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# taz.de -- Zurück nach Italien
> In Deutschland werden pro Tag durchschnittlich 64 Geflüchtete
> abgeschoben, 25 davon nach dem Dublin-II-Verfahren. Bremen macht fleißig
> mit und schiebt trotz öffentlichen Widerstandes die beiden Refugees
> Momodou B. und Godstime O. ab. Ihre Schicksale stehen nicht im luftleeren
> Raum, sondern entlarven den gängigen Rassismus
Bild: Schwierige Verhältnisse: Geflüchtete vor einer Obdachlosenunterkunft in…
Von Cornelius Runtsch
Der Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel: Die meisten Geschäfte sind noch
geschlossen und die meisten Reisenden schlurfen verschlafen durch die
Abflughalle. Dann durchbrechen die Rufe einer kleinen Gruppe
Demonstrant*innen die Stille an diesem Freitagmorgen Ende März.
Auf der Balustrade der ersten Ebene der Halle hat sich ein gutes Dutzend
Aktivist*innen versammelt. Auf ihren zwei mitgebrachten Bannern steht „We
are Bremen! We are here to stay!“ und „Hast du den richtigen Pass für
…Respekt? …Sicherheit? …Menschlichkeit?“. Ihre Parole „Kein Mensch ist
illegal, Bleiberecht überall!“ hallt in der leeren Abfertigungshalle wider.
Dann ergreift eine junge Aktivistin der angereisten Demonstrant*innen der
Seebrücke Bremen, der Bremer Black Students Union (BSU) und des
Aktionsbündnisses „Together we are Bremen/Shut down Gottlieb Daimler Straße
Camp“ das Wort. Lautstark verkündet sie, dass am Flughafen Hamburg vor
einigen Minuten eine Eurowings-Maschine gestartet sei.
Weiter kommt sie allerdings nicht, denn eine Frau von der Airport Security
stößt die junge Frau unwirsch zur Seite. Schützend stellt sich eine weitere
Demonstrantin dazwischen. Mit Mühe und Not kann die attackierte Frau noch
sagen, dass in der Eurowings-Maschine ein Geflüchteter aus Bremen sitzt,
der nun nach Italien und in die Obdachlosigkeit abgeschoben wurde.
Festgehalten sind die Szenen auf dem offiziellen Twitter-Account von
„Together we are Bremen“ (@WeAreBremen). Trotz der Kürze steht dieses Video
sinnbildlich für eine deutsche Abschiebepraxis, die mittlerweile Alltag ist
– in Bremen wie anderswo.
2018 wurden auf dem Luft-, Land- und Seeweg insgesamt 23.617 Geflüchtete
von Deutschland aus abgeschoben. Das sind rund 64 Abschiebungen pro Tag,
wie aus einer Kleinen Anfrage von der Linken an die Bundesregierung
hervorgeht. Ein nicht unerheblicher Teil davon – 9.209 Personen insgesamt –
waren Abschiebungen im Rahmen der Dublin-II-Verordnung. Diese Verordnung
sieht eine Abschiebung in ein anderes EU- oder Schengen-Land vor, sofern
ein*e Geflüchtete*r dort zum ersten Mal registriert wurde.
Der größte Teil dieser Abschiebungen erfolgt nach Italien, das für viele
Geflüchtete der Ort der ersten Ankunft nach der Überfahrt über das
Mittelmeer ist. Das südeuropäische Land ist allerdings bereits seit Jahren
überfordert mit der adäquaten Versorgung und Unterbringung der
Asylsuchenden.
Viele Geflüchtete werden selbst mit einem anerkannten Flüchtlingsstatus von
den italienischen Behörden vor die Tür gesetzt, Obdachlosigkeit und extreme
Armut sind mehr Regelfall als Ausnahme. Im März urteilte dazu der EuGH in
zwei Grundsatzurteilen und stellte fest, dass Deutschland trotz allem
weiter nach dem Dublin-II-Verfahren in Länder wie Italien abschieben darf,
auch wenn die Geflüchteten dort in „großer Armut“ leben müssten. Erst we…
„extreme materielle Not drohe“, sei eine Rückführung ausgeschlossen.
Beurteilen müssten dies wiederum deutsche Verwaltungsgerichte.
Nun reihte sich auch Bremen in diese unrühmliche Praxis ein. Am 28. Februar
wurde der Senegalese Momodou B. auf dem Weg zu einem Supermarkt in Hamburg
von der Polizei kontrolliert und in Bremen in Abschiebehaft gesteckt.
Momodou ist ursprünglich vor fünf Jahren als unbegleiteter minderjähriger
Flüchtling in Italien registriert worden, doch zog es ihn aufgrund der
dortigen Bedingungen weiter nach Bremen, wo er unter anderem Teil des
Aktionsbündnisses „Together we are Bremen/Shut down Gottlieb Daimler Straße
Camp“ wurde.
Seine Inhaftierung im Polizeipräsidium in der Vahr mobilisierte viele
Aktivist*innen und Unterstützer*innen, die in dem darauf folgenden Monat
wöchentlich vor dem Gebäude demonstrierten und die sofortige Freilassung
Momodous forderten.
Unter anderem mobilisierten sich Gruppen wie „Seebrücke“, die „Black
Students Union Bremen“, die „linksjugend [‚solid]“ und die
Flüchtlingshilfeorganisation „Karawane“. Auch der Bremer Landesverband der
Partei Die Linke forderte einen Stopp der Abschiebung.
Aus der Haft selbst berichtete Momodou B. von zu wenigen Essensportionen
sowie von einer unzureichenden medizinischen Versorgung. Auch wurden die
Aktivist*innen dort aufmerksam auf einen weiteren Geflüchteten, der in der
Vahr schon seit sechs Wochen in Abschiebehaft gesessen hatte: Godstime O.
Auch er sollte wie Momodou nach Italien abgeschoben werden. Dass Godstime
zusammen mit seiner Bremer Freundin ein Kind erwartete, schien für die
Bremer Polizeibehörde kein Grund zu sein, die Abschiebung zu überdenken.
Trotz des lautstarken Protests konnte Momodous Abschiebung am 29. März
nicht verhindert werden. Am Abend zuvor trafen sich nochmals alle Bündnisse
zu einer großen Kundgebung vor dem Polizeipräsidium in der Vahr, in dem
Momodou B. und Godstime O. über einen Monat festgehalten wurden. Die
Aktivist*innen hielten Reden, die Küche für Alle sorgte für Verpflegung und
eine DJane spielte ein sechsstündiges Set.
Die letzten Hoffnungen ruhten zu diesem Zeitpunkt noch auf einer
Annullierung des Eurowings-Flugs nach Mailand-Malpensa, auf den Momodou
gebucht wurde. Zuvor hatte die Black Students Union zu einer Mail-Aktion
aufgerufen, um die Fluggesellschaft zu einem Rücktritt von dem Geschäft
bewegen. Auch versuchten die Aktivist*innen den Piloten und die Crew zu
einer Verweigerung des Fluges zu bewegen – eine Strategie, die 2018
immerhin 506 Deportationsflüge verhindern konnte.
In Momodous Fall ging allerdings keine der Strategien auf, und so wurde er
am 29. März um 7 Uhr morgens zurück nach Italien abgeschoben. Davon zeugt
das erwähnte Video, das den Protest der Aktivist*innen auf dem Hamburger
Flughafen zeigt. Keine zehn Tage später wurde am Mittwoch nun auch der
werdende Vater Godstime abgeschoben, seine Frau und sein ungeborenes Kind
bleiben in Bremen in schlechtem Gesundheitszustand zurück.
Für die Black Students Union Bremen ist es wichtig, Momodous und Godstimes
Schicksal nicht als Einzelfälle zu betrachten. In einem veröffentlichten
Bericht unterstreichen sie, dass die Geschichten der beiden jungen
Geflüchteten im Kontext eines allgemeinen, europäischen und deutschen
anti-schwarzen Rassismus eingebettet sind.
Die Fluchtursachen seien in erster Linie tief verwurzelt im kolonialen Erbe
fast aller afrikanischen Länder. Wenn Menschen vor dem wirtschaftlichen
Elend und der Perspektivlosigkeit in ihren Heimatländern flüchteten, dann
sei dies in erster Linie ein Symptom jahrhundertelanger, eingespielter
kolonialistischer Strukturen, die unzureichend funktionierende
Staatenkonstrukte hervorgebracht hätten.
Und auch hier vor Ort sähen sich schwarze Geflüchtete rassistischer Gewalt
bei Behörden und Polizei ausgeliefert. So sei die Inhaftierung Momodous
letztlich auch nur durch eine rassistische und grundlose Polizeikontrolle
auf dem Weg zum Supermarkt möglich gemacht worden.
Die gemeinsame Erklärung, „sicherer Hafen“ für Geflüchtete sein zu wolle…
die die drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg im vergangenen Jahr
abgegeben hatten, kommt in diesem Kontext als leere Floskel daher, die
lediglich das rassistische Grundrauschen der Gesellschaft verdeutlicht.
Momodou B. und Godstime O. sind Zeugen dieser deprimierenden Realität.
13 Apr 2019
## AUTOREN
Cornelius Runtsch
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