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# taz.de -- Dossier Flughafen Istanbul: Ein wasserdichter Deal
> Das öffentlich-private Betreibermodell, mit dem der neue Flughafen
> umgesetzt wurde, gibt Firmen finanzielle Sicherheiten – auf Kosten der
> Steuerzahler.
Bild: Wenn weniger Passagier*innen als erwartet den neuen Flughafen nutzen, zah…
Der neue Istanbuler Flughafen wurde nicht nur gebaut, weil er politisch
gewünscht war. Tatsächlich dominierte über die politischen Lager hinweg die
Wahrnehmung, dass Istanbul einen weiteren Flughafen braucht, da der
Atatürk-Flughafen überlastet war. Zwar wurde dort die 2016 auf 80 Millionen
erhöhte Passagierkapazität nicht ausgeschöpft; im Jahr 2018 nutzten 64
Millionen Fluggäste den Atatürk-Flughafen. Dennoch berichteten
Flughafen-Mitarbeiter*innen immer wieder, dass der Flughafen die Belastung
nicht mehr stemmen könne.
Der internationale Luftfahrtverband IATA sah 2017 voraus, dass die Türkei
in puncto Passagierzahlen bis 2036 Länder wie Frankreich und Italien
überholen, somit zu den zehn größten nationalen Märkten im Luftverkehr
aufschließen und in Zukunft 200 Millionen Fluggäste befördern würde.
Expert*innen hielten einen neuen Flughafen in Istanbul nicht nur für
notwendig, sondern auch für eine gute Gelegenheit, um die Wirtschaft
anzukurbeln. Der neue Flughafen und die dazugehörende kleine Stadt sollten
der türkischen Wirtschaft bis 2025 ein Wachstum von rund vier Prozent
bescheren – so das „wahrscheinlichste Szenario“ einer Studie des Thinktan…
EDAM aus dem Jahr 2016.
Diese Rechnungen wurden allerdings für eine andere Türkei gemacht. Im
letzten Quartal 2018 schrumpfte die türkische Wirtschaft und die türkische
Lira verlor unaufhaltsam an Wert. Dadurch wurde die Zahlung von
Kreditzinsen erheblich erschwert. Auch die Baubranche steckt in der
Rezession. Unter diesen Bedingungen erscheint es unwahrscheinlich, dass das
alte Kalkül aufgeht. Auf Nachfrage von taz.gazete, ob der Bericht von 2016
noch gültig sei, reagierte EDAM nicht.
Über den neuen Istanbuler Flughafen kursieren derweil pessimistische
Szenarien: Ein Bericht des Zentrums für ökonomische und soziale Studien der
Bahçeşehir-Universität aus dem Jahr 2013 geht davon aus, dass mit dem
Vertrag, der für den Flughafenbetrieb abgeschlossen wurde, in den kommenden
25 Jahren nur schwerlich Profit eingebracht werden könne.
## Wer baut den Flughafen mit welchem Geld?
Mit mehr als 26 Milliarden Euro ist das Flughafenprojekt die größte
öffentliche Ausschreibung in der Geschichte der Republik Türkei. Den
Zuschlag für den Bau erhielten fünf Bauunternehmen, die unter der AKP die
meisten öffentlichen Ausschreibungen bekommen haben: Cengiz, Kolin, Kalyon,
Limak und Mapa. Auch das deutsche Unternehmen Fraport interessierte sich
für das Projekt Istanbul Airport – am 3. Mai 2013 war der Betreiber des
Frankfurter Flughafens unter den Mitbietern.
Das Konsortium Fraport-TAV bot zunächst 20 Milliarden Euro, erhöhte danach
aber nicht mehr. Jetzt, wenige Tage vor der Eröffnung des Megaprojekts,
sagte ein Sprecher von Fraport taz.gazete, man sei weder froh noch traurig
darüber, die Ausschreibung nicht gewonnen zu haben: „Wir haben einen
Businessplan. Die Ausschreibung haben wir nicht bekommen, weil sie über
unsere Kalkulationen hinausging. Wir wünschen dem Projekt und seinen
Betreibern viel Erfolg.“
Die fünf türkischen Unternehmen, die mit der staatlichen
Flughafen-Betriebsbehörde DHMI einen Vertrag für den Bau des dritten
Istanbuler Flughafens unterschrieben haben, gründeten 2013 das Konsortium
IGA. Dieses übernimmt die gesamten Kosten für den Bau und soll den
Flughafen 25 Jahre lang betreiben. Zur Abmachung gehört, dass IGA den
gesamten Gewinn in dieser Zeit einstreicht und im Gegenzug über eine
Milliarde Euro jährliche Pachtgebühr bezahlt.
Den ursprünglichen Berechnungen zufolge sollte für den neuen Flughafen, wie
Erdoğan mehrfach betonte, „kein Cent aus der Staatskasse“ fließen. Die
Einzelheiten des Vertrags deuten allerdings auf etwas anderes hin. Denn den
Löwenanteil des Investitionskredits für IGA – über 6 Milliarden Euro –
brachten staatliche Banken auf. Zudem muss die staatliche
Flughafen-Betriebsbehörde DHMI einspringen, falls das IGA-Konsortium diesen
Kredit nicht zurückzahlen kann. Auch garantierte die DHMI dem Konsortium
für die ersten 13 der vereinbarten 25 Betriebsjahre ein jährliches
Passagieraufkommen, das Einnahmen von 6,3 Milliarden Euro entspricht. Auf
Passagierzahlen umgerechnet sind das 90 Millionen Fluggäste pro Jahr. Wird
dieses Volumen nicht erfüllt, muss der Staat für die finanziellen Verluste
des IGA-Konsortiums aufkommen.
## Finanzielles Risiko für die Steuerzahler*innen
Bei anderen Projekten, die mit diesem Betreibermodell umgesetzt wurden, hat
die Staatskasse bereits rote Zahlen geschrieben – und dabei private
Unternehmen mit dem Geld der Steuerzahler versorgt. Laut Verkehrsminister
Mehmet Cahit Turhan zahlte der Staat für die dritte Bosporusbrücke
Yavuz-Sultan-Selim und die Osman-Gazi-Brücke über den Golf von Izmit allein
im vergangenen Jahr 278,5 Millionen Euro an Privatunternehmen.
Zugleich wird die Staatskasse dem Flughafenbetreiber TAV Entschädigung
zahlen, mit dem vertraglich vereinbart war, den Atatürk-Flughafen bis 2021
zu betreiben. Für den Schaden, der dadurch entsteht, dass der
Atatürk-Flughafen für kommerzielle Flüge geschlossen wird, werden die
Steuerzahler*innen aufkommen.
Die vertragliche Konstruktion für den neuen Flughafen ist also in jedem
Fall ein wasserdichtes und auch lukratives Arrangement für die fünf großen
Bauunternehmen, die das IGA-Konsortium bilden.
Der CHP-Abgeordnete Aykut Erdoğdu geht gar so weit, dass er die
Ausschreibung als die „zweitgrößte Korruptionsaffäre in der Geschichte der
Türkei“ bezeichnet. Er behauptet, für die Bevölkerung sei bereits ein
Schaden von 2,5 Milliarden Euro entstanden, weil nach der Ausschreibung die
Menge des benötigten Betons verringert worden sei. Die im Vertrag
festgelegten Kosten für das Baumaterial seien jedoch nicht entsprechend
angepasst worden. Verkehrs- und Infrastrukturminister Mehmet Cahit Turhan
erklärte wiederum am 23. März 2019, die Pacht, die IGA jährlich zahlt, sei
inzwischen auf 822 Millionen Euro gefallen. Nachdem die Einnahmeprognosen
hinter den Erwartungen zurückblieben, änderten sich auch die Konditionen
des Vertrags.
Die Aufnahme des Regelbetriebs am neuen Istanbuler Flughafen wurde seit
Oktober 2018 mehrmals verschoben. Und bis März 2019 wurde der Flughafen
bisher nur von 400.000 Passagieren genutzt. Die Kapazität von 90 Millionen
Passagieren pro Jahr scheint weit entfernt und kaum zu erreichen. 2019 wird
wohl ein teures Jahr für den Steuerzahler in der Türkei werden.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
Dieser Text ist Teil des multimedialen Dossiers zum Flughafen Istanbul. Mit
Grafiken, Videos, Reportagen und Interviews beleuchtet taz gazete die
Folgen des Megaprojekts für Menschen, Umwelt und Wirtschaft. Lesen Sie mehr
unter [1][taz.de/flughafen-istanbul]
18 Apr 2019
## LINKS
[1] https://gazete.taz.de/ist/de/
## AUTOREN
Ali Çelikkan
## TAGS
Politika
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Türkei
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