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# taz.de -- Die spirituelle Hülle des Menschen
> Eine Ausstellung in der Akademie der Künste widmet sich der
> Innenarchitektin Eileen Gray (1878–1976), einer Pionierin der Moderne,
> die unter anderem Design-Dauerbrenner wie den Tisch E.1027 geschaffen hat
Bild: Eileen Gray, Paris, 1926
Von Renata Stih
Die Moderne war keine Erfindung des Bauhauses, wie es im Hype des
Bauhausjahres 2019 scheinen mag. Sie war vielmehr eine gesamteuropäische
Bewegung, die, bedingt durch neue technologische Entwicklungen und soziale
Bedürfnisse, ein völlig anderes Verständnis von Kunst, Architektur, Design,
Mode, Musik, Film, Fotografie hervorbrachte. Die kreativen Zentren
entstanden teils unabhängig voneinander, teils in engem Austausch
miteinander und zu dieser Phase des beginnenden 20. Jahrhunderts, zwischen
den beiden Weltkriegen, gab es noch viel zu entdecken.
Das zeigt eine Ausstellung in der Akademie der Künste am Pariser Platz, die
sich mit der irischen Designerin und Architektin Eileen Gray (1878–1976)
und ihrem Haus E 1027 befasst. Die Ausstellung ist ein Projekt, das
Wilfried Wang, Professor an der Architekturfakultät der University of
Texas, mit Student*innen erstellt hat. Als praktische Studie im
Zusammenhang mit einer umfassenden, wissenschaftlich abgesicherten
Restaurierung des Hauses wurde der „Master Bedroom“ (Schlafzimmer) des
Hauses E.1027 bis ins Detail 1:1 nachgebaut. Während die berühmten
männlichen Architekten dieser Zeit gern für betuchte Auftraggeber große
Villen bauten, versuchte Eileen Gray, auf kleinstem Raum Komfort und
Ästhetik zu verbinden, und machte sich auch zeitlebens Gedanken zum
sozialen Wohnungsbau.
Gray war eine faszinierende Persönlichkeit, ein Freigeist, eine
intellektuell wie finanziell unabhängige Querdenkerin, mochte Männer und
Frauen, Technik, Autos, und Flugzeuge (sie war eine der ersten Frauen, die
in einem Flugzeug flog), Schiffe und Reisen. Als Designerin revolutionierte
sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts unsere Vorstellung vom alltäglichen
Leben grundlegend. Denn für sie ging Wohnen nicht mehr, wie in bürgerlichen
Kreisen üblich, in Repräsentation auf. In einem charakteristischen
Zusammenspiel von Chrom, Stahlrohr und Glas schuf sie modernes, flexibles,
anpassungsfähiges Mobiliar.
Ihre Design-Erfindungen sind sowohl schön als auch praktisch. Einige ihrer
Kreationen sind so berühmt, so allgegenwärtig, dass sie unverzichtbar
scheinen. Wer kennt nicht den Tisch E.1027 mit dem höhenverstellbare
Chromgestell, der Auflagefläche aus Glas, geformt wie ein Tablett, dem
gleich groß gerundeten, offenen Stellfuß, so flach, dass man ihn unters
Bett und den Tisch samt Frühstück bequem zu sich ziehen kann?
Diesen Beistelltisch E.1027 schuf Eileen Gray für eine der berühmtesten
Privatresidenzen des 20. Jahrhunderts, das „maison en bord de mer“ (Haus am
Meeresufer), ebenjenes Haus E 1027. 1926/29 in Roquebrune-Cap-Martin in
Südfrankreich gebaut und damit fast zeitgleich mit dem Bauhausgebäude in
Dessau (1925/26), war auch die gesamte Inneneinrichtung von ihr entworfen,
wobei sie von „Campingstil“ sprach. Zur Verwendung kamen stabiles,
formbares und preiswertes Stahlrohr, Aluminiumblech, Pergament und Kork.
„Selbst in einem kleinen Haus muss man in der Lage sein, frei und
unabhängig zu bleiben. Man muss sich allein fühlen, wenn man allein sein
will. Deshalb haben wir im Haus E.1027 Wände versetzt, um zu verhindern,
dass Türen sichtbar werden“, schrieb Eileen Gray, die nur wenige Monate in
der Villa lebte.
Sie hatte das Haus auf eigene Kosten für ihren damaligen Liebhaber, den
rumänisch-französischen Architekturkritiker Jean Badovici, gebaut, der auch
die Zeitschrift L’Architecture Vivant herausgab. Badovici war mit Le
Corbusier befreundet, der in den späten 1930er Jahren im Haus wohnte und
sieben Wände mit bunten, semiabstrakten, erotisch angehauchten Gemälden
versah. Eileen Gray sah darin „einen Akt von Vandalismus“. Sie wollte
fortan mit dem Haus nichts mehr zu tun haben und zog in ihr neues Haus bei
Castellar.
Paradoxerweise und damit patriarchalem Denkmuster entsprechend ist es ganz
wesentlich diesen Bildern zu verdanken, dass das marode Haus Jahre später
nicht abgerissen wurde. Undenkbar, die Wandgemälde eines Le Corbusier zu
zerstören! Eileen Gray hatte noch zu ihren Bauten angemerkt: „Ein Haus ist
keine Maschine zum Leben. Es ist die Hülle des Menschen, seine Erweiterung,
seine Befreiung, seine spirituelle Ausstrahlung.“
Bis 10. Juni, täglich 10 bis 20 Uhr, Akademie der Künste
24 Apr 2019
## AUTOREN
Renata Stih
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