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# taz.de -- Liebe in den Zeiten der Ratlosigkeit
> Ein Debütroman wie eine Kunstinstallation: Die Hamburgerin Marie-Alice
> Schultz schreibt in „Mikadowälder“ detailversunken über Beziehungen und
> Verflechtungen
Von Hanna Klimpe
Oskar baut gerne Holzkisten, um Luft darin aufzubewahren, und zwar Luft in
unterschiedlichen Volumen. Wenn man es richtig macht, so glaubt er, werden
sie zu einem dicken Pudding. Warum er das eigentlich tut, interessiert ihn
nicht so wahnsinnig.
Oskar ist der Sohn von Mona und Eric in Marie-Alice Schultz’Debütroman
„Mikadowälder“ (Rowohlt 2019, 320 S., 22 Euro; E-Book 19,99 Euro). Und
Mikadostäbe und Kisten sind die beiden Bilder, die in diesem Text, der im
Wesentlichen um Monas Familie kreist, immer wieder auftauchen. In
sprunghaften, achronologisch erzählten, aber immer miteinander verbundenen
Miniaturen erzählt die Hamburgerin von den Beziehungen zwischen Mona und
Eric, Monas Eltern Ruth und Tsarelli und dessen Schachpartner Georgi und
seiner Frau Dina.
[1][Schultz hat bereits in mehreren Zeitschriften Kurzgeschichten
veröffentlicht und 2017 den Literatur-Förderpreis der Hamburger
Kulturbehörde erhalten]. Sie hat aber auch die [2][Literaturzeitschrift
Tau] mitgegründet, in Hamburg, Wien und Paris Performances inszeniert und
nach einem Studium der Theaterwissenschaften an der Hamburger
Kunsthochschule studiert. Diese disziplinübergreifende Herangehensweise
merkt man dem Roman an, weniger im formalen Aufbau – nur wenige Zeichnungen
sind in den Text eingebaut – als vielmehr in der Erzählweise, die eher
einer Installation gleicht.
Es gibt keinen Mittelpunkt, keinen roten Faden, keinen wirklichen
Handlungsstrang. Es geht eher um ein Versinken in Details, ein Beschreiben
von Stimmungen, Situationen und Zufälligkeiten, in denen Menschen sich
begegnen, sich annähern, voneinander entfernen und wieder annähern. In
unprätentiöser Sprache und kurzen Sätzen gelingt es Schultz, plastische und
originelle Bilder zu erzeugen, was die leise Wehmut, dass eigentlich nichts
passiert, ausgleicht.
## Aus den Verhältnissen gefallen
„Mikadowälder“ spielt im Künstlermilieu: Eric und Mona, Tochter einer
Malerin und eines Sportlehrers, lernen sich an der Kunsthochschule kennen
und bekommen Sohn Oscar, als sie wissen, dass die Beziehung eigentlich
schon auseinandergebrochen ist. Eric beginnt eine Beziehung mit der
Videokünstlerin Valerie, mit der er schon mal eine Affäre hatte. Mona lernt
den Journalisten Johannes kennen. Ihre Mutter Ruth stirbt, bleibt aber
omnipräsent, und Georgi versucht, die explosive Klavierlehrerin Dina
zurückzugewinnen.
Man erfährt wenig über die Biografien und Persönlichkeiten dieser Figuren,
die ihre Gestalt erst dadurch bekommen, dass sie sich zu den anderen
Figuren verhalten. Schultz hat eine feine Beobachtungsgabe für
Annäherungen, für die Unsicherheiten zwischen Menschen, die sich ihre
Merkwürdigkeiten nahebringen und doch ihre Eigenständigkeit bewahren
wollen. Dabei kommen wunderbare Sätze heraus wie: „Manchmal genügt es zu
scheitern, um liebenswert zu erscheinen.“ Die Bindungsscheu, die sie dabei
beschreibt, ist zwar sehr zeitgeistig, trotzdem sind Ort, Zeit und Figuren
so entrückt, dass sie aus den Verhältnissen gefallen zu sein scheinen.
Unklar bleibt, was die Figuren ersehnen, oft wirken sie stoisch,
akzeptieren, dass der Zufall ihre Wege formt. Nur die Bewegung von
Anziehung und Auseinanderdriften scheint sie anzutreiben: „Ein fertiges
Haus verband sie, war über all die Jahre gewachsen, wenn auch wacklig. Ein
Haus, das es nur in ihren Köpfen gab, in der Art, wie sie sich bewegten,
immer im Bezug zum anderen.“ Aber vielleicht macht es diesen leisen,
melancholischen, auch mal bissigen Text so mutig: über die Liebe im
Eingeständnis der Ratlosigkeit zu schreiben.
Sa, 6. 4., Viktoria-Kaserne, Hamburg (im Rahmen des Leseclubfestivals);
Sa,16. 4., 19.30 Uhr, HfbK Hamburg; Di, 7. 5., 19 Uhr, Stadtscheune
Otterndorf (als 34. Otterndorfer Stadtschreiberin)
6 Apr 2019
## LINKS
[1] /!5489511
[2] https://tau-texte.de/
## AUTOREN
Hanna Klimpe
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