| # taz.de -- Zwischen den Zeiten schweben | |
| > In einer alten Fabrikantenvilla in Stahnsdorf wohnen gerade Gegenfüßler. | |
| > Sie sind für wenige WochenTeil einer künstlerischen Zwischennutzung des | |
| > leerstehenden Hauses durch das Kunstteam dimension14 | |
| Bild: Beate Lein-Kunz mit einem aus Steinbuche geschnitzten Ahorn-Propeller bei… | |
| Von Inga Dreyer | |
| Kleine grüne Pflanzen wachsen in gläsernen Kolben, die durch pastellfarbene | |
| Schnüre miteinander verbunden sind. Die Bildhauerin Beate Lein-Kunz aus | |
| Kleinmachnow beschäftigt sich mit einem Phänomen, das sie fasziniert: den | |
| Samen von Ahornbäumen, die wie kleine Propeller aussehen. „Die Natur wirft | |
| sie zu Milliarden ab und doch ist jedes individuell“, sagt sie und nimmt | |
| einen braunen, halb transparenten Propeller in die Hand. „Am besten | |
| gefallen sie mir, wenn sie am Ende des Sommers so ausgefranst sind.“ | |
| Zwei Wochen hatten Beate Lein-Kunz und zehn andere Künstlerinnen und | |
| Künstler Zeit, ihre Arbeiten in einer alten Fabrikantenvilla im südwestlich | |
| von Berlin gelegenen Stahnsdorf zu entwickeln. Von der Friedhofskapelle bis | |
| zur Malzfabrik: Jedes Jahr bespielt die Gruppe dimension14, früher | |
| ArtEvent, mit ihren raumbezogenen Kunstprojekten Orte rund um Stahnsdorf, | |
| Teltow und Kleinmachnow. An den kommenden beiden Wochenenden ist die | |
| Ausstellung geöffnet. | |
| In der „Villa Pardemann“ waren sie vor zwei Jahren schon einmal zu Gast. | |
| Hinter hohen Bäumen verborgen steht das verwunschene Gebäude, von dessen | |
| Fassade der Putz bröckelt. Der Fabrikant Albert Pardemann hat die schmucke, | |
| aber bescheiden wirkende Villa 1910 gebaut. Heute gehört das Haus der | |
| Gemeinde, war früher vermietet, aber stand bereits 2017 leer. „Die Substanz | |
| des Hauses ist gut“, betont die Künstlerin Frauke Schmidt-Theilig. Aber | |
| wenn nichts passiere, werde es langsam verfallen. | |
| Mehrmals sollte die Villa schon an einen privaten Investor verkauft werden, | |
| doch in den Reihen der Gemeindevertreter gab es Widerstand. Auch die | |
| Volkshochschule war im Spiel, wollte auf dem Grundstück jedoch neu bauen. | |
| Ginge es nach der Gruppe dimension14, würde die Villa auch langfristig für | |
| kulturelle Zwecke genutzt werden. Denn sie haben festgestellt: „In | |
| Stahnsdorf gibt es nichts – bis auf einen kleinen Seniorentreff“. | |
| ## Kultur fehlt dem Ort | |
| Mit ihren temporären Aktionen wollen die Künstlerinnen und Künstler, die | |
| aus dem Landkreis Potsdam-Mittelmark, aber auch aus Berlin kommen, auf die | |
| Situation solcher Gebäude aufmerksam machen. Sie hoffe, während der | |
| Ausstellung mit verschiedenen Akteuren über die Zukunft des Hauses ins | |
| Gespräch zu kommen, erzählt Frauke Schmidt-Theilig. | |
| Das diesjährige Thema heißt „Schweben“ – denn auch die Villa befindet s… | |
| in der Schwebe. Den Begriff übersetzen die Künstlerinnen und Künstler in | |
| Malerei, Skulpturen und Installationen. Frauke Schmidt-Theilig hat an | |
| großformatigen Bildern gearbeitet. Sie zeigen bewegte Motive wie Engel oder | |
| ein Porträt, das wie von einem Schleier überzogen scheint. „Das ist eine | |
| Frau, die nicht mehr lebt, aber trotzdem noch da ist“, denkt die Malerin | |
| über ihr Motiv nach. | |
| Mit Zwischenwelten setzen sich auch andere Gruppenmitglieder auseinander. | |
| Unter ihnen finden sich Josina von der Linden, Karl Menzen, Susanne Ruoff, | |
| Katrin Schmidbauer und Hartmut Sy sowie die diesjährigen Gastkünstler | |
| Michael H. Rohde und Tessa de Oliveira Pinto. Sue Hayward, die aus | |
| Australien stammt und in Teltow lebt, hat aus Papieren und Bienenwachs | |
| Beine geformt, die sie umgekehrt aufstellt. Es scheint, als würden die Füße | |
| aus dem Boden gen Zimmerdecke wachsen. Damit spielt sie auf den Begriff der | |
| Antipoden an, wie die „Gegenfüßler“ auf der anderen Seite der Erde genannt | |
| werden. Wenn man aus einem anderen Land komme, stehe man nie richtig mit | |
| den Füßen auf dem Boden, erklärt die Künstlerin. | |
| In der Schwebe befinden sich auch Menschen auf der Flucht. Anke Fountis hat | |
| in das ehemalige Kinderzimmer der Villa ein Bettchen gestellt und eine | |
| Puppe hineingelegt. Sie ist dem bekannten Bild des ertrunkenen syrischen | |
| Flüchtlingskindes Alan Kurdi nachempfunden, der 2015 ertrunken in der | |
| Türkei an den Strand gespült worden war. Momentan höre man nicht viel | |
| darüber, was an den Grenzen Europas los sei, sagt Anke Fountis. „Es geht | |
| darum, dass wir das nicht vergessen“, betont sie und verweist darauf, dass | |
| in der Villa Wohnraum leerstehe. | |
| Die Vorbereitungen zeigten dem Künstlerteam, dass es nicht mehr so viele | |
| leerstehende Räume gibt, die künstlerisch bespielt werden könnten, wie noch | |
| vor zehn Jahren, erzählt Frauke Schmidt-Theilig. „Das wird tatsächlich | |
| immer weniger.“ Ein Grund mehr, die vorhandenen gut zu nutzen. | |
| Bis 26. Mai, Fr.–So. 15–19 Uhr oder nach telefonischer Vereinbarung unter | |
| Tel.: 0177 52 77 704, Villa Pardemann, Ruhlsdorfer Str. 1, Stahnsdorf | |
| 15 May 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Inga Dreyer | |
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