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# taz.de -- Seitenblick auf Randfiguren
> Die 65. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen zeigen Vergessenes und
> Werkschauen von Eva Stefani und Alexander Sokurov zwischen Probierlust
> und Experiment
Bild: „The Degraded“ von Alexander Sokurov 1980)
Von Barbara Wurm
Flugstreikwarnung hin, DB-Verspätung her. Die Ankunft verzögert sich. So
geht der angebliche Festivalhit schon zu Ende, Einlass erst wieder zur
Pause. Jede*r kennt die Spielregeln in der Oberhausener Lichtburg. Der Film
heißt „La fórmula secreta“, gemacht hat ihn der Mexikaner Rubén Gámez 1…
wiedergefunden Tobias Hering, für den er „zornige Kapitalismuskritik mit
einer symbolisch-psychedelischen Filmsprache verbindet“. Schon die Urahnen
von Festivalleiter Lars Gass, Hoffmann & Wehling, konnten der
geheimnisvollen Formel etwas abgewinnen und erfanden für sie ein Kuriosum:
den „Preis für den verkannten Film“.
Zum Glück gibt es „re-selected“ noch zweimal. Einmal mit dem letzten
Mohikaner des linken Films: Želimir Žilnik rezitierte gut gelaunt aus jenem
Manifest, in dem er sich selbst der Heuchelei bezichtigt und das mitten in
seiner legendären Schwarze-Wellen-Demontage „Crni Film“ als Schriftzug
auftaucht. „Film – Waffe oder Scheiße?“, lautete schon 1971 die Frage. D…
zweite Gelegenheit, der wundersamen Verbindung von Politik- und
Filmgeschichte mit dem verqueren Heute beizuwohnen, bietet der von
klassisch-ägyptischer Off-Kommentar-Ironie begleitete „Rat eines weisen
Mannes“ („Waseyat Ragol Hagiem“, 1976), ein von Eseln (im nunmehr
nostalgischem Rotstich) verschöntes Edukationsprojekt, das die
Selbstverständlichkeit des im dokumentarischen Bild offenbarten
Aufklärungswillens mit der Selbstverständlichkeit des im Kommentar
verankerten staatlichen Paternalismus überlagert.
Von solchen Bild-Ton-Scheren, wie man das einst nannte, handelt sehr
bewusst, nonchalant und bodenlos auch das filmische Universum des
Nordrhein-Westfalen Rainer Knepperges (solchen Esprits sollte man mal eine
Berlinale-Retro überantworten). Sprachspielversiert wandte sich der
Korschenbroicher Anagrammen seines Namens zu und verfasste mit „Serge
Rippenanker“ ein parafilmisches Titelexperiment (2009), das er als „Exzess
der Eitelkeit“ betrachtet. Er hätte mit seinem Aldi-Computer alle Effekte,
die dieser bot, übereinandergeschichtet, erzählt er selbstbelustigt bei der
Präsentation seines Programmes „NRW in Person“, das nicht nur eigene
Arbeiten umfasste – sehr schön etwa „Vielfalt erforschen“ (2008) über d…
graduellen Verlust von Betonobjekten im Alltag, der Kurzwestern „Das nasse
Grab der Grenzbanditen – Pulverdampf ist kein Parfum“ (1998) oder auch
„Tour Eifel“ (2000), eine Wie-Männer-miteinander-reden-Etüde –, sondern
mit Filmen wie Fritz Illings im Westberlin von 1964 entstandenen „Sie
heirateten in Gretna Green“ auch eine tolle Entdeckung machte.
Beim Filmemachen macht man Fehler. Doch – so Knepperges fast altersweise –
diese Fehler zu korrigieren, wäre sicherlich der größte Fehler. Spätestens
hier deutet sich eine fröhlich produktive Fehlerkunde als (persönliches)
Leitmotiv des Festivals an, das freilich unterschiedliche Tonarten
durchzieht – besonders in Bezug auf die beiden filmischen Highlights des
Festivals: zwei Profile.
Das kleinere war der griechischen Regisseurin und Poetin Eva Stefani
gewidmet, die – angesprochen auf ihr bevorstehendes Ausstellungsprojekt bei
der Biennale in Venedig – es als möglichen Fehler bezeichnete, sich
vermehrt im Visual-art-Kontext zu präsentieren, wo sie doch eigentlich vom
Film komme. Genuin filmisch sind nicht nur Stefanis intime Dokumentarfilme
über „Menschen am Rande“: „Athinai“ (1995) – die Erkundung jener
streunenden Nomaden und strandenden Obdachlosen rund um den Athener
Hauptbahnhof, die eine außergewöhnliche Dialektik von
beobachtend-freundschaftlicher Nähe und respektvoller Distanz entwickelt –,
„The Box“ (2004) – die wunderliche Liebe einer alten Dame zum Fernseh-Ima…
eines Nachrichtensprechers – oder „What Time Is It?“ (2007) über die nic…
minder innige Beziehung zweier älterer Männer. Stefanis unerschöpfliche
Probierlust und handwerklich wie sinnlich überzeugende Qualität belegen
auch ihre kürzeren Super-8- und/oder Found-Footage-Filme, Arbeiten wie
„Virgin’s Temple“, die – um ihre eigenen Assoziationsketten aufzugreife…
längst aus dem Parthenon (dem Jungfrauengemach) in den Panthenon des
feministischen Filmkanons wandern müssten.
Last, but not least handelten überraschenderweise auch die Narrative des
alten Meisters aus Russland vom Œeuvre als produktiv fortgesetzter
Fehlerkette. Überhaupt gab sich Alexander Sokurov, aus dessen unzähligen
Filmen Christiane Büchner die frühen (meist dokumentarischen, aber im
Grunde überaus experimentellen) Arbeiten der Zeit der späten 1970er bis
Mitte der 1990er Jahre zu sechs großartigen Programmen zusammengestellt
hat, sehr auskunftsbereit. Wer hier auf die oft eigenwilligen Diskurse und
notorischen Stichworte „Putin, der bessere Deutsche“ (weil er „Faust“
förderte) oder „Frauen dominieren Männer“ (als quasi angeborene Neigung zu
Sexualisierung) anspringt wie Pawlows Hund, hat den Punkt verfehlt
(Fehlerkunde).
Sokurovs Denken mag verquer sein, aber er spricht geradeheraus und meint es
ehrlich. Über seine Filme spricht er kaum. Sie sprechen für sich, werfen
ausgedehnte Seitenblicke auf Randfiguren („Marija“, 1978–88), menschliche
Schwächen von Politikern (Jelzin in „Primer intonacii“ und „Sovetskaja
elegija“), gießen Wahrnehmung und Ausdruck in „Elegien“ – russische,
einfache, östliche. Mit „Spiritual Voices“ („Duchovnye golosa“, 1995) …
einer der längsten Filme des Kurzfilmfestivals. Ein Fehler im System als
Erfahrungsraum: Genieverehrung hier (Mozart), Mitleidsbekundung da
(einfache Soldaten). 327 Minuten Perzeptionseuphorie an der
tadschikisch-afghanischen Grenze. Kalt-heiß-Pakete als Filmuniversum.
Mitten in Oberhausen.
9 May 2019
## AUTOREN
Barbara Wurm
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