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# taz.de -- Demos für ein solidarisches Europa: Von Stacheldraht und Stachelti…
> Bei schönem Wetter lässt in Berlin die Disziplin zu wünschen übrig. Die
> Protestsprüche sind dafür umso kreativer.
Bild: Dafür lohnt sich doch jede Demo: Sonnenschein und eine solidarische EU
Berlin taz | Was ist das volksherrschaftliche Pendant zum Kaiserwetter?
Demowetter. Bei 25 Grad und Sonnenschein ist am Sonntag um zwölf Uhr
mittags noch nicht viel los auf dem Berliner Alexanderplatz. „Ein Europa
für alle. Deine Stimme gegen Nationalismus“ lautet das Motto der
Demonstration, deren Auftakt mit vier Bühnen jetzt beginnen soll.
Wo ist die Bühne, [1][auf der es um Flucht und Migration gehen soll], frage
ich zwei junge Männer in Schwarz, die sich mit Fahnen der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes vor der Shoppingmall Alexa postiert haben. Im
selben Moment biegt ein Wagen um die Ecke, aus dem Ton Steine Scherbens
„Keine Macht für Niemand“ schallt.
Da ist sie, die mobile Bühne, mit Bannern behängt und selbstgemalten
Schildern. „Seebrücke schafft sichere Häfen.“ „Build Bridges Not Walls.…
„Für ein solidarisches Europa.“ „Festung Europa einreißen.“ Einige der
Slogans sind auf Pappschilder gemalt, und Pappschilder tragen auch viele
der Leute, die sich langsam auf dem Alex sammeln.
Berlin halt. Bei schönem Wetter lässt die Disziplin zu wünschen übrig.
„Berlin liegt am Meer.“ Wenn man wissen will, was das Volk denkt, sollte
man seine Plakate lesen.
## „Lieber solidarisch als solide arisch.“
Eine Kleinfamilie trifft ein, Mama, Papa, Tochter, Sohn. Auf dem Schild der
Kleinen, die wohl noch die Kita besucht, steht: „Demokratin in Ausbildung.“
Ihr zwei, drei Jahre älterer Bruder hat sich eine kompliziertere Botschaft
ausgedacht: „Du bist nicht du, wenn du Rassist bist.“
Weil sich alles hinzieht, ist Zeit, kurz zur zweiten Demo an diesem Tag zu
gehen, die vom Rosa-Luxemburg-Platz losziehen wird. Es ist die Glitzerdemo
der vielen, die von goldenen Rettungsdecken geprägt ist, die sachte im Wind
rauschen, und ebenso goldenen Haaren, Schuhen und sogar Faltenröcken. Unter
dem Motto „Unite & Shine“ setzen sich Berliner Kunstinstitutionen und viele
Künstlerinnen und Künstler aus allen Sparten auf dieser wiederkehrenden
Demo für ein Europa der vielen ein.
Sie fordern, was man auf dem großen Banner über dem Portal der Volksbühne
lesen kann: „Die Kunst bleibt frei!“ Angesichts rechtspopulistischer
Angriffe auf die Kunst ist das nicht mehr selbstverständlich. Zuletzt hatte
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer in schlechter
Sachsen-CDU-Tradition die Aktionen des Zentrums für politische Schönheit
mit denen der Identitären gleichgesetzt, wie eine Rednerin beklagt. Das sei
Terror gegen die Kunst. Eine Frau trägt ein Schild: „Lieber solidarisch als
solide arisch.“
## Von der Veränderbarkeit der Welt
Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer ist auch da. Auch er macht
Demohopping, was er richtig findet. „Gut, dass wir heute mit zwei Demos
unterwegs sind“, sagt er zwanzig Minuten später in einer Rede, die er auf
der Ladefläche eines Lkw auf dem Alex hält. Lederer sagt, er kritisiere
Europa dafür, noch nicht freiheitlich und sozial genug, also noch nicht
genug Europa zu sein. Nach ihm tritt ein junger Abgeordneter der Fridays
For Future auf die Bühne und erklärt: „Europawahlen sind Klimawahlen.“ Man
solle seine Stimme für die Kinder der Welt abgeben, die noch nicht wählen
dürfen.
Inzwischen hat sich der Alex mit Menschen gefüllt. Eine bunte Mischung ist
das. Rentnerehepaare, ganz Junge, Mittelalte. Manche ganz bürgerlich im
Sonntagsstaat, die meisten in T-Shirts und kurzen Hosen. Einer trägt nur
sehr kurze Shorts.
Europafahnen sieht man wenige, eine Frau hat sie sich gegen die Sonne um
den Kopf gewickelt, dafür eine Vielfalt von Fahnen, die das breite Bündnis
von Organisationen repräsentieren, die zur Demo aufgerufen haben. Und immer
wieder Schilder: „Neuruppin bleibt bunt.“ „Datteln + Hummus statt
Nationalismus.“ „Weniger Stacheldraht, mehr Stacheltiere.“
Das T-Shirt eines Punks fragt: „Warum schenkt ihr mir kein Bier?“ Wie hatte
der Schriftsteller Ingo Schulze eben vor der Volksbühne gesagt, als er sich
an 1989 erinnerte? „Wer einmal erlebt hat, dass sich die Welt verändern
lässt, hält dies auch ein zweites Mal für möglich. In diesem Sinne: [2][Wir
sind das Volk! We are the people!]“
19 May 2019
## LINKS
[1] /Kunstaktion-zur-Seenotrettung/!5595657
[2] /Musiker-ueber-Missbrauch-durch-Nazis/!5277004
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Schwerpunkt Europawahl
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