# taz.de -- Nur der eigene Vater war noch jünger | |
> Seine Filme definierten die „Soviet Sixties“ für das Kino: Der georgische | |
> Filmemacher Marlen Chuziew ist tot | |
Bild: Marlen Chuziew | |
Von Barbara Wurm | |
Sein berühmtester Film, in Kritikerkreisen als Tauwetter-Monument bekannt, | |
hieß „Ich bin zwanzig“ („Mne dwadzat let“, 1965) und irgendwie war er | |
selbst bis zuletzt vor allem eines: ewig jung. „Schau dir den da auf dem | |
Foto an“, meinte er vor drei Jahren zu mir, „wer sieht besser aus, er oder | |
ich?“ „Der da“ war selbstredend auch nicht irgendwer, sondern die | |
georgische Regie-Legende Otar Iosseliani, bis heute aktiver | |
Filmschaffender. | |
Das nach Selbsteinschätzung attraktivere „Ich“, das bei | |
Festival-Blitzlichtgewitter und im Fahrtwind des mondänen Schweizer | |
Motorbootes über den Lago Maggiore fuhr – Marlen Chuziew. Das Gipfeltreffen | |
der nur auf dem Papier ins Alter gekommenen Herren in Locarno 2015 mag als | |
glanzvoller Retro-Event einstiger Sowjetfilmgrößen in die Geschichte des | |
Kinos eingehen. Zuvor war Chuziew aus Anlass seines 90. Geburtstags schon | |
bei „goEast“ in Wiesbaden und im Anschluss im Berliner Kino Arsenal mit | |
einer kompletten Werkschau zu Gast. Ein lebendiges und vor allem bleibendes | |
Erlebnis für alle, die dabei waren. | |
Am Dienstag früh ist der kleine, rüstige Mann, der für 2019 das Erscheinen | |
seines allerletzten Abschiedsfilms „Nichtabends“ („Newetschernjaja“) ü… | |
die letzten Begegnungen zweier russischer Kulturheroen, Lew Tolstoi und | |
Anton Tschechow, angekündigt hatte, im Alter von 93 Jahren in seiner | |
lebenslangen Wahlheimat Moskau gestorben. | |
Geboren wurde Chuziew 1925 in der Hauptstadt der Georgischen SSR Tbilissi | |
als Sohn eines Kommunisten vom alten Schlag (daher der Name Marlen, eine | |
Kombi aus Marx und Lenin). Dass der Vater 1937 im Zuge der Großen | |
Säuberungen erschossen wurde, ließ Chuziew nie los. Die zentrale Szene in | |
„Ich bin zwanzig“ ist die Begegnung zwischen einem jungen Mann und seinem | |
toten (daher jüngeren) Vater, in seinem wunderbaren Frühtauwetter-Film „Die | |
zwei Fedors“ („Dva Fedora“, 1958) treffen und finden sich ein vaterloser | |
Junge und ein kinderloser Mann. | |
Sein Regiestudium absolvierte Chuziew am berühmten Moskauer WGIK, beim | |
ukrainischen Meister Igor Sawtschenko, seinen ersten Film drehte er 1956: | |
„Frühling auf der Zaretschnaja-Straße“ gemeinsam mit Feliks Mironer, auch | |
dies eine erste Knospe der neuen, nachstalinistischen Ära. Doch erst mit | |
den beiden Filmen der großen Dekade, mit „Ich war zwanzig“ und „Juli-Reg… | |
(1966), die die Soviet Sixties auf Kino-Ebene so sehr mitdefinierten, | |
gelangte Chuziew zu Weltruhm. | |
Seine lyrisch-ernste Auseinandersetzung mit dem Alltag (nicht nur) junger | |
Menschen, mit der Poesie seiner Zeit (legendär die Live-Auftritte der young | |
wild poets Moskaus), mit dem Krieg und schließlich mit der Begegnung der | |
Generationen waren seine Themen. Schon im ersten Abschiedsfilm „Nachwort“ | |
(1983), und auch im zweiten, „Unendlichkeit“ (1991). Ein dritter wird | |
posthum erscheinen. Daran glauben wir. | |
22 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Barbara Wurm | |
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