# taz.de -- Und täglich grüßt die Bratkartoffel | |
> Auf der Suche nach Essbarem fährt unser Autor durch halb Brandenburg. | |
> Überall nur Sauerfleisch, Matjes und Schnitzel | |
Von Philipp Maußhardt (Text) und Karoline E. Löffler (Illustration) | |
Großen Respekt habe ich vor Menschen, die beruflich häufig den Schlafplatz | |
wechseln müssen, wie gesuchte Terroristen oder die Bundeskanzlerin. Seit | |
ich selbst zwischen drei Wohn- und Schlaforten pendeln muss, weiß ich, was | |
für eine bewundernswerte logistische Leistung es ist, an jedem Ort ein paar | |
saubere Socken oder Unterhosen liegen zu haben. Ich bin in dieser Hinsicht | |
noch ein Anfänger. | |
Kürzlich wollte ich nach der Ankunft in meinem Dorf in der Prignitz noch | |
eine Kleinigkeit kochen, allein es fehlte in der Küche so gut wie an allen | |
Zutaten. Also beschloss ich, essen zu gehen. Das aber ist in der Prignitz | |
ein Abenteuer für sich: erstmal eine offene Gaststätte finden! | |
Von der Ausfahrt der A 24 bis zu meinem Haus fahre ich gut 60 Kilometer, | |
durch Ortschaften, die „Wüsten“, „Sterbitz“ oder „Sargleben“ heiß… | |
alle Dörfer besaßen früher mal einen Gasthof, Namen wie „Lindenkrug“, | |
„Grüne Gurke“ oder „Zum See-Ende“ stehen oft noch an der Fassade. Doch… | |
die meisten von ihnen geschlossen, an manchen hängt ein Schild „Zu | |
verkaufen“. Im ganzen Bundesland Brandenburg gibt es heute nur noch | |
ungefähr so viele Gaststätten wie in Hamburg: etwas mehr als 4.000. | |
In der wenige Kilometer von meinem Haus entfernten Stadt Lenzen befinden | |
sich immerhin zwei Restaurants. An jenem Abend warf ich eine Münze, in | |
welches der beiden ich gehen sollte. Die Wahl fiel auf das „Haus am See“, | |
wunderbar am Ufer des Rudower Sees gelegen und doch meist menschenleer. Die | |
freundliche Bedienung brachte die Speisekarte, ich nahm sie höflich zur | |
Hand, musste sie aber eigentlich nicht lesen. Denn die Auswahl der letzten | |
noch verbliebenen Gasthöfe in der Prignitz kann ich auswendig und im Schlaf | |
hersagen: Sauerfleisch mit Bratkartoffeln, Matjes mit Bratkartoffeln, | |
Schnitzel mit Bratkartoffeln. Und als Vorspeisen Würzfleisch und Soljanka, | |
eine letzte kulinarische Erinnerung an die verblichene DDR. | |
Trotzdem schielte ich in die Speisekarte und war überrascht. Es gab eine | |
neue Rubrik, „Vegetarische Spezialitäten“, offenbar ein Entgegenkommen an | |
selten vorbeikommende Touristen aus Hamburg oder Berlin. Die vegetarische | |
Spezialität nannte sich „Bratkartoffeln mit Mischgemüse“. Ich entschied | |
mich für das Schnitzel. | |
In einem anderen Lokal in der Gegend hatte ich einmal kurz vor 18 Uhr um | |
Matjes mit Bratkartoffeln gebeten. Der Wirt machte ein sehr unfreundliches | |
Gesicht. Ich sei der einzige Gast und eigentlich wollte er jetzt schließen, | |
raunzte er, ließ sich dann aber doch erweichen und warf noch eine Pfanne | |
auf den Herd. Ich musste demütig und dankbar sein, dass ich als Gast auch | |
als solcher behandelt werde. Denn was in Brandenburg beinahe komplett | |
fehlt, ist eine Ausgehkultur des Alltags, die sich generell eher in Städten | |
als auf dem Land findet. Als Zugereister wird man, wenn man in einer | |
Brandenburger Gaststätte auch bloß nach einer Pfeffermühle oder einem Stück | |
Zitrone fragt, schnell als elitärer Latte-macchiato-Schnösel abgestempelt. | |
Vor ein paar Wochen fuhr ich verzweifelt und hungrig bis nach | |
Mecklenburg-Vorpommern. In Ludwigslust fand ich ein italienisches | |
Ristorante, das sogar geöffnet hatte. Ich bestellte Spaghetti Carbonara, | |
und um es abzukürzen: Es war die schlechteste Pasta, die ich jemals in | |
meinem Leben gegessen hatte. Ich beschwerte mich beim Personal auf | |
Italienisch. Aber niemand verstand mich, sie sprachen nur Albanisch. | |
Ein anderes Mal flüchtete ich magenknurrend mit der Fähre über die Elbe ins | |
Niedersächsische. Dort wurde ich fündig, musste nur für den Rückweg einen | |
40 Kilometer langen Umweg über die Elbbrücke von Dömitz nehmen, weil die | |
Fähre nach Einbruch der Dunkelheit ihren Betrieb einstellt. | |
Es geht mir gar nicht um eine Gourmetküche. Die sucht man auch in den | |
Nachbarbundesländern meist vergeblich, der Sucheintrag „schlechtes Essen in | |
Niedersachsen“ ergibt bei Google mehr als acht Millionen Einträge. Eine | |
gute Landesküche, mit regionalen Gerichten und Produkten – mehr will ich | |
doch gar nicht! In ein Lokal in Storkow ließ ich mich einmal nur locken, | |
weil es versprach: „Genießen Sie das vielfältige kulinarische Angebot der | |
Brandenburger Küche“. Auf der Karte standen dann „Schnitzel Wiener Art“ … | |
„Salat mit Thunfisch“. | |
Dabei gibt es doch so wunderbare Zutaten in Brandenburg: alte Gemüse- und | |
Kartoffelsorten, Teltower Rübchen, Spargel, freilaufende Gallowayrinder, | |
Wild ohne Ende, Pilze im Überfluss, Ziegenkäse aus Kunow, Heidelbeeren aus | |
Bergen. Daraus muss sich doch etwas machen lassen! Eine Nouvelle Cuisine | |
Brandenburgoise! | |
Ich denke da an „Knocki“, gefüllte Kartoffelklößchen mit Ziegenkäse und | |
Bärlauch. An Kartoffelgratin mit frischen Steinpilzen. An Carpaccio vom | |
geräucherten Schweinebäckchen neben Holunder-Balsamico, an saure | |
Kartoffel-Rädchen mit eingelegten Gurken und, und, und. Das wäre nicht nur | |
lecker, das würde mir auch die Wohnungslogistik deutlich erleichtern. | |
Ein Schwabe in der Prignitz | |
Kulinarisch wurde unser Autor in Frankreich und Süddeutschland | |
sozialisiert. An dieser Stelle berichtet er einmal im Monat, wie er sich | |
die Lebensmittelrealität Brandenburgs erschließt. | |
23 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Philipp Mausshardt | |
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