze Frau, von der die rechte Bildhälfte lebt, sei ein „Köder“, um von
der Nacktheit als Klassenzeichen abzulenken: Sie bedeute „nichts“. In
Manets Skizzenbuch – die Seite liegt aufgeschlagen in einer fein
beleuchteten Vitrine – steht sogar, wie sie heißt: „Laure“, und als Akt …
Wiedergutmachung hat man das Gemälde für die Dauer dieser Ausstellung so
genannt. Es gehört dem Museumskoloss am Rive Gauche und hängt genau in der
Mitte des Parcours wie eine Zielscheibe.
Das Gemälde „Laure“ zu nennen, ist hübscher Trotz, aber geht an der
Geschichte der Modelle insofern vorbei, als es vorher ja „Olympia“ hieß
(und wieder heißen wird) – nicht aber „Victorine“. Sie, Victorine Meuren…
war aus der Halbwelt aufgestiegen; sie ist auch die Nackte in Manets
„Frühstück im Freien“, das im fünften, im Stockwerk der Impressionisten …
finden ist. Wie übrigens Gemälde von Berthe Morisot und Eva Gonzales,
weiteren, wichtigen Modellen Manets, die – wie Meuront – selbst Malerinnen
waren. Insofern ist die Abwesenheit jeglicher Werke von Meurent im d’Orsay
eine signifikante Lücke. Ihre Prominenz als Nacktmodell mag da eine Spur
der Täuschung ausgelegt haben.
Tatsächlich gab es im 19. Jahrhundert Kulturkämpfe um die Rolle der Frau,
deren Geheimnis Manet zentral inszenierte, als gespreizte Hand einer Frau
über ihrem Geschlecht; eine knochige Bleiche, die den Betrachter
unverschämt anschaut. Er hat Meurent als Menetekel des bürgerlichen
Niedergangs so überzeugend ins Bild gesetzt, dass Laure darüber vergessen
wurde – aber nicht, weil sie schwarz, sondern weil sie anständig ist. Sie
ist eben ein braves Dienstmädchen im Puff und keine Hure. Dass die
Anständige zum kolonialen Komplex gehört, zeigt sich nun als weitere
soziale Waffe in dieser stachligen piktorialen Konstruktion.
Das Unrecht der Sklaverei hat die Franzosen noch umgetrieben über das Ende
des Amerikanischen Sezessionskriegs hinaus. Jean-Léon Gérôme, 1824 geboren,
hatte den napoleonischen Backlash noch bewusst erlebt und erinnerte fünfzig
Jahre später daran, mit einem raffiniert auf Exotismus getrimmten
Hochformat, das betitelt ist: „Zum Verkauf, Sklavinnen in Kairo“, die
exakte Mischung von Dekor und Nacktheit. Allerdings ist nur die Sitzende
mit den entblößten Brüsten schwarz; die Stehende, gänzlich nackt, ist weiß.
Eine Studie zeigt in kleinerem Format das Profil der Schwarzen, das Modell
so jung, dass es selbst Sklaverei nicht erlebt haben kann (aber sehr wohl
seine Eltern); schockierend, irgendwie, wie sie den riesigen silbernen Ring
trägt, der ihre Haut unglaublich schmückt – aber im Atelier Gefangenschaft
symbolisieren soll.
Geht man wieder zurück in die Zeit der Geburt Gérômes, 1924 – die
dekadenteste Regierungszeit zurückgekehrter Monarchen –, findet man das
Genregemälde eines Adligen, der den „Tod des Camoëns“ in Lissabon
schildert, eines „Poeten und Kriegers“, mit zwei trauernden farbigen Frauen
an seinem Totenbett. Das Bild kam irgendwie ins Museum Granet in Aix. Und
siehe: „Die arme Negerin, Fischhändlerin, die mit ihm seinen Schmerz immer
geteilt hatte“, taucht als sitzend schlafende Figur in einem
Cézanne-Gemälde wieder auf, dann aber als Mann, Trauer geronnen zu
Melancholie („Le Noir Scipion“, 1866–68), Schicksal verwandelt in
Charakter. Soeben ist in Amerika die Sklaverei gewaltsam beendet worden.
Genau da, bei diesem nun endlich atmendem Körper des schmalen, dunklen
Mannes, hat Rainer Fetting angeknüpft, mit seinen Bildern von Desmond in
New York.
Von wegen New York: Die Doktorandin heißt Denise Murrell, und dort, an der
Columbia University, entstand die Show, noch etwas steif „Posing Modernity“
genannt, entlang Murrells Pariser Expertisen. Sie ist auch Mitautorin des
umfassenden und detailverliebten französischen Katalogs.
Bis 21. Juli, Musee D’Orsay. Der Katalog kostet 45 Euro
7 Jun 2019
## AUTOREN
Ulf Erdmann Ziegler
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