# taz.de -- Die Russen haben Glück verdient | |
> Der Regisseur Witali Manski hat erschütterndes Material über den Aufstieg | |
> Putins gesammelt | |
Von Barbara Wurm | |
Geschenke bringt in Russland nicht der Weihnachtsmann, sondern „Väterchen | |
Frost“. Zum Jahresabschluss 1999 hat er sich etwas Besonderes einfallen | |
lassen: einen neuen Präsidenten. Familie Manski – Papa Witali (Regisseur), | |
Mama Natalja (Produzentin) und die zwei Töchter – sind wie die meisten | |
Landsleute gerade in Feierlaune, als der alte, erste Präsident Boris Jelzin | |
am „letzten Tag dieses Jahrhunderts“, wie er selbst nicht ohne Wehmut | |
konstatiert, seinen Rücktritt bekannt gibt und sein Volk um Vergebung dafür | |
bittet, dass ihm der Sprung „von der grauen, totalitären Vergangenheit in | |
eine helle, reiche und zivilisierte Zukunft“ nicht gelungen sei. | |
Er übergebe zu diesem Zweck an einen anderen, denn: das russische Volk habe | |
„Glück verdient, Glück und Beruhigung“. – „Was für ein schmutziger T… | |
meint da Frau Manski empört, „uns diese graue stille Maus unterzujubeln. | |
Wird die jetzt etwa die Neujahrsansprache halten?!“ Ein Klimawandel deutet | |
sich an. | |
Um die graue Maus (den Wolf im Kostüm der Maus) geht es in Manskis Film | |
„Putins Zeugen“. Gemeint ist selbstredend Wladimir Putin, ein damals, so | |
möchte man meinen, unbeschriebenes Blatt. Aber das war er gar nicht, wie | |
Manskis Home-Video-Material belegt, das der mittlerweile aus politischen | |
Gründen emigrierte Regisseur im Jahr 2018 neu sichtet – und dabei in ein | |
Permanentstaunen der Prophezeiungen versetzt. Denn selbst seine Tochter | |
weiß den neuen Machthaber bereits an seinem ersten Tag im Amt des | |
(Interims-)Präsidenten, am 31. 12. 1999, historisch einzuordnen: ein neuer | |
Mao Zedong, ein Diktator mit starker Hand. | |
Witali Manski konnte trotz der familiären Disposition nicht widerstehen und | |
drehte damals eine Art Werbefilm (mit Putin, fürs Staatsfernsehen) für die | |
Präsidentschaftswahlen im März 2000. „Putins Zeugen“, der aktuelle Film, | |
ist ein Wiedergutmachungsversuch. Ein Footage-Film als Erkenntnis-, aber | |
auch Bekenntnisfilm. Denn, wie Manski, der die Revision seines eigenen | |
Materials als akribische Detailsuche aus heutiger Sicht betreibt, traurig | |
aus dem Off resümiert: „Auch ich zahlte den persönlichen Preis dafür, dass | |
ich naiverweise dachte, ich sei nur Zeuge. Das Leben zeigte, dass | |
schweigsame Zustimmung aus Zeugen Kollaborateure macht. Wir machten uns | |
alle freiwillig zur Geisel eines Menschen, der uns in jene helle Zukunft | |
geführt hat, die stark an die dunkle Vergangenheit erinnert.“ | |
Die unfassbaren Dimensionen dieses Endes der einstigen Utopie vermisst | |
„Putins Zeugen“, wobei der gewichtigste Gradmesser der Ex-Präsident ist, | |
Jelzin. Manski dreht damals auch bei ihm zu Hause: Während nach der | |
glorreichen Wahl des „eigenen“ Kandidaten noch die Champagnerkorken knallen | |
und Jelzin seinen Garanten „für ein freies Russland“ und „eine freie | |
Presse“ feiert, verzieht er zu Putins erster eigenständiger | |
Neujahrsansprache kaum noch die Miene. Das Blatt hatte sich schon damals | |
gewendet: Als neue Hymne wurde die alte sowjetische reinstalliert (mit | |
anderem Text), nicht auf die Trikolore, sondern auf Hammer & Sichel wird | |
die Armee vereidigt. „Krasnenko“, stammelt Jelzin erschöpft und angewidert: | |
„rot gefärbt“ ist das Land nun wieder. | |
An „Putins Zeugen“ erschüttert alles. Wie der einstige unmittelbare Stab, | |
die politische Elite des Landes, sukzessive eliminiert wurde. Wie | |
schlau-charmant Putins Herrschaftsratio tönt, hier: direkt in die Kamera. | |
Und wie bereit alles dafür war: „Der Staat ist wie ein Garten“, sagt der | |
Gatte von Putins alter Klassenlehrerin, die für den PR-Film besucht wird, | |
„damit etwas Anständiges wächst, muss Gras vernichtet werden.“ „So werd… | |
wir’s machen.“ | |
Läuft ab heute im Kino Krokodil | |
9 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Barbara Wurm | |
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