# taz.de -- Farbspuren auf schwarzem Grund | |
> Im Hamburger Bahnhof läuft die erste Museumsausstellung des | |
> afroamerikanischen Künstlers Jack Whitten in Europa | |
Bild: „Sweet Little Angel, For B. B. King“, 2015 | |
Von Lorina Speder | |
Das Selbstporträt des Künstlers ist das zweitkleinste Bild unter den 30 | |
ausgestellten Werken seiner Retrospektive „Jack Whitten: Jack’s Jack“ im | |
Hamburger Bahnhof. Auf dunklem Untergrund türmen sich im Zentrum Farbreste | |
zu einer heraustretenden, ovalen Form auf. Trotz der geringen Größe geht es | |
neben den meterlangen Werken in der ersten Museumsausstellung des | |
US-amerikanischen Malers in Europa keineswegs unter. Noch vor seinem Tod im | |
letzten Jahr suchte Whitten zusammen mit Kurator Udo Kittelmann die Werke | |
aus, die Kittelmann nun als Whittens „Sammlung seiner Lieblingsbilder“ | |
bezeichnet. Das Selbstporträt im ersten Raum strahlt eine besondere Energie | |
aus. Assoziationen zu psychedelischen Videos kommen auf, und man kann | |
erkennen, dass Whitten ein Künstler ist, dessen Werk von seiner | |
Spiritualität und theoretischen Auseinandersetzung mit der Malerei lebt. | |
Seit den 70er Jahren wollte Whittens die Grenzen der abstrakten Malerei | |
durchbrechen. Weil das Acryl auf seinem Selbstporträt zentimeterdick | |
aufgetragen ist, bekommt es eine plastische Dimension, die Malerei im | |
engeren Sinn wird hier überschritten. Bevor Whitten jedoch anfing, sich in | |
seinem Werk konzeptionell mit Malerei auseinanderzusetzen, war er vom | |
abstrakten Expressionismus seines Mentors Willem de Kooning beeinflusst. | |
Ein Relikt aus Whittens letzter Phase des abstrakten Malens ist das Gemälde | |
„King’s Wish (Martin Luther’s Dream)“ aus dem Jahr 1968, in dem man üb… | |
den leuchtenden Farbflächen Andeutungen von Gesichtern erkennen kann. | |
Whitten, der 1939 in der von ihm als „Hype der amerikanischen Apartheid“ | |
beschriebenen Zeit in Alabama geboren wurde, hat die strikte Rassentrennung | |
in den Südstaaten der USA selbst miterlebt. Martin Luther King begegnete er | |
als Teenager während des von Rosa Parks ausgelösten Busboykotts in | |
Montgomery. Das prägte ihn und sein künstlerisches Werk nachhaltig. Er | |
selbst sagte über sich, dass er nie die Freiheit gehabt hätte, unpolitisch | |
zu sein. Während seines Kunststudiums in Baton Rouge organisierte er 1960 | |
für die finanzielle Unterstützung schwarzer Colleges einen | |
Bürgerrechtsmarsch im Zentrum der Stadt. Nachdem er den Hass der | |
gewaltbereiten Gegendemonstranten miterlebte, beschloss er, nach New York | |
zu ziehen, wo er erstmalig mit weißen Professoren und KommilitonInnen | |
studierte. Dort lernte er Allen Ginsberg und andere Figuren der New Yorker | |
Kulturszene kennen. | |
Besonders beeindruckte Whitten ein Treffen mit Norman Lewis, der zu seinem | |
Mentor wurde. Der Künstler zählte damals zu einem der wenigen bekannteren | |
afroamerikanischen Maler. Die Verbindung zu ihm sorgte für den | |
beschriebenen Wandel in Whittens Werk, in dem er sich mit seiner eigenen | |
afroamerikanischen Identität in Bezug auf die Malerei auseinandersetzte. | |
Die unsichtbare Grenze, die schwarzen Künstlern gegeben war, wenn sie | |
nicht-figurativ, also ohne soziales Narrativ, arbeiteten, war etwas, das | |
Lewis in seinem Werk beschäftigte und aufzubrechen versuchte. Whitten sah | |
seine Verantwortung darin, den Diskurs seines Mentors in der abstrakten | |
Malerei weiterzuführen. Er beschloss, „Gemälde nicht mehr zu malen, sondern | |
zu machen“. | |
So kommt es, dass Whittens Kunst der letzten vier Dekaden weniger mit | |
Pinselstrichen auf der Leinwand zu tun hat als vielmehr mit Farbe, deren | |
Schichtung und Anordnung auf dem Untergrund. Die meisten Werke im Hamburger | |
Bahnhof bestehen aus Farbplättchen, die mosaikartig angeordnet ein Gemälde | |
ergeben. So auch das „Norman Lewis Triptychon l“, dessen abstrakte Muster | |
aus vielen rechteckigen und farbigen Plättchen entstehen. Aus geordneten, | |
blauen und schwarzen Farbplättchen entstand auch die „Quantum Wall“, die | |
von Whittens Auseinandersetzung mit Naturwissenschaft zeugt. Er widmete | |
sie dem Musiker Prince. | |
In der Ausstellung begegnet man durch Whittens Betitelung seiner Werke | |
Politikern, Musikern und KünstlerInnen wie Louise Bourgeois, B.B. King oder | |
Barak Obama, der den Künstler 2016 mit der National Medal of Arts | |
auszeichnete. Es waren Personen, mit denen sich Whitten verbunden fühlte. | |
Die Hommage an B. B. King entstand 2015, also in dem Jahr, in dem der | |
Musiker starb. Dort schlängelt sich auf pechschwarzem Untergrund eine | |
Farbspur, die durch die vielen Farben an Lebendigkeit zunimmt. Wie ein | |
einziger Ton von B. B. King, der Akkorde stets vermied und mit seinen | |
Solo-Einlagen die Blues-Welt prägte, besticht das Gemälde durch die | |
Einfachheit und Exaktheit. Whitten schaffte es so, B.B. Kings Musikalität | |
und Geist einzufangen. Das allein demonstriert seine künstlerische Größe. | |
Bis 1. September | |
2 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Lorina Speder | |
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