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# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Lorina Speder: Wenn Licht hörbar und Mu…
Die Sonntagsstimmung begann bereits am Donnerstag mit geschlossenen
Supermärkten und vielen Menschen auf der Straße. Der Himmelfahrtstag lockte
viele BesucherInnen zum Performing Arts Festival, das die Woche ein
überforderndes Programm in der ganzen Stadt aufwies. In der Panke Gallery
führte Ioana Vreme Moser als Coquetta eine Sound-Performance auf, bei der
die Geräusche zu großen Teilen von ihrer Make-up-Routine kamen. Hier waren
Puderdöschen, Wimpernzange und Lippenstift in Handarbeit von der Künstlerin
verkabelt und mit dem Mischpult verbunden. Die Idee, Beauty mit abstrakten
Elektroniksignalen zu charakterisieren, hatte etwas.
So flimmerte es aus den Boxen, wenn der Make-up-Schwamm die Wange berührte.
Das bekam eine eigenwillige Ästhetik, fernab der weichgespülten Werbung für
Kosmetikprodukte. Als Coquetta ihre Wimpern mit der Zange bog, führte die
Bewegung zu einem pulsierenden Bass. Der sich stetig aufbauende
Klangteppich während der Performance kam beim finalen Lippenstift-Auftragen
mit Fiepstönen zu seinem Höhepunkt.
Mit härterem Sound endete das sonnige Wochenende am Sonntag beim Konzert
der Prog-Metal-Band Tool in der Mercedes Benz Arena. Die Karten waren so
schnell ausverkauft, dass ich von meinem Pressebonus Gebrauch machen
musste. Die Zusage für die Akkreditierung kam während der Sound-Performance
am Donnerstag, was ich als Zeichen wertete, die beiden Auftritte in dieser
Kolumne gegenüberzustellen. Meine Erwartungen waren nach dem letzten
Berliner Konzert der Band vor 13 Jahren so hoch, dass ich auf dem Weg zur
Warschauer Straße die Befürchtung bekam, nur enttäuscht werden zu können
und ein für mich prägendes Erlebnis von früher zu entwerten. Um es gleich
vorwegzunehmen – ich hätte mir keine Sorgen machen müssen.
Ich verließ das Konzert ähnlich euphorisiert wie 2006, ungläubig staunend
ob der immersiven Kraft der Performance und des Bühnenbilds, und versuchte
zu verarbeiten, was ich da genau erlebt hatte. Nach den ersten Songs
„Ænema“, „The Pot“ und „Parabol“ und dem nahtlos darin übergehend…
„Parabola“, alle von den letzten drei Tool-Alben, hatten sich die Sinne auf
die Art der Präsentation der Band eingestellt. Die Musiker auf der Bühne
nahm man bei den riesigen Videoleinwänden, der spektakulären Licht- und
Lasershow und der stimmungsvollen Farbgebung auf der Bühne nur vereinzelnd
wahr. Wenn der Frontmann Maynard James Keenan mal im Lichtkegel stand,
reagierte sein spannungsgeladener Körper auf die meditativen musikalischen
Intermezzi oder die druckvollen Bass- und Gitarrenriffs. Der Bühnensound
war glasklar, jedes Zischen der vielen Becken von Drummer Danny Carey
konnte man wahrnehmen.
Das Besondere an Tools Musik war schon immer die Vereinigung des
Unabhängigen. Achtet man drauf, bemerkt man, wie oft die Musiker im Takt
und in der Betonung eigentlich vollkommen losgelöst voneinander spielen.
Und doch passt alles auf magische Weise zusammen und kann gar nicht anders
klingen. In einer anderen Dimension passierte das auch bei dem Konzert –
das Licht, die Videos und die Musik wurden eins.
Tool machte am Sonntag Musik sichtbar und Licht fühlbar. Wie in einem
synästhetischen Erlebnis schaffte die Band es, ihrer Musik eine neue Ebene
zu verleihen, die intim und persönlich war. Anders als die Performance am
Donnerstag, die in kleinem Rahmen stattfand, aber doch keine Nähe aufbauen
konnte, fühlte man hier eine innere Verbundenheit in der Arena, die schwer
zu beschreiben ist. Die Wirkung davon zeigte sich auf dem Nachhauseweg: Wir
waren still feiernd, sinnierend und voller Respekt für diese Band.
4 Jun 2019
## AUTOREN
Lorina Speder
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